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Ausgabe:

März/2008

Spalte:

255–257

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Charlesworth, James H. [Ed.]

Titel/Untertitel:

Jesus and Archaeology.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2006. XXV, 740 S. m. Abb. u. Tab. gr.8°. Kart. US$ 50,00. ISBN 978-0-8028-4880-2.

Rezensent:

Joachim Jeska

Der äußerst umfangreiche Band zur lebensweltlich orientierten Jesus-Forschung enthält 32 Beiträge von sehr unterschiedlicher Länge und Fokussierung. Miszellenartigen Detailbeobachtungen stehen Forschungsberichte gegenüber, einführende Artikel mit Überblickscharakter stehen neben der Publikation aktueller Forschungsergebnisse. Keimzelle des von James H. Charlesworth, Neutestamentler und Direktor des »Dead Sea Scrolls Project« am Princeton Theological Seminary in New Jersey, herausgegebenen Werkes ist eine internationale Konferenz zur Vernetzung von Archäologie und Jesus-Forschung im Sommer 2000 in Jerusalem. Die publizierten Aufsätze sind aber nicht durchweg Kongressbeiträge (vgl. 64.236) – was allerdings nicht klar ersichtlich ist –, und die recht späte Veröffentlichung im Jahr 2006 führt insbesondere auf dem Feld der archäologischen Debatten dazu, dass nicht immer der neueste Forschungsstand wiedergegeben wird. Die Autoren sind zumeist christliche Theologen aus aller Welt (in erster Linie aus den USA und Israel), aber es kommen auch Archäologen sowie jüdische Historiker und Theologen zu Wort; die Sprache ist durchgängig Englisch. Illustriert ist das voluminöse Opus durch zahlreiche Fotos, die zum großen Teil aus dem Archiv des Herausgebers stammen; Karten finden sich hingegen nur in sehr geringer Zahl.
Zwei Hauptziele verfolgt Charlesworth mit der Herausgabe dieses Sammelbandes: Archäologen und Theologen mögen erkennen, dass sich ihre Forschungen gegenseitig befruchten, und es gelte, Jesu Umwelt, Leben und Lehre zu rekonstruieren und zu verstehen. Für stärker literarisch arbeitende Exegeten sei es dabei wichtig, die lebensweltlichen Kon-Texte neutestamentlicher Texte zu beachten. So steuert der Herausgeber selbst einen umfangreichen Forschungsbericht zum Thema Jesus-Forschung und Archäologie bei (11–63; ähnlich auch der Beitrag von S. Freyne [64–83]), in dem er mit der Abkehr von der Frage, wo Jesus war, auf die s. E. zentrale Frage aufmerksam macht – nämlich wie die Orte beschaffen waren, in denen Jesus war. Dabei weist er knapp auf den jeweiligen Forschungsstand zu acht Orten hin (38–48), ehe er sich mit Problempunkten der Diskussion beschäftigt, z. B. der Frage, ob Galiläa zur Zeit Jesu eher ländlich oder städtisch geprägt war. Mit seiner Aufforderung, Neutestamentler müssten verstärkt archäologische Forschungsergebnisse einbeziehen, läuft er offene Türen ein, und es darf gefragt werden, ob es sich dabei tatsächlich um eine »new perspective« handelt. Sucht man in dem vorgelegten Sammelband nach verbindenden Linien und Fragestellungen, so entdeckt man sie im ersten, eher archäologischen Teil (11–520) in der Auseinandersetzung mit einzelnen Orten des antiken Palästina – insbesondere deren Hellenisierungsgrad, sowie in der Frage nach der Verbindung zwischen Qumran/den Essenern und Jesus, während im zweiten, eher theologischen Teil (523–695) das Johannesevangelium im Fokus steht.
Im Rahmen dieser Rezension können nicht alle Beiträge erörtert oder auch nur vorgestellt werden, dennoch soll auf einige Ausführungen hingewiesen werden, damit die Spannweite des Sammelbandes deutlich wird. In Einzelstudien beschäftigen sich viele Autoren mit der Frage nach der Hellenisierung Palästinas zur Zeit Jesu und damit nach der Ausprägung des jüdischen Lebens und Alltags. Während R. Batey dafür plädiert, dass das Theater von Sep­phoris bereits durch Antipas begründet wurde und Jesus somit dort Kenntnis des hellenistischen Theaters sammeln konnte (111–119), hält A. Lichtenberger dafür, dass es im Jerusalem zur Zeit Jesu kein Theater oder Amphitheater gegeben habe, weil noch Herodes der Große wohl lediglich temporäre Holzbauten errichten ließ (283–299). Den Blick auf einzelne Orte in Galiläa richten in guten ein­führenden Darstellungen P. Richardson und R. Arav. Ersterer be­schäftigt sich am Beispiel von Khirbet Qana mit der Bedeutung kleinerer Orte überhaupt und beschreibt dieses wohl mit dem neutestamentlichen Kana zu identifizierende Dorf als stark jüdisch geprägt (120–144). Letzterer zeigt auf, dass auch Bethsaida nur einen äußerst geringen hellenistischen Einfluss aufweise, der ansässigen Bevölkerung allerdings von den Römern die religiöse Welt des Hellenismus aufoktroyiert wurde (145–166).
Eine gute Diskussion der wichtigen Frage nach dem Hellenisierungsgrad bietet J. Dunn anhand der Problematik des Nachweises von Synagogen vor 70 n. Chr. Er hält Lk 4,16 ff. insofern für eine glaubwürdige Szenerie im Leben Jesu, als es in Nazareth entweder eine Synagoge gegeben haben müsse, die wegen der modernen Be­bauung noch nicht ergraben sei, oder sich die Juden in größeren Privathäusern zusammengefunden hätten (206–222). Im Hinblick auf die Existenz von Synagogen wird – in gekürzter und revidierter Form – der Beitrag von J. Kloppenborg aus JJS 51 (2000) abgedruckt, in dem der Vf. die Theodotos-Inschrift als Beleg für ein Synagogengebäude im Jerusalem des 1. Jh.s erachtet (236–282). Eine instruktive Einführung in die Samaria-Thematik, den neutestamentlichen Befund, die Geographie und Soziologie sowie das religiöse Gefüge Samarias liefert J. Zangenberg (393–432), während Y. Hirschfeld am Beispiel von Ramat Hanadiv und En Gedi die soziale Realität Judäas in herodianischer Zeit analysiert und besonders auf die große Diskrepanz zwischen Arm und Reich aufmerksam macht (384–392).
Die Essener und Qumran stehen im direkten Fokus dreier Beiträge. J. Zias gibt einen schönen Überblick über die Forschungs­lage zu den Friedhöfen Qumrans und unterstreicht, dass die Qumrangemeinschaft eine zölibatär lebende Gruppe ohne Frauen und Kinder war. Die Entwicklung zu einer rein männlichen Gemeinschaft sei freilich nicht erst in Qumran erfolgt (444–471). Demgegenüber erörtert B. Capper das von Essenern geführte »Netzwerk« von Armenhäusern im südlichen Palästina zur Zeit Jesu und beschreibt diese als eine Art Vorbild der Armen-Unterstützung durch die frühen Christen (472–502). Eine ähnliche Ableitung der Urgemeinde und ihrer Gütergemeinschaft (Apg 2) stellt B. Pixner vor, indem er die These aufstellt, auf dem Berg Zion habe sowohl eine essenische als auch eine frühe christliche Gemeinschaft gelebt (309–322). Die archäologischen Erforschungen des Tempelberges seit 1967 führen schließlich D. Bahat dazu, die Diskussion des zwölf­jährigen Jesus im Tempel (Lk 2) auf der großen Treppe südlich der Südmauer des Tempelberges zu lokalisieren (300–308).
Gehen die Autoren der ersten drei Viertel des Sammelbandes in der Regel von archäologischen Forschungen und Befunden aus, um diese an die neutestamentlichen oder frühjüdischen Texte heranzutragen, so ist der Ausgangspunkt der Autoren im letzten Viertel des Opus der literarische Befund. So erörtert U. von Wahlde ausführlich sämtliche topographischen Hinweise im Johannesevangelium, indem er ihren johanneischen Kontext, sowie den literarischen und archäologischen Befund diskutiert (523–586). Exemplarisch zeigten die Erwähnung eines Schaftores und des Teiches Betesda (Joh 5,2), dass eine sehr gute Kenntnis Jerusalems zu Grunde liege. Das gelte auch für »Betanien jenseits des Jordan« (Joh 1,28). Dieser Ort sei allerdings noch immer schwierig zu identifizieren, weil die vorgeschlagenen Stellen im Wadi el-Kharrar nicht exakt den johanneischen Angaben entsprechen (zu den Orten am Ost­-ufer des Jordan, die mit Johannes dem Täufer in Verbindung gebracht werden, äußert sich auch M. Piccirillo [433–443]). Von Wahlde hält keinen der erwähnten 20 Orte im Johannesevangelium für fiktiv oder nur symbolisch, vielmehr erwiesen die Ortsangaben durchgängig historische Genauigkeit. Vorsichtiger ist in dieser Hinsicht P. Anderson, der nicht alle Aspekte historischer Angaben im Johannesevangelium für überaus genau hält (587–618), immerhin aber konstatiert, dass das Johannesevangelium dichter am historischen Jesus sei, als die meisten Exegeten der letzten 100 Jahre meinten.
Eher dem Bereich der frühchristlichen Archäologie zuzuordnen sind die Beiträge von J. Reumann zur Christologie (660–682) und J. Elliott zu den neutestamentlichen Apokryphen (683–691), beide haben einführenden Charakter. Das Buch weist schließlich auch rein literarische Studien auf sowie eine Rehabilitierung R. Bultmanns hinsichtlich der Einbeziehung archäologischer Forschungsergebnisse (J. Painter: 619–638).
Abschließend ist festzuhalten, dass sich der voluminöse Sammelband als Nachschlagewerk eignet, weil etliche Aufsätze einführenden oder überblicksartigen Charakter haben und ein geographischer Index sowie ein ausführliches Schriftstellenregister die Beiträge erschließen. Auf ein gemeinsames Literaturverzeichnis hat der Herausgeber verzichtet, J. Soyars liefert allerdings eine sehr knappe Auswahlbibliographie am Ende des Werkes. Ein sechsseitiges Glossar verwundert etwas in einem Kongressband, signalisiert aber zugleich, dass dieses Buch weit mehr ist als nur die Sammlung von Vorträgen eines Symposions.
Es ist die Mischung aus einem Plädoyer für die Vernetzung archäologischer und neutestamentlicher Forschung (mit einem solchen Plädoyer beginnen explizit mehrere Beiträge), einem Lehrbuch mit einführendem Charakter, einem Forschungsbeitrag und einem Nachschlagewerk. Für die Frage nach der Lebenswelt Jesu liefert es viele Grundlagen, Einsichten und Anregungen zu weiterführenden Diskussionen.