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Ausgabe:

März/2008

Spalte:

316–319

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Schweitzer, Friedrich

Titel/Untertitel:

Religionspädagogik.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2006. 334 S. 8° = Lehrbuch Praktische Theologie, 1. Kart. EUR 22,95. ISBN 978-3-579-05402-5.

Rezensent:

Bernd Schröder

Auf nur 278 Textseiten entfaltet der Tübinger Religionspädagoge Friedrich Schweitzer ein beeindruckendes Panoptikum seiner Disziplin – facettenreich, im Gespräch mit der neuesten Literatur, auf viele Referenzwissenschaften hin dialogisch ausgerichtet, kurz: eine Fundgrube für diejenigen, die Denkwege und Grundfragen der Religionspädagogik als Wissenschaft erkunden wollen. Insofern entspricht der Band dem selbstgesetzten Ziel, »Religionspädagogik verständlich zu machen« (9).
Sch. gliedert den Stoff in sechs sehr ungleich proportionierte Kapitel. Ein Drittel des Buches widmet er der Darstellung von drei verschiedenen »Zugänge[n] zur Religionspädagogik« (11–96). »Er­fahrungsbezogen« werden eingangs Szenen religiöser Bildung skiz­ziert, die Anstöße für religionspädagogisches Nachdenken ge­ben, z. B. die Beobachtung, dass Menschen verschiedener Lebens­alter biblische Geschichten in unterschiedlicher Weise verstehen und deuten. »Problemgeschichtlich« kommt Sch. auf vier Epochen– die biblische Ära, die Reformation, die Zeit Schleiermachers, die Postmoderne – zu sprechen, um den Sitz im Leben folgender religionspädagogischer »Grundaufgaben« (20) zu markieren: »verständige Vermittlung« zwischen den Generationen (23), »Lernen als Voraussetzung des Glaubens« (ohne dass dieser darüber selbst zum Lernziel werden dürfte; 32), Konzipierung von religiöser Bildung, die der Prüfung durch Vernunft und Pädagogik standhält (38 f.), Umgang mit Pluralität, Individualität und globaler Verantwortung (56). »Systematisch« führt Sch. Grundbegriffe der Religionspädagogik ein wie etwa den Wechselbezug zwischen »Bildung und Religion« (61 ff.).
Kapitel 2 sucht zu erklären, wie man »Religionspädagogisch Sehen, Denken und Handeln lernen« kann (97–136). Vier Schritte empfiehlt Sch., die er recht abstrakt durch Verweis auf bestimmte Wissensbestände und Begriffe erläutert: erstens »Voraussetzungen analysieren«, d. h. religiöse Sozialisation und Entwicklung sowie religiöses Lernen verstehen; zweitens »Ziele und Kriterien bestimmen«, d. h. auf das Gefälle von »Erziehung« und »Bildung« reflektieren, drittens »Methoden auswählen« und viertens »Erfolge kontrollieren«.
Kapitel 3 beschreibt »Wege der Religionsdidaktik« (137–184). Hier werden teils Konzeptionen in ihrer geschichtlichen Abfolge (von der Evangelischen Unterweisung bis zur Problemorientierung) umrissen, teils wird der unterrichtliche Umgang mit bestimmten »Inhaltsbereiche[n]« wie etwa Bibel oder Ökumene angesprochen, teils werden »didaktische Prinzipien« wie »Subjekt­orientierung« oder »Gender« annonciert. Am Ende wird Unterrichtsvorbereitung mittels didaktischer Analyse und Elementarisierung empfohlen. – Allerdings: Die Auswahl der Themen und die Reihenfolge ihrer Thematisierung wird nicht begründet; die Abschnitte enden oftmals eher mit Forschungsdesideraten als mit Maßgaben für guten Unterricht. Nicht selten finden sich gleichsam adressatenlose Bemerkungen wie beispielsweise dieser den Abschnitt 3.3.3 beschließende Satz: »Die konstruktivistische Didaktik kann auch mit der Systemtheorie N. Luhmanns verknüpft werden (als erster religionsdidaktischer Versuch: Büttner/Dieterich 2004 als Weiterführung: Gronover 2006)« (161).
Kapitel 4 thematisiert »Religion unterrichten als Beruf« (185–195) – als Exempel dienen Religionslehrerinnen und -lehrer. In aller Kürze werden landläufige »Erwartungen« an diesen Berufsstand, einige empirisch erhobene Selbstauskünfte der Lehrenden zu ihrem Beruf und neuere Ansätze zur Standardisierung ihrer Ausbildung referiert.
Vergleichsweise viel Raum bekommt demgegenüber Kapitel 5 »Handlungsfelder in biographischer Perspektive« (197–261). Programmatisch weicht Sch. hier von »einer institutionell vorgegebenen Anordnung« der Lernorte ab (197), um stattdessen dem Lebensweg der Subjekte zu folgen: Nacheinander charakterisiert er »Kindheit«, »Jugend« und »Erwachsenenalter«, zunächst allgemein – und dann eben doch anhand der jeweils einschlägigen ›Institutionen‹, im Abschnitt Kindheit also Familie, Kindergarten, Kindergottesdienst, weitere gemeindliche Angebote, Grundschule, Kinder-Me­dien, Seelsorge, Öffentlichkeit. Analog wird das Jugendalter abgeschritten; im Blick auf das Erwachsenenalter wird keine Lernortspezifikation vorgenommen – merkwürdigerweise kommt hier nicht einmal das zukunftsträchtige Feld der Seniorenarbeit zur Sprache (es fällt lediglich das Stichwort »drittes Alter«; 260).
Einmal abgesehen von der Kürze, in der jeder dieser Lernorte somit verhandelt werden muss, entsteht durch diese Anordnung der – gewiss nicht beabsichtigte – Eindruck, als ob ein Individuum wie in einem ›Gesamtkatechumenat‹ all diese Stationen durchliefe. Vor allem aber sind die einzelnen Abschnitte keineswegs subjektorientiert geschrieben: Sie fragen mitnichten, was der Ein­zelne hier wie lernt oder lernen müsste, sondern skizzieren aus der Sicht von Religionspädagogen in der Regel die »Situation« des Lernortes, »Ziele« der Akteure und »Handlungsperspektiven« der Anbieter. Die Handlungsperspektiven selbst zielen häufig auf verstärkte Subjektorientierung, Vernetzung, Variation der Form – Vorschläge für inhaltliche, dezidiert evan­gelisch-theologische Akzentsetzungen sind selten.
Das sechste und letzte Kapitel charakterisiert – so bisher in keinem religionspädagogischen Lehrbuch zu finden – »Wissenschaftliches Arbeiten in der Religionspädagogik: Aufgaben und Methoden« (263–286). Hier wird die Geschichte der Religionspädagogik als Wissenschaft umrissen, dazu ihr Selbstverständnis im Gefüge der Theo­logie wie der Bezugswissenschaften, und nicht zuletzt das Spektrum ihrer Methoden von der historisch-hermeneutischen Traditionserschließung über die empirisch-kritische Situationserschließung bis zur »Evaluation und Konstruktion von Handlungs modellen« (283) und zu dem Vergleich. Abgeschlossen wird der Band durch eine 40-seitige Bibliographie (287–326) und ein N­a­mensregister (327–334).
Meine Gesamteinschätzung des Gelesenen fällt in mehrfacher Hinsicht ambivalent aus – dieser Zwiespalt sei anhand von vier Beispielen erläutert: Die Gliederung des Buches birgt bemerkenswerte Pointen, etwa die schöne Eröffnung verschiedener Zugänge zur Religionspädagogik (Kapitel 1), die Orientierung am Lebenslauf (Kapitel 5), die Einführung in fachspezifisches wissenschaftliches Arbeiten (Kapitel 6). Allerdings erschließen sich Reihung und Gewichtung der Kapitel nur mühsam: Wo sind geschichtliche Informationen zu suchen? Warum werden »Wege der Religionsdidaktik« isoliert von den »Handlungsfeldern«? Wo entfaltet die vergleichende Methode, die Sch. selbst ja bemerkenswert international betreibt, ihre Fruchtbarkeit?
Selbstredend zeugt das Buch auf Schritt und Tritt von Sch.s souveräner Kenntnis des Stoffs, doch über weite Strecken ist es eben deshalb schon kein »Lehrbuch« mehr, sondern gerät eher zu einem »Survey« über Literatur und Forschungsrichtungen – die konkreten Wissensbestände müssen sich die Leserinnen und Leser nicht selten anhand der jeweils angegebenen Literatur erst andernorts erarbeiten: Was zu so disparaten Themen wie »Entwicklungspsychologie«, »Berufsschul-Religionsunterricht«, »Geschichte der Religionspädagogik«, »Bibel im RU«, »Methoden« usw. material mitgeteilt wird, ist jedenfalls nicht ausreichend, um damit ein Prüfungsgespräch bestehen zu können.
Sehr eindrücklich und m. E. überzeugend insistiert Sch. im Anschluss an Karl Ernst Nipkow mehrfach darauf, dass Religionspädagogik »eine doppelte Verankerung sowohl in der Theologie als auch in der Erziehungswissenschaft« braucht (273; vgl. 139 u. ö.). Konsequenterweise werden vielerorts Einsichten der Erziehungswissenschaft geltend gemacht. Befragt man jedoch die einzelnen Kapitel daraufhin, welche theologischen Kriterien orientierende Kraft gewinnen und welche Inhalte evangelischen Christentums religionspädagogisch akzentuiert werden sollen, dann ist wenig Spezifisches zu finden – als Beispiele seien hier die Abschnitte zur »Konfirmandenarbeit« und zur »Religion in der Grundschule« genannt. Dem entspricht, dass Sch. den Gegenstand religionspädagogischer Reflexion nahezu durchweg mit dem Attribut »religiös« oder der Bezeichnung »Religion« belegt – eine konfessionelle Spezifikation bleibt trotz der im Vorwort markierten »Perspektive eines evangelischen Theologen und Religionspädagogen« (9) weithin aus (und soweit ich sehe, wird auch nirgends geklärt, was mit »Religion« gemeint sein soll).
Sch. tritt wie in seinen sonstigen Forschungen so auch hier (9 u.ö.) energisch für mancherlei Grenzüberschreitungen der Religionspädagogik ein: hin zu einem internationalen Horizont des Faches, hin zu einer konfessionell oder sogar interreligiös vergleichenden Perspektive, hin zu einem umfassenden Fachverständnis, das keineswegs nur um schulischen Religionsunterricht kreist. In diesem Buch finden sich immer wieder entsprechende Verweise, das Korpus der Darstellung indes bleibt in überraschend starkem Maße in alten Bahnen: Stets wird letztlich doch Religionsunterricht als exemplarisches Handlungsfeld gewählt, katholische und internationale (und das heißt hier fast ausschließlich: anglophone) Positionen kommen zwar als »Blütenlese« zur Geltung, sind jedoch für den Gedankengang nicht konstitutiv. Die Leserinnen und Leser sind am Ende jedenfalls – obwohl Sch. seine unbestreitbare Exper tise aufblitzen lässt – vermutlich nicht auskunftsfähig etwa über Elementaria von »Religious Education« in England oder über Eigenarten katholischer Religionspädagogik.
Unbeschadet dieser Monita handelt es sich bei dieser »Religionspädagogik« um ein Buch, das vor allem für Fortgeschrittene mit Gewinn zu lesen ist – minima non curat praetor.