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Ausgabe:

März/2008

Spalte:

308–309

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Sicouly, Pablo Carlos

Titel/Untertitel:

Schöpfung und Neuschöpfung. »Neuschöpfung« als theologische Kategorie im Werk Jürgen Moltmanns.

Verlag:

Paderborn: Bonifatius 2007. 420 S. gr.8° = Konfessionskundliche und Kontroverstheologische Studien, LXXVI. Lw. EUR 49,90. ISBN 978-3-89710-329-0.

Rezensent:

Hans Schwarz

Der zur Dominikanerprovinz Argentiniens gehörende Vf. hat diese von Medard Kehl betreute Arbeit im Wintersemester 2003/2004 an der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Georgen in Frankfurt als Dissertation eingereicht. Anhand des Gesamtwerks von Jürgen Moltmann erörtert der Vf. eine Grundfrage der Systematischen Theologie: Wie verhalten sich Schöpfung, Erlösung und Vollendung zueinander? Er versucht dabei zu zeigen, dass für Moltmann die Lösung der Problematik in der Kategorie der »Neuschöpfung« liegt.
In einem ersten Teil werden die Hauptwerke Moltmanns von der Theologie der Hoffnung (1964) bis zu Erfahrungen theologischen Denkens (1999) im Hinblick auf das Thema Neuschöpfung durchleuchtet. Aus diesen ca. 100 Seiten seiner Arbeit gewinnt man schon einen guten Überblick über die Hauptwerke Moltmanns, obwohl immer auf das Thema Schöpfung und Neuschöpfung bezogen. Der Vf. resümiert, dass die Kategorie »Neuschöpfung« in allen behandelten Werken Moltmanns präsent ist und »eine wichtige systematische Rolle einnimmt« (128). Er unterscheidet drei Phasen bezüglich der Kategorie »Neuschöpfung« bei Moltmann, zunächst die von der Theologie der Hoffnung geprägte Phase (1964–1970), dann die durch die Kreuzestheologie und Trinität gekennzeichnete (1972–1980) und schließlich die von der ökologischen Problematik durchdrungene. In dieser dritten Phase, die die Jahre 1985–1999 umfasst, wird das Paradigma »Natur« als »ergänzende Instanz ge­genüber einer rein geschichtlichen Sicht der Wirklichkeit« aufgenommen (132).
Der zweite Teil der Arbeit ist Moltmanns Auseinandersetzung mit seinen philosophischen und theologischen Quellen und Ge­sprächspartnern gewidmet. Auf gut 100 Seiten wird ausführlich auf den Einfluss eingegangen, den Ernst Bloch und Georg Wilhelm Friedrich Hegel auf Moltmann ausübten. Interessant ist, dass bei den philosophischen Gesprächspartnern auch auf Georg Picht verwiesen wird. Erhellend sind in diesem Teil gelegentliche biographische Bemerkungen wie etwa, dass Moltmann 1960 während seines Urlaubs im Tessin Blochs Das Prinzip Hoffnung gelesen habe und er davon so fasziniert gewesen sei, dass er von der Schönheit der Schweizer Berge nichts wahrnahm. »Ihn habe spontan die Frage bedrängt: ›Warum hat sich die christliche Theologie dieses ihr ureigenstes Thema der Hoffnung entgehen lassen?‹« (140, Anm. 8). Sachkundig zeigt der Vf. auf, dass Moltmann von Bloch die Kategorie »Novum« aufnimmt und sie von einer religionskritischen zu einer theologischen Kategorie umwandelt (150). Kritisch fragt er an, ob von Moltmann die aus Blochs Instrumentarium übernommenen Elemente auch theologisch hinreichend kritisiert und formuliert worden sind (152). Bei der Auseinandersetzung Moltmanns mit Hegel erkennt der Vf. den Einfluss von Hans Joachim Iwand. In dessen Christologievorlesung findet sich der von Moltmann rezipierte Begriff Hegels vom »spekulativen Karfreitag« (153), den er versteht »(1.) Als Aufdeckung der Gottesverlassenheit Christi und der Schöpfung, (2.) als quasi-metaphysische Grundlage einer neuen, wahren Schöpfung und (3.) als Antizipation der Teilhabe alles Seienden an der Auferstehung (›Zukunft Christ‹) in der Neuschöpfung« (155).
Als zweite Quelle für Moltmanns theologische Reflexionen wird auf die reformatorischen Traditionen hingewiesen, be­son­ders auf die reformierte Föderaltheologie, wobei besonders der Begriff der Bundestreue Gottes bei Moltmann großes Gewicht erhält. Er wird zur Grundlage »der Vermittlung von Schöpfung und Neuschöpfung als ›dialektischer Identität‹ in Kontinuität und Diskontinuität« (173). Auch bei der Lektüre Calvins wird von Moltmann wieder die Treue Gottes betont, wogegen Moltmanns Zugang zu Martin Luther nur indirekt über die Vermittlung anderer Autoren ge­schah, besonders über seinen Lehrer Hans Joachim Iwand (178). Aber anders als sein Lehrer Iwand hat sich Moltmann kaum mit Luthers Deutung der »Rechtfertigung« als »neue Schöpfung« auseinandergesetzt (179). Der Pietismus hingegen mit seiner mystischen und apokalyptischen Vorstellungswelt sowie mit seinen kosmischen und chiliastischen Traditionen findet von den frühesten bis zu den letzten Schriften Moltmanns Beachtung (192). Bei den evangelischen Theologen des 20. Jh.s findet der Vf. bei Moltmann besonders Einflüsse von Hans Joachim Iwand (u. a. sein eschatologisches Verständnis der natürlichen Theologie), Ernst Käsemann (Neuschöpfung als kosmische Verwirklichung der Gottesgerechtigkeit) und Arnold Albert van Ruler (Verhältnisbestimmung von Altem und Neuem Testament), wohingegen Barth, Bultmann und Pannenberg als »Kontrastfiguren« dienen. Von der römisch-katholischen Seite her werden Hans Urs von Balthasar, Karl Rahner und Yves Congar in ihrem Einfluss auf Moltmann kurz skizziert.
In einem dritten Teil bietet der Vf. eine synthetisch-systematische Sicht von Schöpfung und Neuschöpfung, wobei zuerst von Neuschöpfung als nova creatio ex nihilo gesprochen wird, dann von Neuschöpfung im Prozess der Geschichte Gottes mit der Welt (kreuzestheologisch-trinitarische Vermittlung von Schöpfung und Neuschöpfung) und schließlich von Neuschöpfung als nova creatio ex vetere (neue Realpräsenz Gottes im Raum der Schöpfung als Realverheißung der Neuschöpfung). Wie schon am Anfang angedeutet, bilanziert der Vf., dass bei Moltmann tatsächlich verschiedene Modelle der Verhältnisbestimmung von Schöpfung und Neuschöpfung festzustellen sind, die jeweils verschiedene Kontexte, Paradigmen und inhaltliche Optionen in dessen Werk widerspiegeln (354). Dabei zeigt sich allerdings, dass Moltmann »zuweilen zu Schlussfolgerungen jenseits der gemeinsamen christlichen theologischen Tradition« kommt (362). So etwa bei seiner Option für Millenarismus, Allversöhnung und Wiederbringung des Alls (aller Lebewesen). Zudem findet man, ähnlich wie bei Barth, einen allmählichen Übergang von der Dialektik zur Analogie (365). Die im­mense Betonung der nova creatio ex nihilo ge­schieht bei Moltmann, so der Vf., um den Preis mangelnder Wertschätzung der vorhandenen Schöpfung (364). So fragt der Vf., ob bei Moltmann nicht unter »dem Zwang eines idealistischen Denkkorsetts« das christliche »Novum« und das Wunder der Liebe und Freiheit Gottes preisgegeben oder zumindest verdunkelt wird (373).
Ein ausführliches Literaturverzeichnis und ein Personenregis­ter runden die solide und sehr flüssig geschriebene Arbeit ab, die trotz einiger kritischer Anmerkungen zu Moltmann dessen Intentionen voll gerecht wird und eine fundierte Einführung in dessen Werk bietet. Dem Urteil Medard Kehls in seinem Geleitwort ist beizupflichten: »Für eine künftige Rezeption der Theologie Moltmanns dürfte diese Untersuchung den wichtigen Dienst des ge­nauen Hinschauens und damit des differenzierten Urteils geleistet haben« (14).