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Ausgabe:

März/2008

Spalte:

247–249

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Kaiser, Otto

Titel/Untertitel:

Zwischen Reaktion und Revolution. Hermann Hupfeld (1796–1866) – ein deutsches Professorenleben.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2005. 304 S. m. 8 Abb. gr.8° = Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Philologisch-Historische Klasse. Dritte Folge, 268. Lw. EUR 74,90. ISBN 3-525-82540-8.

Rezensent:

Jean M. Vincent

Diese umfangreiche Monographie ist aus einem Vortrag entstanden, der anlässlich eines Symposiums über die Anfänge der historisch-kritischen Forschung in Oxford (250 Jahre nach dem Erscheinen der bahnbrechenden Arbeiten von Astruc und Lowth) gehalten worden ist. Sein renommierter Verfasser Otto Kaiser, der von 1960 bis zu seiner Emeritierung an der Universität Marburg den Lehrstuhl für Altes Testament innehatte, wurde gewahr, dass die dortigen Gelehrten seit Mitte des 18. Jh.s zur Entwicklung der historisch-kritischen Forschung wesentlich beigetragen haben, insbesondere Hermann Hupfeld, der 1796 in Marburg geboren wurde und an der dortigen Philipps-Universität Theologie, Orientalische Sprache und Altphilologie (1813–1817) studierte. Nach einer Tätigkeit als Gymnasiallehrer (1819–1822), Privatstudium und Habilitation bei W. Gesenius in Halle (1823–1824) wurde er als a. o. Professor der Theologie (1825) und als o. Professor für Orientalische Sprachen (1827) nach Marburg berufen. 1843 wurde er Nachfolger seines Lehrers Gesenius in Halle und lehrte dort bis zu seinem Tod (1866).
Die vier ersten Kapitel (17–165) sind minutiös dem Werdegang Hupfelds in Marburg gewidmet. Die Paragraphen über die Jahre in Halle (136–161) sind bewusst knapp gehalten, weil K. die Erforschung des sehr umfangreichen Archivmaterials (vgl. die Handschriftenabteilung der Universitäts- und Landesbibliothek in Halle, Signatur Yi 18) nicht berücksichtigen konnte (10). Eine rück­bli­ckende Würdigung (161–165) schließt diese Biographie des Ge­lehrten ab und würdigt u. a. den bedeutenden Semitisten, der in den Fußstapfen von Gesenius viel zur hebräischen Lexikographie beigetragen hat, den Bahnbrecher im Bereich der Exegese durch seine programmatische Schrift zur sog. biblischen Einleitung als Literaturgeschichte (1844, vgl. 128–135), durch seine Arbeit zu den Quellen der Genesis (1853; Unterscheidung von zwei Elohistenquellen, die man später Priesterschrift und Elohisten nennen wird, vgl. 159 und ausführlich 213–231) und durch seinen vierbändigen Psalmenkommentar (153–159). Zudem war Hupfeld ein politisch und kirchenpolitisch engagierter Zeitgenosse (142–151 et passim), der für Reformen in Universität, Kirche und Staat plädierte. K. zeigt einen seit der 48er Revolution zwar politisch überzeugten Konservativen, für König und Vaterland eintretend, doch ohne reaktionären Geist, mit einem starken »Gefühl für Wahrheit und Recht«.
Waren schon die ersten Kapitel voll von exkursartigen Entwick­lungen zu besonderen Fragen (z. B. zum Verhältnis Hupfeld und Ewald, 70–82), manchmal in Form von sehr langen Fußnoten (z. B. über die Mitglieder der Marburger Fakultät am Anfang des 19. Jh.s, 29 ff.), so sind die zwei letzten Kapitel speziellen Gegenständen gewidmet. Das fünfte Kapitel enthält einen sehr schönen und, wie die ganze Studie, aus Akten und Briefen reichlich dokumentierten, bedeutenden Beitrag über den »Fall de Wette« und den gescheiterten Versuch 1831/32, ihn aus Basel nach Marburg zu berufen (166–200). De Wette hatte seine Stelle in Berlin 1819 verloren und musste Preußen verlassen, weil er einen Trostbrief an die Mutter des Theologiestudenten und Burschenschaftlers K. L. Sand geschrieben hatte (Sand hatte A. von Kotzebue aus Patriotismus ermordet). Hupfeld, der 1816/17 zu den Mitbegründern der Burschenschaft in Marburg gehörte (42–44) und der theologischen Richtung de Wettes nahestand (vgl. 53–55), befürwortete die Berufung de Wettes. Doch hatte das Innenministerium Bedenken, weniger wegen des »politischen« Aktes vor 16 Jahren, sondern wohl wegen seiner verdächtigten Theo­logie. Es sei hinzugefügt, dass auch eine Berufung von de Wette nach Straßburg als Nachfolger von I. Haffner (180 f.) aus ähnlichen kirchenpolitischen und theologischen Gründen hatte scheitern müssen (nach dem Rationalismusstreit zuneh­mender Einfluss der konfessionellen Partei bei den höchsten Gremien). (Noch bei der Nachfolge von Gesenius in Halle wurde von oben versucht, statt Hupfeld den konservativen Fr. Delitzsch zu empfehlen.)
Das letzte Kapitel wertet den Beitrag Hupfelds zur sog. Neueren Urkundenhypothese in Die Quellen der Genesis (1853) (213–231). Zwar hat Hupfeld sowohl durch seine Überzeugungen, dass J keine Ergänzung zu einer Grundschrift, sondern Teil eines selbständigen eigenen Geschichtswerks ist und dass zwischen einer elohis­tischen Grundschrift und einer davon verschiedenen elohistischen Quelle zu unterscheiden ist, die Forschung in Richtung auf die Neuere Urkundenhypothese in Bewegung gesetzt – immerhin nicht ohne Vorgänger; selbst Astruc erkannte, dass es nicht nur eine Elohim-Quelle in der Genesis gab, und K. D. Ilgen hatte 1798 eine säuberliche Trennung von zwei elohistischen Quellen aus­gearbeitet (vgl. 214, Anm. 3). Hupfeld als den »Begründer« dieser Hypothese zu bezeichnen (161 et passim), scheint dem Rezensenten wohl zu weit zu gehen. Nicht nur, dass Hupfeld seine Untersuchung auf das Buch Genesis allein beschränkt hat. Entscheidend für diese Hypothese war nämlich die Herstellung einer Verbindung der sog. elohistischen Grundschrift mit den priesterlichen Gesetzen des Pentateuchs, die erst die Neuere Urkundenhypothese (mit der chronologischen Folge: J, E, D und P) ermöglichte. Hupfeld ist von dieser Erkenntnis noch sehr weit entfernt.
K. fügt seiner Studie einen Anhang mit zwölf Dokumenten an, insbesondere unveröffentlichten wertvollen Briefen (232–266), so­wie acht Abbildungen (267–274).
Das Buch ist eine wahre Fundgrube für Kenntnisse über den Theologen H. Hupfeld und die Geschichte der theologischen Fakultät in Marburg in der ersten Hälfte des 19. Jh.s. Zur Vollendung des hier angefangenen Werkes müsste in ähnlich gründlicher Weise die Hallenser Zeit des Gelehrten (immerhin hat er länger in Halle als in Marburg gelehrt) erforscht sowie seine Wirksamkeit im Kontext der Geschichte des Bürgertums, besonders des Standes der Universitätsprofessoren im 19. Jh., bewertet werden (vgl. u. a. Chr. Charle, 1996 – die Be­wegung vom Freiheitsenthusiasten zum Konservativen nach 1848 ist ja keine Partikularität von Hupfeld). Auch seine wissenschaftliche Produktion könnte noch mehr im Licht der Forschung seiner Zeit beleuchtet werden. Der Vortragende und Biograph ist gattungsgemäß geneigt, das besondere Genie seines Helden zu betonen. Doch erklären sich die wissenschaftlichen Neuerungen meistens aus dem Zusammenwirken mehrerer Faktoren und Personen. Um nur abschließend ein Beispiel zu nennen: Hupfelds Vorstellung der Einleitungswissenschaft als Literaturgeschichte (1844, vgl. 128–135) entspricht ganz dem Geist der Zeit, wonach erst das Verständnis der geschichtlichen Entwickung eine »pragmatische« Ordnung der Materie ermöglicht. Dieses Programm wurde schon für das Neue Testament von K. A. Credner (1836) empfohlen und von E. Reuss ( Geschichte der Heiligen Schriften des Neuen Testaments, 1842) durchgeführt.
Der inhaltsreiche und schön gestaltete Band schließt mit einer ausführlichen Bibliographie der unveröffentlichten und veröffentlichten Dokumente (175–297; es fehlen der Aufsatz von J. Annandale in OTE 1986 und der kurze Artikel von R. Smend über Hupfeld in DBI I, 1999; bei Hupfeld 1853 muss es wohl locos vexatos heißen), einem Verzeichnis der Abbildungen und einem sehr nützlichen Personenregister.