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Ausgabe:

März/2008

Spalte:

291–293

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Hailer, Martin

Titel/Untertitel:

Glauben und Wissen. Arbeitsbuch Theologie und Philosophie.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2006. 251 S. gr.8°. Kart. EUR 19,90. ISBN 978-3-525-60427-4.

Rezensent:

Christian Polke

Das Verhältnis von Glauben und Wissen gehört zu den spannungsreichsten in der Geschichte des Denkens. Elementare Grundkenntnisse anhand zentraler Problemstellungen zu vermitteln, ist das An­liegen eines gleichnamigen Arbeitsbuches von Martin Hailer. Schließ­lich wäre Reflexionsverweigerung in diesen Dingen für die Theologie ein »schlechter Ratgeber« (11), gehört doch religionsphilosophisches Wissen zum unverzichtbaren Kern des Theologiestudiums.
Zwei Grundkonflikte prägen nach H. die Beziehung von Glauben und Wissen: Auf der einen Seite argumentieren Philosophen gegen die dichterisch-mythische Rede von Gott mit der Strenge des Denkens, wobei philosophische »Arbeit am Mythos« nicht ausgeschlossen ist (19 ff.); hingegen fragt sich auf der anderen Seite der biblische Theologe, ob sein »Herr« überhaupt etwas gemein hat mit dem Gott der Griechen. Gedacht ist bei Letzterem wohl an die gesamte griechisch inspirierte Philosophie (vgl. 51 f.). Pascal jedenfalls wusste hierauf eine eindeutige Antwort (37 ff.). Doch wie steht es mit uns?
Wie typisierend und damit in der Sache vereinfachend H. die Konflikte versteht, kann man sich an folgender Charakterisierung verdeutlichen. Grundkonflikt I zwischen mythischer und philosophischer Gottesrede orientiert sich an der Frage: Welche Form vom Göttlichen zu sprechen ist angemessen? (226) Dass eine solche Alternative schief zu werden droht, zeigen die folgenden Sätze: »Er fragt nicht danach, ob es Gott, Götter oder Höheres gibt, vielmehr ist ihm dies ganz selbstverständlich.« (Ebd.) Doch zumindest philosophisch inspirierte Religionskritik will in dieser Hinsicht mehr. Nicht viel anders verhält es sich beim Grundkonflikt II, der sich mit dem Gegenüber von biblischem Gott und seinem philosophischen Widerpart beschäftigt. Heißt hier die entscheidende Frage: Wo ist Gott?, folgt darauf die Erkenntnis: »Seine Ur-Geschichte problematisiert genau das.« (228) Jedoch: Was für die biblischen Texte durchaus heuristischen Wert haben mag, geht an den Werken der Philosophie schlicht vorbei. Oder an welche Urgeschichte des griechischen Gottes, der im Buch ja stets als Gott der Philosophen auftritt, soll man denken? Völlig pauschal wirkt schließlich die Behauptung, nicht nur die reformatorische Theologie und Pascal, sondern auch Barth, Bultmann, Tillich und Iwand (man achte auf die Zusammenstellung!) rückten diesen Grundkonflikt in den Mittelpunkt ihrer Theologie (229).
Angesichts solcher Stellen ist zu fragen, ob man gut daran tut, zwei Grundalternativen in solcher Weise als Konflikte zu stilisieren und sie dann auch noch als roten Faden für die Anlage eines einführenden Arbeitsbuches zu verwenden. Das gilt umso mehr, als es H. nicht unterlässt, im Schlusskapitel sein eigenes Plädoyer für eine Theologie ohne philosophische Stützung zu entfalten (233 ff.). Bedenkt man, dass der im Vorwort (5) anvisierte Adressatenkreis keinerlei Vorkenntnisse in Philosophie oder Theologie mitbringen muss, dann lässt sich eine solch folgenschwere Vorentscheidung mit den dann zu Tage tretenden Ergebnissen kaum verantworten.
Die Polemik, die H. z. B. gegen die Rede von Gott als »alles bestimmender Wirklichkeit« fährt, mündet in die Feststellung eines kontradiktorischen Widerspruchs zum biblischen Gott. Seine Begründungsversuche hierfür mögen allerdings kaum überzeugen. Dass zudem die Aufgabe der Theologie in der Explikation von Gottes Gegenentwurf zu unserer Wirklichkeit (247) gesehen wird, ist eine sehr spezielle Position, die mehr Entfaltung bedarf, als sie ihr am Ende widerfährt. In einem einführenden Lehrbuch hat sie freilich in dieser Emphase nichts zu suchen, schon gar nicht im abschließenden Kapitel.
Ein streng geschichtliches oder problemorientiertes Vorgehen bei gleichzeitiger Enthaltung eigener Grundüberzeugungen wäre der Sache dienlicher gewesen.
Nun aber zum Aufbau der einzelnen Kapitel: H. ist – trotz gegenteiliger Behauptung (17) – sichtlich um eine hinreichende Erfassung der wichtigsten Autoren und Themenbestände bemüht. Beginnend bei Platon und Aristoteles wird der Leser über Thomas, Leibniz, Kant und Hegel ins 19. und 20. Jh. geführt. Eine echte Theorielücke muss man bedauerlicherweise im Bezug auf den Vater der neuzeitlichen Philosophie, René Descartes, feststellen. Dabei unterscheiden sich die einzelnen Abschnitte hinsichtlich ihrer Themenvielfalt beträchtlich: Während sich das dritte Kapitel des Buches (55 ff.) Platon und dessen Rezeption durch Augustin nicht ohne Berücksichtigung möglicher psychoanalytischer Seitenstränge zum Thema »Gott und Seele« nähert, beschäftigt sich ein anderes fast ausschließlich mit der Leibnizschen Fassung der Theodizee (93 ff.). Kapitel 7 (131 ff.) hingegen widmet sich dem Religionsbegriff, und zwar anhand zweier großer Gestalten der Theologiegeschichte, die leider einseitig und m. E. bisweilen verfehlt gegenübergestellt werden. Das Kapitel ist auch deswegen symptomatisch für H.s Buch, weil es die Gefahren einer allzu pauschalen Behandlung der verschiedenen Stationen offenkundig macht. So wird Schleiermacher fast ausschließlich von seinen Reden her verstanden und zitiert. Die einschlägigen Passagen aus der Glaubenslehre werden zwar kurz erwähnt, erfahren aber anders als die zweite der Reden keine eingehende Analyse. Gerade darin liegt aber offenkundig ein didaktisches Geschick H.s. Problematischer noch ist die unzureichende Explikation der Barthschen Gegenposition, die weniger in der Formel »Religion ist Unglaube« (aus KD I/2) begründet liegt als im Gedanken der Offenbarung als strikter Selbst-Offenbarung (also KD I/1). Skurril verfährt schließlich das Kapitel über die Religionskritik (188 ff.). Neben der Behandlung verschiedener Argumentationstypen werden ausführlich Karl Marx und die neuere Monotheismusthese von Jan Assmann traktiert. Verweist Letzterer auf die Aktualität religionskritischer Themen für die Theologie, verwundert es dagegen, wenn man Marx als den Klassiker vorgestellt bekommt, der durch seine Theorie des Geldes (!) und die These vom »Fetisch Kapital« als Religionsersatz Entscheidendes zur Thematik beigetragen hat (vgl. 195–199). Wie anders soll man eine derart ausführliche Behandlung des Stoffes sonst bewerten (vgl. auch 246 f.)? Am ehesten gelingt H. eine Grundorientierung in Sachen Glauben und Wissen noch in der Einführung in die analytische Philosophie und ihrer theologischen Lesart (207 ff.). Hier merkt man den Ausführungen an, dass H. an dieser Stelle ein starkes Eigeninteresse mitbringt.
Es sollte deutlich geworden sein, dass das Buch zu viel auf einmal will. Dementsprechend weit fällt es hinter die von ihm anvisierten Ziele zurück. Ärgerlich ist der bisweilen ins anekdotenhafte ausweichende Stil. So überwiegt im Argumentationsverlauf der einzelnen Kapitel eher das assoziative Denken als die begriffliche und sprachliche Präzision.
Die Folge solch laxer Formulierungspraktiken zeigt sich u. a. am Beginn des Hegelabschnitts. Dort wird der Leser darüber aufgeklärt, dass Kant zwar wissen möchte, »wie unsere alltägliche Erfahrung funktioniert, aber er schließt jede inhaltliche Erfahrung aus seiner Philosophie aus« (149). Und weiter: »Nur unter Absehung von der Erfahrung kommen wir sozusagen in den Bereich der bei allen Menschen gleich, bei allen und zu allen Zeiten voraus gesetzt werden darf.« (Ebd.) Was ist hier eigentlich unter Erfahrung gemeint? Ist »Absehung« wirklich der geeignete sprachliche Ausdruck um die transzendentale Methode der kantischen Philosophie zu beschreiben? Was für ein Gesamtverständnis der Philosophie Kants wird dadurch suggeriert?
Abschließend sei noch kurz auf die didaktischen Elemente des Ar­beitsbuches eingegangen. Am Ende jeden Kapitels findet der Be­nutzer Hinweise zu Quellenstudium und vertiefender Lektüre sowie Anleitungsfragen. Naturgemäß fallen diese höchst unterschiedlich aus, leiten aber durchaus zur gemeinsamen Arbeit an. Trotz des selbstkritischen Einwandes, wonach die eigene »Bücherliste … in sich recht heterogen« (249) ausfällt, wäre ein studiengerechterer Überblick zur gegenwärtigen, religionsphilosophischen Standardliteratur hilfreich gewesen. H.s diesbezüglicher Versuch weist nicht geringe Einseitigkeiten bzw. Lücken auf (z. B. die Einführungsbände von Härle, Pannenberg oder Ricken). So wird man grundsätzlich nicht sagen können, mit diesem Werk sei ein Optimum sachgemäßer Einleitung in die Thematik gelungen.