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Ausgabe:

März/2008

Spalte:

300–303

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Kreiner, Armin

Titel/Untertitel:

Das wahre Antlitz Gottes – oder was wir meinen, wenn wir Gott sagen.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien: Herder 2006. 544 S. gr.8°. Geb. EUR 29,90. ISBN 978-3-451-28776-3.

Rezensent:

Michael Murrmann-Kahl

Das durchaus flott geschriebene Buch von Armin Kreiner, der an der Universität München katholische Fundamentaltheologie lehrt, behandelt in zwölf Kapiteln die zentralen Fragen der »ab­strakten« Gotteslehre (das heißt unter Absehung der geoffenbarten Trinität, vgl. 15): Gotteserkenntnis (Kapitel 1–6), Wesensbestimmung (Kapitel 7), Schöpfung und Erhaltung (Kapitel 8), Eigenschaftslehre (Kapitel 9–11) und schließlich Existenz Gottes (Kapitel 12). Einen frischen Zugriff zum altbekannten Thema gewinnt der Vf. durch die schwerpunktmäßige Einbeziehung der angelsächsischen philosophischen und theologischen Debattenlage (was ihn bisweilen zur Marotte verführt, selbst deutsche Autoren wie Dalferth und Schwöbel nach englischen Texten zu zitieren). Langweilig liest sich sein Werk jedenfalls nicht, wie der Vf. einleitend be­fürchtet (9–15).
Im Einzelnen geht der Vf. so vor, dass er die Umstrittenheit des Gottesbegriffs vorführt (17–33), die These von der Unbeschreibbarkeit Gottes (vor allem im Umfeld der Mystik) widerlegt (35–73), die analoge, metaphorische und mythische Redeweise von Gott prüft (75–109), den Einwand einer vermeinten Vergegenständlichung Gottes debattiert (111–145), die Entstehung des Gottesbegriffs zwischen menschlicher Konstruktion und göttlicher Offenbarung erörtert (147–175) und Kriterien der Rede von Gott benennt (177–222). Ein gutes Drittel des Buchs nimmt also die Problematik der Gotteserkenntnis ein. Dreh- und Angelpunkt des Werks ist das siebente Kapitel, in dem über die Wesensbestimmung Gottes im Sinne eines personalen Theismus entschieden wird (223–255). Von dieser dogmatischen Bestimmung ausgehend werden anschließend Schöpfungs- und Erhaltungslehre unter Einschluss der Theodizeethematik (257–305) und die Eigenschaftslehre nach Allmacht und Allwissenheit (307–369), Allgegenwart und Ewigkeit (371–431) und den sog. »moralischen« Eigenschaften (433–482) rekonstruiert. Dass die Existenz Gottes erst am Schluss des Buches erörtert wird (483–508), ist angesichts der unter neuzeitlichen Bedingungen höchst umstrittenen Exis­tenz durchaus plausibel.
Zu Recht geht der Vf. vom Grundsatz aus, die vielfältigen Aussagen über Gott einer rationalen Klärung zuführen zu wollen. »Rational« bezieht sich dabei auf plausible und einleuchtende Gründe, auf ein »Set von Kriterien …, dem man sich verpflichtet weiß, wenn es darum geht, die eigenen Überzeugungen zu gewinnen, zu evaluieren und zu verantworten« (19). Bei der Grundfrage, was der Ausdruck »Gott« eigentlich bezeichne, entscheidet sich der Vf. gegen den Eigennamen und für das Prädikat (»descriptive term«, 24). Präziser umfasse der Ausdruck sogar »ein Bündel von Prädikaten, die ihrerseits bestimmte Eigenschaften bezeichnen« (25.223). Allerdings haben sich nicht einmal die Experten (Theologen) auf eine Standardbedeutung des Ausdrucks »Gott« einigen können (31). Das könnte damit zusammenhängen, dass Gott generell »unbeschreiblich und unaussprechlich« (32) wäre. Diese These der »negativen« Theologie muss widerlegen, wer von Gott nicht schweigen will. Darum versucht der Vf. zu zeigen, dass diese Annahme (Prädikat der Unendlichkeit) selbstwidersprüchlich bleibt und auch die mystische Erfahrung (41 ff.53 ff.) immer schon bestimmte und sehr beredte Deutungen voraussetzt, um eine solche Erfahrung überhaupt als Gotteserfahrung identifizieren zu können.
Nicht überraschend für einen katholischen Theologen macht der Vf. die Möglichkeit analoger Rede von Gott stark (77 ff.). Wenn man die für den Vf. zentrale Bestimmung Gottes als »Person« nimmt, dann sieht man auch die von W. Pannenberg längst be­schriebene Problematik: Sobald versucht wird, »diese Ähnlichkeiten (sc. von göttlichen und menschlichen Personen) auszubuchstabieren, stößt man früher oder später zwangsläufig auf eine univoke Redeweise, die der analogen zugrunde liegt. Aus diesem Grund ist die analoge Redeweise letzten Endes eben parasitär, d. h. sie basiert als sinnvolle auf der univoken Rede« (90)! Dann aber kippt die vermeinte analoge Rede in die univoke faktisch zurück, so dass die sonst behauptete ontologische Differenz von Schöpfer und Geschaffenem eingezogen wird und die prinzipielle Unähnlichkeit zwischen beiden nicht mehr zum Zuge gebracht werden kann.
Aller zugestandenen Begrenztheit menschlicher Erkenntnis zum Trotz liefern dem Vf. zufolge weder die Unbeschreibbarkeits- (35 ff.) noch die Vergegenständlichungsthese (111 ff.) plausible Argumente, die jegliche Gotteserkenntnis ausschlössen. So kann festgehalten werden, dass ein Ensemble wahrheitsfähiger Aussagen über Gott möglich ist (144). Zur Präzisierung dient die Kombination von traditionsimmanenten und -externen Kriterien (179 ff.). Während sich die immanenten Kriterien im Umkreis der eigenen religiösen Tradition bewegen, machen die traditionsexternen gleich­sam universale Übereinkünfte namhaft (183 ff.) wie logische, explikative (Streit über Gott als »Lückenbüßer« in Erklärungen) und pragmatische Kriterien. Aussagen über Gott sollten mithin logisch widerspruchsfrei sein, zum Verständnis des Wirklichkeitsganzen und schließlich zum Gelingen des »guten« Lebens beitragen (222).
Inhaltlich geht der Vf. im zentralen siebenten Kapitel von An­selms berühmter Bestimmung aus, der Gottesbegriff sei »aliquid quo maius nihil cogitari potest« (zitiert 235, Anm. 38). Um nämlich der Willkür in den Gottesvorstellungen zu begegnen (225 ff.), bezieht sich der Vf. auf das formale Kriterium, dass mit »Gott« stets die »vollkommenste Wirklichkeit« gemeint sei. »Die zugrunde liegende Regel besagt dann, dass von Gott nur solche Prädikate auszusagen sind, die Vollkommenheit bzw. Werthaftigkeit zum Ausdruck bringen und so die Willkürlichkeit subjektiver Zuschrei bung von Wichtigkeit einschränken« (234). Freilich fragt sich be­reits an dieser Stelle, ob mit dem Gesichtspunkt der »Werthaftigkeit« nicht von vornherein Elemente exakt solcher Willkür eingeschmuggelt sind. Wenn nämlich bei Anselm unterbestimmt bleibt, welches eigentlich die »great-making properties« (237) sind, und Anselm an seine Begriffsbestimmung den berühmten »ontologischen« Gottesbeweis anschließt, nutzt der Vf. die von ihm zusätzlich eingeführte »Werthaftigkeit«, um seinen personalen Theismus zu rechtfertigen (240 ff.). Seltsamerweise und offenbar ohne Arg folgt er ausgerechnet Peter Singer (vgl. 241, Anm. 63) in der höchst fragwürdigen Behauptung, dass die Werthaftigkeit einer Person am Bewusstsein (»consciousness«) hänge. Die »Werthaftigkeit der Person beruht in ihren ausgeprägten Fähigkeiten, Dinge ›erleben‹ zu können« (242). Aus dieser werttheoretischen Intuition zieht der Vf. den weitreichenden Schluss: »Wenn ›Person‹ das Wertvollste in der ›ganzen Natur‹ bezeichnet, führt gemäß der ansel­mischen Maxime kein Weg daran vorbei, Gott als Person zu be­zeichnen.« (243) Dieser Schluss hängt an der äußerst fragwürdigen Prämisse, am weitreichenden Werturteil über Bewusstsein, das bekanntlich desaströse ethische Folgen entfaltet, wie die breite Singer-Debatte gezeigt hat. Alles Weitere ergibt sich dann fast von selbst, denn die »Prädikate der Allmacht, Allwissenheit, sittlichen Vollkommenheit, Unerschaffenheit, Notwendigkeit sind aus dem Begriff der vollkommenen Person abgeleitet« (244, vgl. die folgenden Kapitel 8–11).
Angesichts der Vieldeutigkeit auch der Schöpfungs- und Erhaltungsvorstellungen und der göttlichen Eigenschaften kommt es darauf an, diese Bestimmungen gemäß dem Kohärenzkriterium in Einklang mit dem vorausgesetzten personalen Theismus zu bringen (im Kontext von Allmacht und Allwissenheit zudem mit der menschlichen Freiheit, vgl. 343 ff.), wobei meist die Frontstellung zu naturalistischen Erklärungen (zum Beispiel des Kosmos und der Evolution) eine große Rolle spielt (261 ff.274 ff.316 ff.). Spannend ist die Beantwortung der an den Schluss gestellten Frage nach der Exis­tenz Gottes. Im Anschluss an den Pragmatismus von William James soll gelten, »dass aus dem Willen, eine Überzeugung möge wahr sein, unter bestimmten Voraussetzungen auch das Recht resultiere, sie für wahr zu halten« (505). Angesichts der Unentscheidbarkeit der »einschlägigen Evidenzen«, was das Nachdenken über Gott und die Welt insgesamt anlangt, scheinen vernünftige Menschen sowohl zu einer atheistischen als auch zu einer theistischen Position gelangen zu können (507 f.). Freilich scheint der Einwand eines durch diesen Willensentschluss legitimierten Wunschdenkens hinsichtlich der Existenz Gottes nicht wirklich ausräumbar (vgl. 506).
Aus konfessionsspezifischer Perspektive fällt besonders auf, dass der Vf. recht oberflächlich an den einschlägigen Ausführungen I. Kants vorbeigeht, die doch für sein eigenes Thema höchst instruktiv wären. Der vom Vf. beanspruchte »fallibilistische[r] Realismus« (140) setzt sich stillschweigend über Kants Distinktion von endlicher Verstandeserkenntnis raumzeitlicher Objekte und Vernunftideen hinweg. Nur weil diese Differenz eingezogen wird, scheint es eine »Erkenntnis« vom reinen Noumenon »Gott« geben zu können (130–143), von der Existenzproblematik im Hinblick auf die theoretische Vernunft ganz zu schweigen. Im praktischen Kontext sieht der Vf. natürlich, dass seine implizierte theistische Begründung der Ethik mit Kants autonomer Moralbegründung kollidieren muss (447 ff.460 ff.). Nur weil er den Verpflichtungsgrund (Verbindlichkeit) und die je individuelle Motivation ineinanderschiebt, kann er gegen Kant behaupten, in einer autonomen Moral werde Gott überflüssig (468). In der Postulatenlehre der praktischen Vernunft war das schon differenzierter ausgeführt (s. 474 ff.). Kant hatte gerade die autonome Begründung (Geltung) von der individuellen Realisierung unterschieden, zu deren Beförderung die philosophisch interpretierte Religion gewissermaßen die Leiter reicht.
Wenn man nach der Einsicht Th. W. Adornos davon ausgeht, dass alle Metaphysik vom Doppelmotiv aus Kritik und Rettung angetrieben ist, dann ist dem Autor die rationale Kritik vieler Redeweisen über Gott sicher besser gelungen als sein Rettungsversuch des überkommenen personalen Theismus. Zu hoch ist der Preis, den man an vielen Stellen für die im kantischen Sinne vorkritischen Aufstellungen zahlen muss. Der Buchtitel schließlich ist nichts als ein Etikettenschwindel: Allenfalls die Silhouette des affirmativ vertretenen persönlichen Gottes wird skizziert, gerade nicht sein »wahres Antlitz«, für das Trinitätslehre und Christologie hätten expliziert werden müssen.

Neustadt Michael Murrmann-Kahl