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Ausgabe:

März/2008

Spalte:

286–287

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Ewald, Günter

Titel/Untertitel:

Gehirn, Seele und Computer. Der Mensch im Quantenzeitalter.

Verlag:

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2006. 156 S. m. Abb. gr.8°. Geb. EUR 34,90. ISBN 978-3-534-19615-9.

Rezensent:

Dirk Evers

In jüngster Zeit sind in der protestantischen Theologie Stimmen laut geworden, die eine Rehabilitation des Seelenbegriffs und der Rede von einer Unsterblichkeit der Seele zur Stärkung der »Kontinuitätsgewissheit« der Glaubenden fordern (z. B. Ch. Gestrich, Zeitzeichen 07/2007). Da mag vielleicht auch dem Buch des emeritierten Bochumer Mathematikers Günter Ewald theologische Aufmerksamkeit zuteil werden, der sich dieser Frage von Seiten der Naturwissenschaften nähert. E. hat sich in den letzten Jahren wiederholt zu Fragen des Zusammenhangs von Physik und Jenseits geäußert und sich dabei vor allen Dingen mit den sog. Nahtoderfahrungen beschäftigt. Sein neuestes Werk stellt einen Par­forceritt dar, in dem E. von der Kosmologie über Chaostheorie, Quantencomputer und Hirnforschung bis hin zu paranormalen Phänomenen den Zusammenhang von Materie, Leben und Geist neu bedenken möchte.
E. beginnt mit einigen Überlegungen zur nicht-linearen Dynamik von Hirnprozessen, die belegen sollen, dass der Anspruch der neueren Hirnforschung, Geist und Bewusstsein materiell erklären zu können, weit überzogen ist. Dieses Argument wird im zweiten Teil vertieft, in dem die Quantenphysik und die Funktionsweise sog. Quantencomputer auf das Verständnis der Vorgänge im Gehirn angewendet werden. Der dritte Teil bettet die These, dass das menschliche Gehirn Eigenschaften eines Quantencomputers zeigt, ein in eine Sicht der Evolution, die durch ein universales Geistprinzip gesteuert wird. Dieses zeige sich etwa in den Naturgesetzen, in biologischen Gestaltprinzipien, in den tiefenpsychologischen Archetypen, aber auch in paranormalen Geistphänomenen, z. B. den Nahtoderfahrungen, in denen sich eine immaterielle Seele vom materiellen Körper löse. Der vierte, mit »Transzendenz« überschriebene Teil des Buches versucht Spekulationen »in Richtung Religion« (110). In Anlehnung an Teilhard de Chardins Omega-Prinzip sucht E. nach einem Denkmodell, in dem eine über den physischen Tod hinaus weiterlebende Seele denkbar wird, die er informationstheoretisch fasst als die »quantenphysikalisch ausgeformte Information, die mein Ich definiert, meine Lebensgeschichte, meine Beziehung zur Umwelt und meinen Mitmenschen« (125). E. spekuliert darüber, wie diese Information vom sterbenden Körper losgelöst und auf einen neuen Informationsträger überspielt werden könnte. Gegen theologische Konzepte, die den Tod des Menschen als das definitive Ende seines Lebens verstehen, möchte er eine durch die Seele vermittelte jenseitige Fortsetzung unserer Existenz denken, die die Unvollkommenheit und Unerfülltheit irdischen Lebens zu kompensieren verspricht.
E.s Buch ist allgemein verständlich geschrieben und eine Auseinandersetzung wert, auch und gerade, wenn man seine Thesen naturwissenschaftlich und theologisch für fragwürdig hält. Es macht jedenfalls deutlich, dass der Seelenbegriff nicht wieder ge­wonnen werden kann, ohne dass Auskunft über seinen ontologischen Status und sein Verhältnis zur Empirie gegeben wird.