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Ausgabe:

März/2008

Spalte:

280–282

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Hamburger, Jeffrey F., and Anne-Marie Bouché [Eds.]

Titel/Untertitel:

The Mind’s Eye. Art and Theological Argument in the Middle Ages.

Verlag:

Princeton: Department of Art and Archaeology, Princeton University, in Association with Princeton University Press 2006. XV, 447 S. m. Abb. 4°. Kart. US$ 32,50. ISBN 978-0-691-12476-6.

Rezensent:

Jörg Ulrich

Bei diesem Band handelt es sich um eine Sammlung von Vorträgen, die auf einer von Jeffrey F. Hamburger (Harvard University) und Anne-Marie Bouché (Princeton University) gemeinsam in Princeton veranstalteten wissenschaftlichen Tagung gehalten wurden. Thema der Konferenz war die Interdependenz von künstlerischem Ausdruck und theologischer Argumentation anhand einschlägig relevanter literarischer und materialer Quellen des Mittelalters. Den Organisatoren war es gelungen, exzellent ausgewiesene Me­diä­visten, Kunsthistoriker und Religionswissenschaftler/Theologen vornehmlich amerikanischer und französischer Herkunft zu­ sammenzubringen, was dem Spektrum und der wissenschaftli­chen Qualität der Publikation sichtlich gutgetan hat. So ver­sammelt der Band insgesamt 18 Aufsätze überwiegend in englischer (zwei in französischer) Sprache, die durch eine Einführung des Herausgebers, einen Bildnachweis für die ca. 200 Abbildungen und durch einen Index abgerundet werden. Den Index, der ge­schicht­liche Gestalten, moderne Verfasser und Ortsnamen recht unvermittelt zusammenstellt, hätte man sich freilich differenzierter und vollständiger gewünscht – gerade angesichts der sonst durchaus aufwändigen und gut gelungenen Gestaltung des Bandes.
Ausweislich der Einführung zielt der Haupttitel »The Mind’s Eye« auf den Zusammenhang zwischen Denken und Sehen bzw. Erkenntnis und Imagination ab (4), indem zum Thema werden soll, inwieweit bildliche Darstellung und theologischer Diskurs im Mittelalter nicht nur einen Dialog eintraten, sondern in-, mit- und untereinander wirkten. Dabei kommt die sich im Mittelalter (nicht zuletzt unter dem Einfluss bildlicher Darstellungsformen) ausprägende Vielfalt von Theologie(n) ebenso in den Blick wie das Phänomen, dass die Kunst ihrerseits argumentative Struktur annahm bzw. die Bilder als Träger von Bedeutung und theologischer Aussage fungierten (5). Unter dieser übergeordneten Fragestellung versteht sich die Aufsatzsammlung als Erkundungsgang (9), der es unternimmt, die bisweilen voneinander isolierten Fächer Kunstgeschichte und Theologie zu beiderlei Nutzen miteinander ins Gespräch und an die gemeinsame Arbeit zu bringen.
Es fällt schwer, einige der 18 Aufsätze im Rahmen einer Besprechung herauszugreifen. Faszinierend sind zweifellos die Beobachtungen von Christian Heck, der in frühmittelalterlichen (Rhabanus Maurus), hochmittelalterlichen (Bernhard von Clairvaux) und späteren (Bonaventura) Quellen beeindruckende Beispiele »spiritueller Topographie« aufzuzeigen vermag (112–132). Die bildliche Systematik geht mit der theologischen Aussage eine enge Verbindung ein, so dass beide einander wechselseitig erhellen. Jean-Claude Schmitt zeigt in einem ausführlichen Beitrag (151–185) auf, wie es gerade die bildlichen Darstellungen sind, die die theologische Vorstellung von der Aufnahme Mariens in den Himmel prägen und damit Einfluss nicht nur auf die Mariologie, sondern auf die christliche Anthropologie des Mittelalters insgesamt ausüben. Caroline Walker Bynum untersucht Darstellungen der Messe des Heiligen Gregor auf Altarmalereien des 15. Jh.s und vermag zu zeigen, dass die gängige Deutung der Gregormesse als Bekräftigung der Transsubstantiationslehre gegen zeitgenössische Kritik so nicht zu halten ist (208–240). Nimmt man die Erkenntnis ernst, dass bildliche Darstellungen nicht einfach Lehre illustrieren, sondern religiöse Erfahrung reflektieren, lässt sich in den Darstellungen der Gregormesse ein entscheidendes Element zur Konstituierung und Kanalisierung einer religiösen Begegnung mit Gott ausmachen. In dieser ist Gott in seiner Abwesenheit, Unsichtbarkeit und Unveränderlichkeit gleichwohl gegenwärtig (231). Jeffrey F. Hamburger unternimmt es in einem programmatischen Aufsatz, den in der Mediaevistik lange unter Anachronismusverdacht stehenden Kunstbegriff für die bildlichen Darstellungen des Mittelalters behutsam zurückzugewinnen (374–412), indem er geltend macht, dass das (mittelalterliche) Kunstwerk eine Theorie des Bildes impliziert und die (religiöse) Erfahrung der Menschen konturiert, strukturiert und nicht zuletzt auch definiert (406).
Einige andere Aufsätze seien hier nur mit Verfasser und Titel genannt, um dem Leser dieser Rezension Geschmack auf die Lektüre des ganzen Bandes zu machen: Jeffrey F. Hamburger unternimmt programmatisch, die in der Einleitung nur kurz andeuteten Gedanken breiter entfaltend, den Versuch einer Bestimmung des »Place of Theology in Medieval Art History« (11–31). Karl F. Morrison untersucht »Anthropology and the Use of Religious Images in the Opus Caroli Regis« (32–45), Andreas Speer widmet sich von Neuem dem in jüngster Zeit viel verhandelten Thema »Is There a Theology of the Gothic Cathedral?« (65–83), Bernard McGinn beschäftigt sich, ausgehend von Hildegard von Bingen und Joachim von Fiore, mit »Theologians as Trinitarian Iconographers« (186–207), Alfred Acres mit »Christ’s Haunted Infancy« (241–262), Barbara Newman mit Christus als Amor in spätmittelalterlicher Kunst und Frömmigkeit (263–286) und Thomas Lentes mit »Rituals of Gazing in the Late Middle Ages« (360–373).
Die große Stärke des Bandes liegt in seinem konsequent interdisziplinären Ansatz. Es ist den Veranstaltern bzw. Herausgebern zu danken, eine so exzellente Gruppe von international renommierten Forschern zusammengebracht und die Ergebnisse der Tagung zügig publiziert zu haben. Das Problem, das bei der Publikation von Tagungsbänden hin und wieder auftaucht, nämlich die relative inhaltliche Heterogenität der gesammelten Beiträge, spielt in diesem Band wegen der strengen Konzentration auf das übergeordnete Thema kaum eine Rolle. Zwar erstrecken sich die Aufsätze zeitlich vom Frühmittelalter (Bouché, Morrison) bis ins 15. Jh. (Walker Bynum), doch vermag die konsequent durchgehaltene Ausrichtung auf den Zusammenhang von »Bild und Gedanke« bzw. »Sehen und Denken« selbst bei einer derart großen Zeitspanne die sachliche Geschlossenheit des Bandes zu gewährleisten. Wichtiger noch ist allerdings die grundsätzliche Perspektive, die sich aus »The Mind’s Eye« ergibt: Das Buch regt auf der wissenschaftslogistischen Ebene dazu an, die konstruktiv-kritische Zu­sammenarbeit der verschiedenen mit dem Mittelalter befassten Disziplinen weiter voranzutreiben, und es inspiriert auf der quellenanalytischen Ebene dazu, den Zusammenhang zwischen künstlerisch-visuellen und denkerisch-textuellen Ausdrucksformen in ihrer Einheit und Unterschiedenheit in Zukunft noch mehr in den Blick zu nehmen. Material für eine in solcher Weise ausgerichtete Forschung bieten die Quellen genug, wobei sie – und hier geht der von »The Mind’s Eye« ausgehende Impuls weit über die Mittelalterforschung hinaus – zudem in sehr grundsätzlicher Weise für den Fragekreis um das Verhältnis und die gegenseitige Befruchtung von Kunst und Theologie exemplarische Bedeutung haben.