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Ausgabe:

März/2008

Spalte:

295–297

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Müller, Klaus

Titel/Untertitel:

Glauben – Fragen – Denken. Bd. I: Basisthemen in der Begegnung von Philosophie und Theologie.

Verlag:

Münster: Aschendorff 2006. XVIII, 350 S. gr.8°. Kart. EUR 16,80. ISBN 978-3-402-00420-3.

Rezensent:

Hartmut Rosenau

Zwischen Glauben und Denken stellt M. das Fragen – nicht nur deswegen, weil der Glaube durch die gegenwärtigen Entwicklungen einer pluralen Gesellschaft faktisch fraglich geworden, sondern weil er von Anfang an und bleibend frag-würdig ist. Denn christlicher Glaube ist denkender Glaube (C. H. Ratschow), der bereit ist, Rechenschaft über seine Inhalte und Konstitutionsbedingungen abzulegen, wie M. programmatisch von 1Petr 3,15 herleitet (2). Insofern ist er ein wesentlich auf (begriffliche) Vermittlung und Kommunikation angelegter Glaube, und darum ist in der Tat das Fragen die Frömmigkeit des Denkens (M. Heidegger). Daher hat es auch seit jeher Begegnungen zwischen Philosophie und Theologie gegeben, wobei solche Begegnungen nicht immer harmonisch ausgefallen sind. Schon zu neutestamentlichen Zeiten ist das Beziehungsgeflecht zwischen Philosophie und Theologie äußerst komplex und alles andere als linear zwischen Paulus und Johannes gewachsen, wie M. etwas vereinfachend annimmt (33). In protestantischer Tradition gibt es hier eher Abgrenzungstendenzen, wenn auch z. B. bei M. Luther (vgl. seine Disputatio de homine aus dem Jahr 1536) nicht pauschal gegen »die« Vernunft, sondern nur gegen die Vernunft coram Deo, was einen Lobpreis auf die Vernunft coram mundo nicht ausschließt (leider differenziert M. hier nicht anhand von Quellentexten, sondern folgt aus dem Kontext gelösten pauschalisierenden Lutherzitaten der Sekundärliteratur, vgl. 292). Demgegenüber hat die römisch-katholische Tradition, die M. als Professor für philosophische Grundfragen der Theologie an der Universität Münster vertritt, insbesondere vor dem Hintergrund einer positiven Zuordnung von Natur und Gnade vor allem bei Thomas von Aquin im Prinzip ein eher integrierendes Verhältnis zur Philosophie, was sich auch im vorliegenden Lehr- und Studienbuch (dem ersten von insgesamt drei geplanten Bänden) fortsetzt (46 f.59).
Die aktuelle Motivation M.s zu dieser kritischen Befragung theo­logischer Wahrheits- und Gewissheitsansprüche liegt in der Wahrnehmung einer inzwischen unabsehbar zunehmenden, weitgehend diffusen Religiosität globalen Ausmaßes (XV), die durchaus Irritationen und Orientierungskrisen auch des eigenen (katholischen) Glaubens bewirken mag. Ob dabei die Philosophie, hier entgegen ihrem Selbstverständnis als »Vorschule theologischen Denkens« (XVI) eingeführt und benutzt, eher stabilisierend oder nicht doch mehr zersetzend wirkt, wenn sie mit den Wahrheitsansprüchen des Glaubens konfrontiert wird, bleibt auch angesichts dieses mit Blick auf die Erfordernisse der neuen konsekutiven Studiengänge (Bachelor/Master) angelegten Lehrbuchs eine letztlich offene Frage. Eine »Einladung … zum Selberdenken« (XVII) ist es auf jeden Fall, und insofern hat M. sein Ziel erreicht.
Entsprechend den Erfordernissen der neuen Studiengänge geht das Studienbuch in seinen zehn großen Kapiteln zu Grundsatzfragen von Glauben und Denken, zur Sprachphilosophie und Hermeneutik, zur Ethik (dieses Kapitel ist besonders klar und gut gelungen) und Anthropologie (dieses Kapitel ist weniger klar und gut gelungen) sowie zu Religionskritik und philosophischer Gotteslehre sprachlich wie sachlich elementar vor. Repräsentative Quel­lentexte sowie einschlägige Sekundärliteratur werden zu Beginn eines jeden Kapitels genannt; zum Teil werden die Quellen (in deutscher Übersetzung) auch im Haupttext ausführlich zitiert und erläutert, wie z. B. in Kapitel 10 zum Thema der Gottesbeweise. Durchweg werden viele (manchmal zu viele, zu salopp formulierte und dann verwirrende) Zwischenüberschriften zur Gliederung des Stoffes in historischer wie systematischer Perspektive gegeben. Zudem bringt M. auch eine Reihe von Beispielen zur Veranschaulichung abstrakter Problemstellungen. Besonders gut gelungen und hilfreich sind die Beispiele aus der Medienwelt (Virtualität) zur Erläuterung des Universalienstreits und von Wahrheitstheorien (88 ff.). So geling es M. durchaus zu zeigen, warum die Theologie sich aus ihrem eigenen In­teresse der Philosophie öffnen sollte (ein umgekehrtes Interesse ist allerdings weniger deutlich zu vermitteln). Wenn M. dabei auch im­mer wieder auf das klassische Analogiedenken zu sprechen kommt, müsste allerdings noch eine innere Unausgeglichenheit be­dacht und möglichst behoben werden. Denn wenn einerseits z. B. im Blick auf Thomas von Aquin das Analogiedenken als angemessene Methode der Gotteserkenntnis gelobt und modifiziert aufgenommen wird, so wird dasselbe Analogiedenken im Blick auf die klassische Religionskritik getadelt bzw. problematisiert (283). Überzeugend ist jedoch der von M. subtil herausgearbeitete Zusammenhang von Hermeneutik, Theologie und Ethik (158). Auch der Rekurs auf das alt-ehrwürdige philosophische Pathos des Staunens, das in seiner Be­deutung als Zugang auch zur Religion gegenwärtig wiederentdeckt wird (15) und den typisch neuzeitlichen Anfang mit dem metho­dischen Zweifel ablöst, ist bedenkenswert.
Insgesamt vertritt M. zwar nicht einen vordergründigen Vernunftoptimismus zu einlinig apologetischen Zwecken, als sei der christliche Glaube durch und durch rational zu vermitteln. Aber ihm liegt daran zu zeigen, dass der Glaube der Vernunft zumindest nicht widerspricht (3) und insofern nicht irrational, sondern transrational ist. Ob damit allerdings schon die Tür zur Transzendenz mit Hilfe einer Dialektik der »Grenze« menschlicher Denkmöglichkeiten gefunden ist (14), mag man bezweifeln. Ersetzt man in diesem Zusammenhang die »Grenze« z. B. im Sinne Fichtes durch »Schranke«, so bleibt diese Tür doch versperrt. Hier zeigt sich ein ge­wisser Eklektizismus in der – zielorientierten – Auswahl von Philosophen und Positionen sowie eine nicht immer nachvollziehbare (subjektive) Wertung ihrer Bedeutung auf Grund von Autorität und Tradition (z. B. die von Platon und Kant, 3 f.). Nur so kann die steile These M.s einleuchten, dass in den letzten beiden Jahrhunderten die menschliche Vernunft keine stärkere öffentliche Verteidigung erfahren habe als seitens der römisch-katholischen Kirche (25). Solche überzogen parteilichen Stellungnahmen schmälern aber nicht den durchweg hohen informativen Wert des Studienbuchs, zumal nicht nur die klassische Tradition der abendländischen Metaphysik, sondern auch die neuere anglo-amerikanische sprachanalytische Philosophie ausführlich aufgenommen und in ihrer auch theo­logischen Relevanz dargestellt wird. Weitgehend wird allerdings die Tradition der Existenztheologie und -philosophie von Kierkegaard bis Sartre ausgeklammert, obwohl die konstitutive Bedeutung der Subjektivität für die Begegnung von Philosophie und Theologie stärker als üblich von M. gesehen und betont wird.
Alles in allem hat M. ein gut lesbares, informatives und anregendes Lehrbuch vorgelegt, das freilich innerhalb der Grenzen der »katholischen« Vernunft bleibt (insofern ist es auch entschuldbar, wenn der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland irrtüm­licherweise »Bischof« genannt wird, 129). Auf den zweiten und dritten Band des Werkes kann man gespannt sein.