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Ausgabe:

März/2008

Spalte:

275–277

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Tloka, Jutta

Titel/Untertitel:

Griechische Christen – Christliche Griechen. Plausibilisierungsstrategien des antiken Christentums bei Origenes und Johannes Chrysostomos.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2005. XII, 295 S. gr.8° = Studien und Texte zu Antike und Chris­tentum, 30. Kart. EUR 54,00. ISBN 3-16-148735-4.

Rezensent:

Ilinca Tanaseanu-Döbler

J. Tloka setzt sich zum Ziel, durch die Untersuchung zweier Schlüsselgestalten der Alten Kirche und ihres Umganges mit der antiken Bildung verschiedene christliche Strategien der Selbstpositionierung und der Mission innerhalb der antiken Gesellschaft aufzuzeigen. Auf Grund der unterschiedlichen historischen Kontexte der beiden christlichen Intellektuellen gliedert T. das Buch in zwei Einzeluntersuchungen, die zum Schluss in einer kurzen Schlussbetrachtung zusammengeführt werden.
Sinnvoll ist ihr Ansatz, die Bildungskonzeptionen der beiden Autoren jeweils in deren theologisches System einzuordnen. Für Origenes stellt sie die Lehre von den präexistenten Vernunftwesen als Schlüssel zu seinem Bildungskonzept vor. T. skizziert Origenes’ Ideal des geprüften, zur Erkenntnis führenden Glaubens als soteriologisches Ziel der Seele. Andererseits hebt sie den hohen Wert hervor, den Origenes dem einfachen Glauben beimisst, welchen er an manchen Stellen als ausreichend zum Heil ansehe. Die Spannung zwischen diesen Äußerungen wird nicht aufgelöst. Eine Erklärung dafür ließe sich finden, wenn das gesamte System des Origenes, namentlich auch die umstrittene Vorstellung von der Wiederherstellung aller Vernunftwesen durch eine Abfolge mehrerer Welten, herangezogen würde; T. vermeidet jedoch jeden Hinweis auf diese Lehre.
Ausgehend von Origenes’ Stellung innerhalb des antiken Bildungssystems diskutiert T. die unterschiedliche Relevanz, die dieser den verschiedenen Bereichen der Bildung einräumt. Ihre Ausführungen verdeutlichen, dass Origenes’ Auseinandersetzung mit der Philosophie ungleich komplexer ist als seine Einstellung zu der enkyklios paideia und der Rhetorik, die er relativ unproblematisch für den Christen instrumentalisieren kann. An sich räume Origenes, so T., der Philosophie auf Grund ihres Strebens nach dem richtigen Leben und der Erkenntnis einen hohen Stellenwert ein, gehe aber davon aus, dass dieses Streben sich im Christentum vollende. Ablehnung des Christentums würde für ihn zum Zeichen des Versagens der zeitgenössischen Philosophen. T. zeigt, dass Origenes’ eigener philosophischer Lehrgang in diesem Kontext als Einordnung in die Konkurrenz der verschiedenen philosophischen Schulen und als Versuch eines Beweises für die Vereinbarkeit des Christentums mit der philosophischen Methode anzusehen ist. Origenes entwickele damit »einen speziell auf die Gebildeten seiner Zeit abgestimmten Weg der Missionierung« (73). Sie arbeitet überzeugend heraus, dass seine Beschäftigung mit der Philosophie von Anfang an im Zeichen missionarischer Absichten, nämlich der intellektuellen Auseinandersetzung mit Heiden und christlichen Häretikern, stand. Sein »Plädoyer für ›Wissenschaftlichkeit‹« (84) diene jedoch nicht nur der Verteidigung nach außen, sondern stelle hohe Forderungen an die Christen, vor allem an den christlichen Lehrer. T. beschreibt Origenes’ Ideal des Lehrers als einer charismatischen Gestalt, unabhängig von der institutionellen Organisation der Kirche; jedoch ohne das Begriffspaar anknüpfend an Max Weber (z. B. Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 41956, I, 140–148, und II, 555–558.662–695) theoretisch zu reflektieren. Sie zeigt, dass Origenes sich dabei an dem philosophischen parrhesia-Ideal orientiert und dass die Rolle des Lehrers in der Kirche derjenigen des Philosophen in der Gesellschaft korrespondiert. Dennoch tendiert sie dazu, zwischen Philosophie und Christentum scharf zu trennen und Ersterer eine dem Christentum untergeordnete Rolle zuzuweisen. Jedoch stellt sich die Frage, ob diese strenge Unterscheidung in jedem Fall durchführbar ist. Gerade wenn Origenes, wie sie plausibel darlegt, erst zwecks wirksamerer Mission anfing, sich mit Philosophie zu beschäftigen, zeigen seine komplexe Auseinandersetzung mit diesem Diskursfeld, sein Versuch, sich als christlicher Philosoph zu positionieren, sowie schließlich die hohen intellektuellen Forderungen, die er an den Idealchristen stellt, dass diese Begegnung für ihn existentiell wie intellektuell von großer Bedeutung war: Die philosophischen Ideale transformieren sein Verständnis des Christentums.
Johannes Chrysostomos ist als Kontrastfigur zu Origenes gut ge­wählt: kein Philosoph, sondern ein Pragmatiker, der in einem ganz anderen historischen Kontext agiert. Auch für ihn skizziert T. ge­glückt die theologischen Voraussetzungen seiner Bildungskonzeption: kein grandioser metaphysischer Entwurf, sondern die Vorstellung der heilsgeschichtlichen Selbsterniedrigung und Anpassung Gottes an die Fähigkeiten der Menschen, welche Glauben und die Bemühung um eine richtige christliche Lebensführung fordere. Dafür benutze Chrysostomos den bedeutungsschwangeren Begriff der politeia, den er (im Gefolge der altkirchlichen Tradition) auf die Zugehörigkeit zur Bürgerschaft des himmlischen Jerusalem beziehe und somit seiner traditionellen Konnotationen entkleide. Die Brisanz dieser Einstellung wird auf dem Hintergrund des historischen Kontextes verständlich, den T. im Anschluss skizziert. Problematisch ist dabei die Gegenüberstellung von »Christentum« und »Hellenismus« als zwei konkurrierenden »Referenzsysteme[n]« der spätantiken, in diese Falle der antiochenischen, Gesellschaft (140 f.174 f.). Diese Gegenüberstellung übernimmt die normative Sichtweise des Chrysostomos; wie aus dessen Kritik an seiner eigenen Gemeinde oder, etwas früher, aus Julians Misopogon deutlich wird, empfanden viele Antiochener keinen Gegensatz zwischen Christentum und hellenistisch geprägter Kultur. T.s Analyse der Schrift zur Kindererziehung zeigt, wie Chrysostomos eine Immunisierung der Kinder durch eine streng christliche, an den mönchischen Tugenden orientierte Erziehung gegen die heidnischen Dimensionen der paideia anstrebt. Damit versuche er, ein wahrhaft christliches Leben in seinem Sinne auch und gerade im Sozialgefüge der Stadt zu ermöglichen.
Durch die konsequente Umdeutung der traditionellen Schlüsselbegriffe für das politische Leben auf die himmlische politeia solle der Bezugspunkt für die Identitätsbildung der antiochenischen Christen von der Stadt auf die überlokale Gemeinschaft der Chris­ten verschoben werden. T. beschreibt sein Verhältnis zur paideia im Spannungsfeld der heidnischen Restaurationsbemühungen einerseits und bildungsfeindlichen christlichen Gruppen andererseits: Zwar spreche er der paideia jede moralische und religiöse Re­levanz für die Gegenwart ab, räume aber insbesondere der Rhetorik angesichts ihrer faktischen gesellschaftlichen Bedeutung eine wichtige Rolle als Hilfsmittel für den Priester ein. So gelingt es T., anschaulich darzustellen, wie der Pragmatiker Chrysostomos sich der klassischen Bildung bedient, um sein Ideal des Christentums durch die Berück­sichtigung der sozialen Wirklichkeit in Antioch­i­en nach Möglichkeit zu verwirklichen.
Als erstes Ergebnis hält T. als fundamentale Gemeinsamkeit fest, dass beide Theologen die charakterbildende und soteriologische Relevanz der paideia negierten. Dies erscheint im Hinblick auf Origenes problematisch, unterstreicht T. doch, dass die richtig gebrauchte paideia dem Christen erst die volle Erkenntnis und somit das dem Vernunftwesen wesenhaft entsprechende Heil bringt. Die zweite These ist, dass sich beide um eine doppelte Plausibilisierung bemühen. Einerseits stehe die Legitimierung des Christentums nach außen an, andererseits plädierten beide, wenngleich im unterschiedlichen Maße und mit unterschiedlichen Zielen, für die Integration der traditionellen Bildung in das Christentum. T.s Ergebnisse weisen auf die grundsätzliche Verankerung des Christentums im Kontext der griechisch-römischen Gesellschaft hin. Für das bessere Verständnis christlicher Einstellungen zur paideia wäre es deswegen wichtig, über den Diskurs der Zweiten Sophistik hinaus die durchaus auch außerhalb des Christentums vorhandenen paideia-kritischen Stimmen einzubeziehen und zu fragen, inwiefern die Christen Anknüpfungspunkte für ihre Kritik etwa bei den Kynikern oder in der Stoa fanden.