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Ausgabe:

März/2008

Spalte:

270–272

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Prien, Hans-Jürgen

Titel/Untertitel:

Das Christentum in Lateinamerika.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2007. 448 S. gr.8° = Kirchengeschichte in Einzeldarstellungen, IV/6. Geb. EUR 48,00. ISBN 978-3-374-02483-4.

Rezensent:

Gilberto da Silva

Der Autor von »Die Geschichte des Christentums in Lateinamerika« (1978) stellt mit dieser Monographie eine kompakte Version seiner langjährigen Untersuchungen dar.
Die gesamte Darstellung ist in zwei umfangreiche Kapitel aufgegliedert: Kapitel 1 – Die Kolonialzeit (65 ff.) behandelt die Kirchengeschichte Lateinamerikas von den Anfängen im 16. Jh. bis zum Beginn des 19. Jh.s, als in einer Reihe von Unabhängigkeitsbewegungen der Kontinent sich von Spanien und Portugal befreien konnte. Die Kirchengeschichte Lateinamerikas nach diesen Vorkommnissen und bis zum Ende des 20. Jh.s wird dann im Kapitel 2 – Lateinamerika im Zeichen der Unabhängigkeit (245 ff.) dargestellt.
Die Ausführungen des ersten Kapitels beginnen mit einem Überblick über den europäischen Hintergrund (65 ff.) der Invasionen; darin erfährt die Spezifität des Christentums auf der Iberischen Halbinsel besondere Aufmerksamkeit. Der Erwählungsglaube von Spaniern und Portugiesen, die Auseinandersetzung mit muslimischer Religion und Kultur im Zuge der Reconquista, die enge Verbindung, besonders Portugals, zu Rom sind Sachverhalte, die hier hervorgehoben werden. In einem zweiten Moment wird in sehr knapper Weise auf die Situation in »Altamerika« (74 ff.), d. h. die Situation der Ureinwohner vor den Invasionen eingegangen. Eine nähere Betrachtung der sog. »präkolumbischen« Religiosität fehlt jedoch. In einem zweiten Teil geht P. auf die politischen und sozialen Aspekte von Invasion und Kolonisation ein (77 ff.). Nach diesen einführenden Schritten geht es dann in einem dritten Teil um den Aufbau der Kolonial- und Missionskirche in Lateinamerika (103 ff.), wo besonders auf die Rolle der Orden bei den ersten missionarischen Tätigkeiten in Lateinamerika hingewiesen wird. Auch die Missionsmethoden und das Zusammenspiel der Ethnien werden hier zum Objekt der Darstellung. In diesem Zusammenhang versucht P. theologisch eine Differenzierung zwischen »Mission« und »Evangelisation« vorzunehmen (123 ff.), die sich jedoch als schwierig erweist und eher in eine konfessionelle Polemik ausartet. Der »Kolonialethik« wird ein eigener Teil gewidmet (136 ff.), in dem P. sich stets bemüht, die Sicht der Urbevölkerung darzustellen. Wegen der Spezifität der Entwicklung in der ehemaligen portugiesischen Kolonie Brasilien wird diese in einem eigenen Abschnitt (158 ff.) dargestellt. Die generelle anti-römisch-katholische Polemik, die das ganze Buch kennzeichnet, wird hier verschärft. Im nächsten Teil (178 ff.) wird auf die Änderungen, die das Konzil von Trient gebracht hat, sowie deren Umsetzung in Lateinamerika eingegangen. Danach wird die Inquisition (196 ff.) thematisiert. Hier werden Urteile gefällt, die methodologisch eine Unterscheidung zwischen Religiösem und Politischem voraussetzen, die jedoch in den damaligen Mentalitäten schwerlich auseinanderzuhalten waren. Volksreligiosität, Volkskatholizismus und Volksfrömmigkeit verdienen einen eigenen Abschnitt (211 ff.), in dem P. wegen des Quellenmangels anhand der Sekundärliteratur die heutige Situation darstellt und daraus Rückschlüsse auf die Kolonialzeit zu ziehen versucht. Die am Ende des Abschnittes aufgeworfene, äußerst interessante Frage nach der Instrumentalisierung der »stärkeren Religion« als Machtfaktor der Unterdrückten (224) wird leider nicht weiter verfolgt. Das Kapitel endet mit Ausführungen zur Aufklärung in Lateinamerika (224 ff.). Hier zeichnet P. die Veränderungen, die mit den neuen Weltbildern der Aufklärung ihren Kurs in Lateinamerika genommen haben, besonders im Sinne von »Regalismus« und »Säkularisierung«, auf.
Das zweite Kapitel, das die Zeit ab den lateinamerikanischen nationalen Bewegungen abhandelt, enthält nur drei große Ab­schnitte. Im ersten Teil (245 ff.) werden besonders die Umbrüche in Kirche und Mission angesichts der Unabhängigkeitsbewegungen dargestellt. Dabei werden auch die Konsequenzen für die unterschiedlichen Bevölkerungsteile bzw. Ethnien berücksichtigt. Vor allem die Auseinandersetzung zwischen »Konservativen« und »Liberalen« spielten in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle. Auf den europäischen »Ultramontanismus« und seine Konsequenzen für Lateinamerika wird ausführlich eingegangen. Der zweite Teil (314 ff.) beschäftigt sich mit der von P. so genannten »Schlussphase des konfessionellen Zeitalters« (vom letzten Drittel des 19. Jh.s bis 1958). Damit verbunden spielen die Einflüsse von »Szientifizismus« und »Positivismus« die maßgebliche Rolle in den geistigen und geistlichen Entwicklungen dieser Epoche. Hier lässt sich P. auf eine dogmatische Auseinandersetzung mit »Fundamentalismus« (318) und nicht lutherischer Lehre (319 f.) ein. Im letzten Abschnitt wird »[d]as Christentum im Zeitalter des Ökumenismus und der Entwicklungskrise der Nationalstaaten« dargestellt. Ge­meint sind die Entwicklungen ab den 60er Jahren des 20. Jh.s, besonders im Zeichen des zweiten Vatikanischen Konzils und der Situation der Kirchen unter den lateinamerikanischen Militärdiktaturen und später unter den Demokratisierungsprozessen, die zumeist in den 80er Jahren eingesetzt haben. Hier wird auch das lateinamerikanische Phänomen der Befreiungstheologie gestreift. Das Buch bietet noch zwei Landkarten, ein sehr nützliches Glossar, ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis und ein Personenregister.
Der im Vorwort vorausgeschickten Warnung P.s, dass »(e)ine erschöpfende Darstellung ... unter den beschränkten Möglichkeiten dieser Reihe in einem Band unmöglich [ist]« (5), ist zuzustimmen. Das fordert vom Leser eine gewisse Nachsicht angesichts der Knappheit etlicher Ausführungen und der Pauschalität mancher Urteile. Methodisch gesehen ist die ganze Darstellung traditionell angelegt, ohne jedwede Impulse der neueren historischen Forschung aufzunehmen (Mentalitäten, Frömmigkeit usw.). Bezüglich der Begrifflichkeit dürfte mehr Sorgfalt zu erwarten sein: der Begriff »Neger« bzw. »Negersklaven« z. B., wenngleich im Portugiesischen nicht negativ behaftet (302, Anm. 245), wirkt hierzulande doch abwertend; Begriffe wie »Protestantismen«, »altgläubige Kirche« (129), »konfessionelles Zeitalter« (314.368, Anm. 543) rufen wiederum den Eindruck von Anachronismus und Polemik hervor; Vergleiche mit »Konzentrationslagern« (175) und nationalsozialistischer Hermeneutik (378) sind äußerst fragwürdig. Die geschichtliche Darstellung, eindeutig aus der Sicht des »deutschen Einwanderungsprotestantismus« (329), die sich in dogmatischen Auseinandersetzungen mit dem sog. »Fundamentalismus« und der römisch-katholischen Kirche im vorliegenden Werk verdichtet, gibt dem Buch einen polemischen Ton, der hier und da für Irritationen sorgen dürfte. Es fällt z. B. auf, dass die überaus bedeutende Theologie von Bartolomé de Las Casas (1484–1566), die eine Antithese zur herrschenden Mentalität der Kolonialzeit in Lateinamerika darstellte, nur am Rande erwähnt wird. In der Darstellung des 20. Jh.s wird der von der Befreiungstheologie eingeleitete Mentalitätenwandel in Theologie und Kirche Lateinamerikas ungenügend gewürdigt.
Das Werk eignet sich jedoch ungeachtet dieser Kritik hervorragend als Nachschlagewerk zur Christentumsgeschichte Lateinamerikas, da es P. gelungen ist, eine Unmenge an Daten und Informationen in kompakter Weise darzustellen.