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Ausgabe:

März/2008

Spalte:

257–259

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Metzger, Paul

Titel/Untertitel:

Katechon. II Thess 2,1–12 im Horizont apokalyptischen Denkens.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2005. XI, 368 S. gr.8° = Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft, 135. Lw. EUR 98,00. ISBN 3-11-018460-5.

Rezensent:

Stefan Beyerle

Die motivkritische Untersuchung zum Lemma κατέχειν κτλ., eine auf Anregung und in Begleitung von O. Böcher verfasste Mainzer Dissertation, widmet sich in fünf Kapiteln jener Macht, die nach 2Thess 2 das Auftreten des ἄνθωπος τῆς ἀνομίας (V. 3) und damit die Wiederkunft Christi verhindert. Damit unternimmt M. nicht weniger, als mit Hilfe konzeptioneller Parallelen aus dem Umfeld apokalyptischer Literatur einer exegetischen crux interpretum zu Leibe zu rücken. Konsequenterweise beschreibt M. zunächst den semantischen Befund von κατέχειν κτλ. in LXX, Philo, Josephus, dem Neuen Testament und zeitgenössischen Apokalypsen. Er bleibt unspezifisch und führt zu einer methodischen Erweiterung, dem »motivisch-phänomenlogischen Vergleich«. So werden neben dem Kontext in 2Thess 2,1–12 konzeptionelle Parallelen in der zeitgenössischen Apokalyptik untersucht, was dann auch die Grobgliederung der folgenden drei Kapitel bestimmt. Zuvor diskutiert M. in einer ausführlichen Interpretationsgeschichte das bzw. den Katechon von den Kirchenvätern über Carl Schmitt bis in die Exegese der Gegenwart. Die Interpretationsmuster reichen von Rom, dem Heiligen Geist über Gott und Paulus zu Engeln und dämonischen Mächten.
Der zweigeteilte Hauptteil der Arbeit widmet sich zunächst 2Thess 2,1–12. M. beginnt mit der Frage der Verfasserschaft. Er nimmt einen Verfasser in apokalyptischen Kreisen Kleinasiens an, deren Situation am Ende des 1. Jh.s n. Chr. durch Verfolgung und Bedrängnis geprägt war. Die Einzelexegese behandelt den Kontext des 2Thess, der die Homogenität der Gemeinde in der Ermöglichung eines ruhigen und unauffälligen Lebens zum Ziel hat, wozu 2,1–12 die theologische Basis biete. Textanalytische Beobachtungen behandeln Grammatik, Syntax und Struktur von 2Thess 2,1–12. Da der Autor einzig hier nicht in Abhängigkeit von 1Thess und anderen paulinischen Briefen steht und die Rede vom »Katechon« (V. 5–7) zudem das Zentrum bildet, worin Gegenwart und Zukunft der Gemeinde angesprochen sind, untersucht M. nach der Strukturanalyse zunächst den Kontext von 2Thess 2,5–7, um danach auf das Katechon in V. 5–7 zu sprechen zu kommen. Die im Rahmen angesprochenen Kräfte und Mächte ( ἄνθωπος τῆς ἀνομίας, υἱὸς τῆς ἀπωλείας, μυστήριον τῆς ἀνομίας, Σατανᾶς), die bisweilen »Dämonisches« in sich tragen, werden zwischen Welt und Jenseits, zwischen Menschlichem und Göttlichem verortet, auch wenn der Duktus keinen Zweifel daran lässt, dass Gott selbst über ihnen steht (vgl. V. 11). Der sich als μυστήριον τῆς ἀνομίας zu einem bestimmten Zeitpunkt offenbarende ἄνομος dient nicht der Entfaltung eines Endzeitgeschehens, sondern der Mahnung an die Gemeinde, in der Gegenwart (vgl. auch V. 6 f.) durch Festhalten an der rechten Lehre sich als »gerecht« und damit als »gerettet« zu erweisen (vgl. V. 11 f.). Und wie das μυστήριον τῆς ἀνομίας zum ἄνομος personifiziert wird, wird das κατέχον zum κατέχων (V. 7). »Katechon« fungiert als gegenwärtiger Faktor, menschlich und dämonisch zu­gleich und in negativer Weise im Heilsplan Gottes wirksam.
Das dritte Kapitel untersucht motivische Parallelen in 2Petr, Apk, 4Esr, syrBar und LAB. Die »Apologie der urchristlichen Eschatologie« (G. Strecker) in 2Petr wehrt der falschen Auffassung von der Permanenz der Welt (vgl. 2Petr 3). Es schließt sich eine Argumentationskette an, die mit dem Zitat aus Ps 90,4 Gott als Souverän der Zeit und alle menschliche Berechnung der Parusie als unmöglich erweist (2Petr 3,8). Hinzu tritt die theologische Begründung im Verweis auf die die < span class="text58">μετάνοια ermöglichende μακροθυμία Gottes in V. 9. Am Ende steht die annihilatio mundi mit der Errichtung einer neuen Welt (V. 12 f.). Insgesamt zeige bei unterschiedlichen Voraussetzungen »Langmut« und »göttliche Zeitauffassung« in 2Petr 3 eine gewisse Vergleichbarkeit mit dem Katechon in 2Thess als je »retardierenden Faktoren« im Endzeitgeschehen. Vergleichbares konstatiert M. in seiner umfassenden Analyse der Apk mit Blick auf die Komposition der Apk sowie retardierende Momente in Apk 5,1–5; 6,9–11; 7,1–6: Sowohl die zunächst negativ beschiedene, dann messianisch gelöste Frage nach jener Person, die des Lösens des siebten Siegels würdig ist, als auch die Vollzahl der Märtyrer und 144000 Versiegelten bieten retardierende Momente. Die zeitlich und in­halt­lich eng zusammengehörenden Texte 4Esr und syrBar betonen einerseits die allein Gott obliegende Entscheidung über den Zeitpunkt des Gerichts (4Esr), wobei die Vorstellungen von der ausbleibenden menschlichen Buße, der unvollständigen Zahl der Gerechten sowie von der Existenz des Imperium Romanum ebenfalls als retardierende Momente im Argumentationsgang genannt werden. Andererseits benennt syrBar mit der Langmut Gottes, der vorbestimmten Weltzeit und der Zahl der Menschen weitere Faktoren, von denen jedoch lediglich die durchaus ambivalent gebrauchte Langmut dem Vergleich mit 2Thess dient. Schließlich fügt LAB 51,3–6 mit der Vorstellung vom Zeitpunkt des individuellen Gerichts einen neuen Akzent hinzu, auch wenn explizit der »Aufhalter« ( quosque revelatur qui tenet: V. 5) genannt ist.
In Kapitel 4 bringt M. zwei Exkurse über Mk 13,10 par. und Qumrantexte. Sowohl Mk 13,10 als auch die synoptischen Parallelen verstehen zwar die Evangeliumsverkündigung als in den göttlichen Heilsplan eingebunden (vgl. Mk: δεῖ und mt Missionstheologie). Jedoch beschreibt jenes Kerygma an keiner Stelle einen retardierenden Faktor, da die Verkündigung nirgends das Eschaton determiniert. Andererseits bieten die Belege aus Qumran nicht nur die unterschiedlich benannten Widersacher als endzeitliche Ge­gen­spieler (s. 2Thess 2,3), sondern kennen auch das Motiv des Ab­falls in Verbindung mit der Deutung der Gegenwart als Zeit der Läuterung. Insbesondere 1QpHab VII,1–14 und 1Q27 Frg. I,i,3 ff. werden diskutiert: Während in 1QpHab Gottes Langmut bzw. Gott selbst als retardierendes Element erscheint, sind es in 1Q27 diejenigen, die als Gegner der Qumrangemeinschaft die wunderbaren Geheimnisse aufhalten (1Q27 Frg. I,i,7: אלפ יזר יבמזת), von M. als Dämonen gedeutet. Die »Geheimnisse« wiederum versteht M. als »göttlichen Plan der Weltgeschichte ..., der auch das Gericht um­greift« (264).
Das Schlusskapitel fasst präzisierend die Ergebnisse zusammen. Insgesamt stehe hinter der Bezeichnung Katechon weder eine Ad-hoc-Bildung des Autors von 2Thess noch eine nicht näher zu identifizierende rhetorische Leerstelle. M. setzt sich abschließend mit der Rom-Hypothese auseinander, die er favorisiert und somit die engsten Parallelen in 4Esr (vor allem 5,3.6) und Apk (vor allem 17,10 f.16; 18,2) sieht. M. hat eine bemerkenswerte Studie vorgelegt, die ihre Stärke im behutsamen Nachzeichnen der Quellen besitzt. Gleichwohl bleiben m. E. auch kritische Anfragen: Weshalb wird die Qumranliteratur, trotz der motivischen Nähe vor allem von 1Q27, in einem »Exkurs« abgehandelt? Genügt der methodisch et­was oberflächliche Verweis auf einen »motivisch-phänomenologischen Vergleich« (10), wenn zumal Kriterien der Gattung in Anschlag gebracht werden (»Apokalypse«, »apokalyptisch«), die eher schemenhaft bleiben (vgl. etwa zu LAB 51)? Insbesondere zu Qumran und zur Dämonologie ist die Diskussion nicht immer auf dem aktuellen Stand, was sich etwa bei der Deutung motivischer Zusammenhänge auswirkt (s. zu היהנ זר, אלפ יזר oder CD XIII,14: l. רחשה ינבל statt תחשה ינבל, vgl. aber CD VI,15).