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Ausgabe:

März/2008

Spalte:

313–316

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Schulz, Petra

Titel/Untertitel:

Sich etwas von sich selbst her zeigen lassen. Ein Beitrag zur didaktischen Theorie phänomenologisch orientierter Religionspädagogik.

Verlag:

Münster: LIT 2005. 346 S. m. Abb. gr.8° = Rostocker Theologische Studien, 17. Kart. EUR 34,90. ISBN 3-8258-8962-9.

Rezensent:

Gottfried Adam

Diese Rostocker Habilitationsschrift für das Fach Religionspädagogik schließt mit folgenden beiden Sätzen: »Eine lebensgeschichtlich orientierte Theologie und damit verbundene Didaktik korrespondiert dem Leben selbst, ist in Bewegung, bleibt auf dem Weg. Auf diesem Weg ist auch Gott immer wieder neu als der, der sich von sich selbst her zeigt, wahrzunehmen und zu erschließen.« (320) In diesen beiden Sätzen ist in nuce die Gesamtintention der Studie zusammengefasst. Petra Schulz ist bei dem Göttinger Religionspädagogen Peter Biehl in die Schule gegangen. Sie legt einen Entwurf vor, der sich als Beitrag zur didaktischen Theoriebildung einer phänomenologisch orientierten Religionspädagogik versteht. Die Theo­riebildung wird zunächst im Blick auf die Grundlagen (41 ff.) und das Profil (107 ff.) vorangetrieben, wobei den sog. Grunderfahrungen eine zentrale Bedeutung zukommt. Die entsprechenden Ausführungen dazu in Kapitel 11 (119 ff.) zeigen, wie eine phänomenologisch orientierte Religionspädagogik als Wahrnehmungswissenschaft konkret mit den Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler umgeht.
Es ist zu bedenken, dass Theorieentwurf und unterrichtliches Experiment in Rostock entstanden und durchgeführt worden sind, wo 80 bis 90 % der Schülerinnen und Schüler, die den Religionsunterricht besuchen, konfessionslos sind. »Der Religionspädagogische ›Ernstfall‹ zeigt sich hier unter verschärften Bedingungen. Die vorliegende Arbeit entwickelte sich vor dem Hintergrund eines inneren Dialogs mit dieser Situation.« (12) Dabei geht Sch. von einem Verständnis von Religionspädagogik aus, das nicht nur die Vielfalt religiöser Bildungsprozesse in der Gesellschaft be­schreibt, sondern auch die Bildungsverantwortung von Theologie und Kirche zum Gegenstand hat. Sie ist überzeugt, dass nicht zuletzt an der Qualität religionsdidaktischer Theorie und Praxis sich »die Kommunikationsfähigkeit von Theologie und Kirche« entscheidet.
Die Arbeit ist in fünf Teile gegliedert: (A) Hinführung, (B) Grundlagen, (C) Profil, (D) Didaktische Konkretion, (E) Nachgespräch und (F) Ausblick. – In der »Hinführung« wird zunächst ein Zugang zur phänomenologisch orientierten Religionspädagogik geboten und sodann über die Methode und den Verlauf der Untersuchung reflektiert. Die Entwicklung von Religionspädagogik und Religionsdidaktik wird anhand von sechs Stichworten charakterisiert und auf diese Weise wird zunächst einmal der Ort des phänomenologisch orientierten Zugangs bestimmt. Das Profil der phänomenologisch orientierten Religionsdidaktik wird sodann im Ge­spräch mit Peter Biehl, Wolf-Eckart Failing und Hans-Günter Heimbrock präzisiert. Dabei gewinnt eine Religionspädagogik Kontur, der es um die Verknüpfung des vielschichtigen Erfahrungsbegriffes mit der religiösen Dimension geht, die eine kritisch-konstruktive Bezugnahme auf Edmund Husserl auszeichnet, die Impulse der feministischen Theologie aufnimmt und sich auf die Kategorien Lebenswelt und Leib bezieht. Dabei wird auf eine breit gefächerte Integration von Perspektiven und Methoden Wert gelegt.
Im Teil B »Grundlagen« wird sodann das Konzept einer phänomenologischen Religionspädagogik – im Gespräch mit der Husserl­schen Phänomenologie – näher entfaltet. Bei der Bearbeitung der Begriffe »Leib« und »Lebenswelt« wird die Revision des Lebensweltkonzeptes von Bernhard Waldenfels rezipiert. Im Abschnitt über »Pädagogische Bezüge« (56 ff.) wird den Spuren der Phänomenologie in der phänomenologischen Pädagogik und der Gestalt­pädagogik nachgegangen. Klärungen zum Erfahrungs- und Reli gionsbegriff schließen sich ebenso an wie das Aufspüren ästhe­tischer Bezüge in Pädagogik und Religionspädagogik. Ebenso werden Bezüge zu rezeptionsästhetischen Ansätzen herausgearbeitet.
Im Teil C »Profil« (107 ff.) werden im Anschluss an Husserl drei didaktische Grundhaltungen entwickelt, die als 1. unmittelbar, 2. reflexiv und 3. »schräg« bezeichnet werden. Diese dritte Haltung rekurriert auf jene transzendentalphänomenologische Einstellung Husserls, die in der allgemeinen Husserl-Rezeption keine große Aufmerksamkeit gefunden hat. Sch. will diese Haltung für religionspädagogisches Arbeiten fruchtbar machen. Bei dieser dritten Haltung geht es vor allem darum, neue, ungewohnte, »schräge« Perspektiven zu entwickeln. Damit gewinnt das Aufbrechen des Unalltäglichen eine Chance und die Lebenswelt wird für Möglichkeiten des Überschreitens der Grenze offen gehalten. In diesem Zusammenhang geht es darum, die Fähigkeit zur Imagination zu entwickeln und das Vorgegebene zu Gunsten neuer Bilder seiner selbst und der Welt zu erweitern. Konkret geht es darum, den Horizont des Reiches Gottes zu entfalten. »Hier liegt das kritisch-konstruktive Potential eines nicht-affirmativen, nicht Vorfindliches bestätigenden Bildungsbegriffs« (115).
Von da aus wird die didaktische Grundstruktur entwickelt. Die drei genannten didaktischen Grundhaltungen sind in Verschränkung mit der didaktischen Grundstruktur zu sehen. Die Perspek­tiven auf Grunderfahrungen ermöglichen Zugänge unterschiedlicher Art. Im Kapitel »Grunderfahrungen« (119 ff.), das Werk­stattcharakter hat, werden Materialien für die unterrichtlichen Ver­arbeitungsprozesse bereitgestellt. Dabei werden zwei Wege aufgewiesen, Grunderfahrungen zu erschließen und zuzuordnen. Der erste Weg geht deduktiv vom christlichen Symbolsystem aus und sucht nach Grunderfahrungen, die mit dem jeweiligen Symbol verbunden werden können. Dies ist eine systematische Lösung, insofern die innere Logik des Symbolsystems auch deutlich erkennbar wird. Dieser Weg wird nur knapp konkretisiert (212–214).
Der zweite Weg geht induktiv vor. Hier werden Erfahrungen auf Grunderfahrungen hin verdichtet und erst dann wird nach Symbolen gefragt, die diesen Grunderfahrungen entsprechen. »Es ist der elementare Weg, der mit der Lebensgeschichte korreliert.« (119) An diesem Weg sind die übrigen Ausführungen von Kapitel 11 (121–211) orientiert. Es werden fünf Grunderfahrungen thematisiert. Die beiden ersten sind Wahrnehmungshaltungen, in denen religiöse Erfahrungen ihren Ort finden, innerhalb derer die Selbstwahrnehmung, die Wahrnehmung anderer, die Wahrnehmung der Mitwelt sowie die Wahrnehmung der Spuren Gottes erfolgen können. Hier geht es um Aufmerksamkeit, vorprädikative Erfahrung, poetische und religiöse Sprache, Kunst und Ästhetik. In den weiteren drei Grunderfahrungen werden christliche Glaubenssymbole thematisiert (Rechtfertigung, Taufe, Gemeinschaft der Glau­benden/Kirche).
Die einzelnen Abschnitte beginnen mit der Formulierung einer Grunderfahrung, an die sich unterschiedliche Entfaltungen an­schlie­ßen, denen wiederum sog. Zwischenstücke zugeordnet sind. Hierbei handelt es sich um Zitate aus der Literatur, die ihre spezifische Sicht einbringen wollen. Sie dienen der produktiven Irritation, die bewusst von möglichen Darstellungsmottos abweichen und durch ihre Form der literarischen Einschübe an die leib-körperliche Dimension jeder Wahrnehmung und Erfahrung erinnern wollen. Unter dem Stichwort »Nachfragen« werden am Ende eines jeden Kapitels mögliche Perspektiven für Gespräche benannt. Exemplarische »Pädagogische Überlegungen« schließen die einzelnen Kapitel ab.
Ein weiterer umfangreicher Teil »Didaktische Konkretionen« gilt der Umsetzung des Konzeptes einer phänomenologisch ori­entierten Religionspädagogik im Bereich der Hochschule. Es geht dabei um eine Lehrveranstaltung zum Thema »›Kreuz‹ (und Auferstehung)« (215–305). Hier liegt der Bericht eines Semesterverlaufs in nicht-retuschierter Form vor, ein wahres Wagnis. In der Dreiteilung von Klärung der Grundlagen, Skizzen von Ansätzen zu zentralen Grunderfahrungen und der Dokumentation des Seminarverlaufs zum zentralen Thema Kreuz und Auferstehung wird gezeigt, wie eine phänomenologisch orientierte Religionspädagogik an­setzt, um »sich etwas von sich selbst her zeigen zu lassen«.
Im »Nachgespräch« (306–318) wird im Blick auf die semiotische Religionsdidaktik das besondere Profil der vorgetragenen phänomenologisch orientierten Religionspädagogik noch einmal präzise auf den Punkt gebracht. Im »Ausblick« (319 f.) wird erneut auf den wechselseitigen Erschließungsprozess von Sache und Person verwiesen und betont, dass der Streit um die Wahrheit nur im Dialog ausgetragen werden kann.
Die Untersuchung leistet in der Tat einen »Beitrag zur didaktischen Theorie phänomenologisch orientierter Religionspädagogik«, wie der Untertitel des Buches zu Recht sagt. Sch. hat die phänomenologisch orientierte Religionspädagogik, wie sie nicht zu­letzt an die Namen von Peter Biehl und H.-G. Heimbrock ge­knüpft ist, aufgenommen und in selbstständiger Weise weitergeführt. Dabei ist das Geltendmachen der dritten didaktischen Grundhaltung, »schräge« Perspektiven zu entwickeln, eine wichtige Bereicherung der didaktischen Gesamtdiskussion.
Es ist beachtlich, dass Sch. ihre Überlegungen nicht nur theoretisch-abstrakt vorträgt, sondern im Blick auf die fünf ausgewählten Grunderfahrungen konkret ausarbeitet und im Blick auf die hochschuldidaktische Umsetzung des Konzeptes den Semesterverlauf einer Lehrveranstaltung zum Thema Kreuz und Auferstehung unretuschiert dokumentiert. Dabei ist der Darstellungsstil der Studie nicht einfach das Referat in den Kategorien des distanzierten Sehaktes, sondern Sch. bemüht sich, das Durchdenken der Zu­sammenhänge mit Hilfe der literarischen Zwischenstücke in besonderer Weise zu gestalten, was vom phänomenologischen Zu­gang her durchaus nachvollziehbar ist. Schließlich steht die Religionspädagogik an vielen Orten gegenwärtig und zukünftig vor der Aufgabe, ihre Vermittlungsaufgabe unter den gesellschaftlichen Bedingungen überwiegender Konfessionslosigkeit wahrzunehmen. Ich denke, auch in dieser Hinsicht kann man von der Studie viel lernen.