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Ausgabe:

März/2008

Spalte:

293–295

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Kistner, Peter

Titel/Untertitel:

Glaubenspluralität – Glaubenswahrheit: Zur Frage eines theologischen Wahrheitskriteriums.

Verlag:

Berlin: LIT 2006. IV, 244 S. gr.8°. Kart. EUR 24,90. ISBN 978-3-8258-9702-4.

Rezensent:

Eberhard Pausch

Diese Dissertation der Katholisch-Theologischen Fakultät Tübingen widmet sich der Wahrheitsthematik. Der Autor knüpft dabei an klassische theologische und philosophische Traditionen an. Im Hinblick auf den Wahrheitsbegriff greift er etwa die korrespondenztheoretische Definition von Thomas von Aquin (»veritas est adaequatio rei et intellectus«) auf, hinsichtlich des Verfahrens der Wahrheitsgewinnung folgt er grundsätzlich H.-G. Gadamer. So kann er Wahrheitsfindung als kreativen hermeneutischen Prozess beschreiben, der durch »Horizontverschmelzungen« voranschreitet. Mit Hilfe des definitionalen Ansatzes verankert er Wahrheit im Horizont von Wirklichkeit, in hermeneutischer Perspektive sieht er die erschließbare Wirklichkeit jeweils auf eine Vielzahl möglicher Interpretationen bezogen. Diese Interpretationen können einer schrittweisen Annäherung (Approximation/Iteration) an die Wahrheit dienen. Die Pluralität der Interpretationen kann ferner dazu dienen, den Glaubenspluralismus bzw. einen binnenkirchlichen Pluralismus zu stärken, den K. unter Berufung auf die Internationale Theologenkommission und Papst Paul VI. als hohes Gut, ja, als »Unterpfand geistiger Freiheit« (33) versteht.
Nun ist die Wertschätzung der Korrespondenztheorie der Wahr­heit verständlich. Allerdings verkennt K. im Blick auf die gängigen Wahrheitstheorien der Gegenwart die Leistungsfähigkeit der von L. B. Puntel vertretenen Variante der Kohärenztheorie der Wahrheit und unterwirft K. Poppers fallibilistisches Konzept der Wahrheitsfindung einer überzogenen Kritik (95 f.111). Denn selbstverständlich wird durch dieses Konzept Wahrheit erschlossen: Jede kontradiktorische Negation einer falsifizierten Aussage ist zwangsläufig wahr. Man kann K. allerdings folgen, wenn er Gadamers hermeneutische Konzeption bei der Auslegung von Glaubensäußerungen als hilfreich betrachtet. Und man wird aus protestantischer Perspektive K.s Absicht begrüßen können, aus der Vielfalt theologischer Interpretationen eine »Glaubenspluralität« zu begründen. Aber gelingt ihm dies? Wenn ja, auf welcher wahrheitstheoretischen Grundlage? Konkret und zugespitzt fragt man sich, welches Wahrheitskriterium K. vertritt.
Nach K. kann das »... Wahrheitskriterium nur die Wahrheit selbst sein und das, was als begriffliches definiens zu ihr gehört ...« (110) bzw. »Wahrheitskriterium des hermeneutischen Verfahrens der Wahrheitsfindung ist die Wahrheitsaussage« (212). Das klingt nach einem logischen Zirkel. Schaut man genauer hin, plädiert K. dafür, die Wahrheit (veritas) an der Wirklichkeit (res) zu messen, welche nach Thomas’ Definition als definiens der veritas fungiert. Wie aber erlangen wir Erkenntnis der Wirklichkeit? K. antwortet offenbarungstheologisch: dadurch, dass sich Gott als die alles be­stimmende Wirklichkeit uns je und je erschließt. Die ihm widerfahrende Offenbarung Gottes hat der Mensch in einer Willensentscheidung anzuerkennen, Glaube ist somit wesentlich ein volitiver Akt (188–190). Die Wahrheit des Glaubens bezieht sich aber, so K., nicht auf »... Tatsachen, die dem Erkenntnisvermögen des menschlichen Geistes sicher oder wenigstens typischerweise zugänglich sind«. Solche gehörten vielmehr bloß in den Kontext von Wahrheitsaussagen, jegliche (!) kriterielle Funktion für die Glaubenswahrheit aber sei ihnen abzusprechen (216). K.s Argumentation läuft auf die These hinaus, nur Übernatürliches sei wirklich wahr. An dieser Stelle rächt es sich, dass K.s Dissertation teilweise ziemlich abstrakt bleibt, indem sie fast nie mit Beispielen arbeitet. Die einzige Ausnahme bildet, soweit ich sehe, der Rückbezug auf das Apostelkonzil als vermeintlich geglücktes Verfahrensbeispiel theologischer Wahrheitsfindung (221–224). Wie steht es aber mit den im Apostolicum bezeugten Aussagen, Jesus Christus sei »gekreuzigt, gestorben und begraben«? Sind diese Sätze, die doch zweifellos einen historischen Sinn haben, für K. wahrheits-irrelevant, weil nicht auf Übernatürliches rekurrierend (während die Auferstehung Jesu als wahr zu glauben ist)? Falls ja, was würde dies im Dialog mit dem Islam bedeuten, der die Wahrheit des Kreuzestodes Jesu be­streitet? Sodann: Wenn Wahrheit in der Wirklichkeit der übernatürlichen Offenbarung begegnet und vom Menschen in einem Willensakt akzeptiert werden muss, dann kann sie in keiner Weise mehr widerlegt werden. So begründet K. seine Doppelthese von der inerranten Wahrheit der Heiligen Schrift und der infalliblen Wahrheit des kirchlichen Lehramts. Er spricht sogar von einem »Falsifizierungsverbot im Wahrheitsfindungsverfahren« (226), was durch die Ablehnung von Poppers Konzept vorbereitet ist.
K. gelangt dennoch zu einer Bejahung des Glaubenspluralis­mus, indem er argumentiert, auch das Nicht-Falsifizierbare bleibe in jedem Fall interpretierbar, und Interpretationen gebe es stets im Plural (229). Freilich ist der so eröffnete Pluralismus ein eingeschränkter, denn er muss ja alle diejenigen Theologien ablehnen, die Glaubensaussagen grundsätzlich für falsifizierbar halten, also zum Beispiel die theologischen Traditionen der Kirchen der Reformation. Und in der Tat werden die »Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen und die Reformation in Deutschland durch Martin Luther« (21) in einem Atemzug genannt als Beispiele für »Vorzeichen religiöser und konfessioneller Pluralität und Subjektivität« (ebd.). Leider wird an keiner Stelle in dieser Arbeit eine konfessionalistisch-enge Sichtweise überschritten. K.s Arbeit verfehlt daher die ökumenische Weite einer echten Glaubenspluralität, die Wahrheits- und Irrtumsfähigkeit der Kirche konstruktiv zusammen denken kann.