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Ausgabe:

November/1997

Spalte:

1035–1037

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Meissner, William W.

Titel/Untertitel:

Ignatius von Loyola. Psychogramm eines Heiligen. Aus dem Amerik. von E. Dieckmann.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien: Herder 1997. 542 S. gr. 8°. Lw. DM 98,­. ISBN 3-451-23692-3.

Rezensent:

Georg Schwaiger

Über keinen katholischen Ordensgründer der Neuzeit sind allein im 20. Jh. so viele Biographien oder biographie-ähnliche Untersuchungen erschienen wie über den Gründer der Gesellschaft Jesu. Die letzten äußeren Anlässe boten das Gedenken seines Geburtsjahres (1491) und seines Todes (1556), auch der Bestätigung des Ordens durch Papst Paul III. (1540). Für das frühe Jh. sei nur auf die nicht umfangreichen, aber sehr gehaltvollen, auch heute durchaus lesenswerten Arbeiten des evangelischen Kirchenhistorikers Heinrich Boehmer (1869-1927; Prof. in Bonn, Marburg und Leipzig) hingewiesen; er schreibt, und dies ist bezeichnend, im Vorwort der 3. Aufl. seiner "historischen Skizze" über "Die Jesuiten" (Leipzig-Berlin 1913): "Daß sich mein Urteil fortschreitend zugunsten des Ordens verschoben hat, wird man auch aus dieser Auflage ersehen, und daß diese Verschiebung einfach eine Folge meiner Beschäftigung mit dem Stoffe ist, wird man mir doch wohl glauben dürfen. Ich gebe mir redlich Mühe, die Dinge so zu sehen, wie sie sind, und lasse mich darin weder durch die mancherlei meist anonymen Pasquille stören, die mir die Post von Zeit zu Zeit bringt, noch durch die gutgemeinten Bekehrungsversuche, die je und dann an mich herangetragen sind".

William W. Meissner ist Professor für Psychoanalyse am Boston College, USA, und Jesuit. Die amerikanische Originalausgabe seines "Psychogramms" trägt den Titel: The Psychologie of a Saint. Ignatius of Loyola (1992, Yale University Press New Haven and London). Der Schwierigkeit seines in der gewaltigen Ignatius-Literatur durchaus neuartigen Unterfangens war er sich durchaus bewußt:

"Als ich darüber nachdachte, die vorliegende Studie zu erstellen, war mir klar, daß ich vor einer gewaltigen Aufgabe stand. Ich nahm diese Aufgabe nur zögernd in Angriff und war oftmals nur wenig geneigt, sie weiter zu verfolgen. Jetzt, da die Arbeit abgeschlossen ist, ist meine Meinung unverändert: Es war ein gewaltiges Vorhaben. Die Aufgabe, die ich mir gestellt hatte, bestand darin, Geist und Herz eines der größten Heiligen ... zu erforschen. Ignatius von Loyola hat sich einen Platz unter den größten Gestalten der Christenheit des Westens erworben. Die Geschichte kennt ihn als den Gründer der Gesellschaft Jesu (,der Jesuiten’), als einen der größten Mystiker der Kirchengeschichte und schließlich als eine der bedeutendsten Gestalten der katholischen Gegenreformation ... Warum sollte ein Psychoanalytiker Interesse an dem Versuch haben, das Seelenleben dieses Mannes zu verstehen? Der Psychoanalytiker untersucht Verhalten und Motivation des Menschen in manchen und allen ihren Erscheinungen und versucht, sie zu verstehen. Er macht sich Terentius’ Motto zu eigen: ’Nihil humani me alienum puto’. Die komplexe Persönlichkeit dieses großen Heiligen weckt ein unwiderstehliches Interesse an einer solchen Studie ... Es geht um die Frage, wie Natur und Gnade im Leben dieses großen Heiligen integriert waren" (5).

Unter diesen Voraussetzungen erschließt der Vf. auf Grundlage der Quellen und der neueren kritischen Literatur einfühlsam die Herkunft des baskischen Adligen, den Weg in seiner Jugend, seine Bekehrung (auf dem Hintergrund der schweren Verwundung bei der Verteidigung Pamplonas 1521), die Jahre des Gebetes, zeitweilig härtester Askese, der mystischen Erfahrung, der Pilgerreise ins Heilige Land, der Studien in Barcelona, Alcalá, Salamanca und Paris, der wiederholten Bedrängnis durch die Inquisition, schließlich die Anfänge der neuartigen Ordensgemeinschaft und das Ringen um die Ausrichtung und Leitung des Ordens. In der Methode des Psychoanalytikers werden die menschlichen Hintergründe sichtbar, die Ignatius zu dem machten, was er in den verschiedenen Lebensabschnitten (und letztlich sein ferneres Leben mitbestimmend) war: Sein Verhältnis zum dominanten Vater, die Auseinandersetzungen mit seiner sehr männlich geprägten Umwelt, der frühe Verlust der Mutter, sein Verhältnis zu Frauen oder sein lebenslanges Ringen, seine Aggressionen, seine narzistischen und libidinösen Triebe eisern unter Kontrolle zu bekommen. Auch pathologische Züge in der mystischen Erfahrung werden sichtbar gemacht. Ignatius erscheint gewiß als Heiliger, aber er bleibt eben auch ein Mensch. Psychoanalyse ist eine junge, in verschiedene Richtungen divergierende Wissenschaft. Hier mag eine Grenze liegen, die aber schließlich für alle wissenschaftliche Arbeit gilt, besonders in den "angewandten" Wissenschaften. Der Vf. zitiert häufig bedeutende Autoritäten seiner Disziplin. Seine Darstellung ist ­ bei aller vom Fach her geforderten Offenheit ­ stets sachlich und taktvoll. Die sauber durchgeführte, gut übersetzte Arbeit bringt eine wesentliche Bereicherung unserer Kenntnis vom Leben und Werk des heiligen Ignatius, zudem einen wichtigen Beitrag zum Ineinandergreifen von Psychologie und religiöser Erfahrung.