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Ausgabe:

Februar/2008

Spalte:

221

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Zimmermann, Andreas [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Religion und Internationales Recht. Vortragsreihe am Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht an der Universität Kiel im Wintersemester 2004/05 und Sommersemester 2005. Hrsg. unter Mitwirkung v. U. E. Heinz.

Verlag:

Berlin: Duncker & Humblot 2006. 227 S. gr.8° = Veröffentlichungen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel, 159. Kart. EUR 86,00. ISBN 3-428-12146-5.

Rezensent:

Katrin Hecke

Die säkulare Völkerrechtsordnung trifft mit ihrem universalen Geltungsanspruch auf eine Pluralität von Religionen und Weltanschauungen, die ebenfalls jede für sich universelle Geltung beanspruchen. Die im vorliegenden Buch dokumentierte Vortragsreihe des Walther-Schücking-Instituts reflektiert – wie dessen Leiter Andreas Zimmermann im Vorwort erläutert – in diesem Spannungsfeld das Thema Religion aus der Perspektive des Internationalen Rechts.
Die acht Buchbeiträge zeigen eine große inhaltliche Bandbreite. Heinhard Steiger (Universität Gießen) legt zu Beginn in einem his­torischen Überblick dar, dass das Völkerrecht nicht schon im­mer areligiös geprägt, sondern bis ins 18. Jh. hinein stark religiös durchdrungen war. Das ist vorbei: In »der religiös, kulturell und weltanschaulich pluralen Welt der Gegenwart« sind »Neutralität und Säkularität des Völkerrechts unabdingbar«, da »jedes Beharren auf einem Wahrheitsanspruch als Grundlage dieser Ordnung« (46) zerstörerisch ist. Doch kommt das Völkerrecht ohne eine Wertgrundlage aus? Das Völkerrecht hat die Funktion, Frieden durch die Gewährleistung einer angenähert gerechten Ordnung herzustellen. Frieden und Gerechtigkeit sind inhaltlich materielle Zustände, sie verlangen also materielle Kriterien. Das moderne Völkerrecht positioniert sich in diesem Dilemma, indem es Frieden und Ge­rechtigkeit nicht durch eine unmittelbare Anbindung an eine Religion sichert, sondern »durch neutrale Öffnung auf ihre Pluralität« (50). Die einstige religiöse Völkerrechtsdurchdringung zeigt sich auch in der Völkerrechtssubjektivität des Heiligen Stuhls, dessen Praxis, Außenpolitik und Rolle bei der Entstehung der Internationalen Menschenrechtspakte Gerhard Westdickenberg (Botschafter der Bundesrepublik Deutschland beim Heiligen Stuhl) mit Detailkenntnis darlegt. Aus der inhaltlich-religiösen Verortung heraus betont der Heilige Stuhl wiederkehrend die Hauptfunktionen des Völkerrechts, Frieden und Gerechtigkeit, und mahnt ihre Erreichung an (64 f.).
Mehrere Beiträge widmen sich dem Verhältnis von Religion und internationalem Menschenrechtsschutz. Besonders virulent ist dieses Verhältnis in den islamischen Ländern und im Islam selbst. Heiner Bielefeldt (Deutsches Institut für Menschenrechte, Berlin) schildert die »Islamisierung menschenrechtlicher Begriffe« (84), die sich im Kontext der Bemühungen finden, den Islam entweder durch pragmatische Reformen oder durch Ansätze liberaler Scharia-Interpretation mit den Menschenrechten vereinbar zu machen. Der Ausgang dieser Diskussion ist nicht voraussagbar, jedoch betont der Autor, »daß die Menschenrechte längst zum Gegenstand einer innerislamischen Dis­kussion geworden sind« und sich damit »kulturalistische Ka­te­gorien, die die Menschenrechte im ›Westen‹ verankern, als wirklichkeitsfremd erweisen« (95). Christoph Grabenwarter (Universität Graz), Eckhart Klein und Bernhard Schaefer (MenschenRechtsZentrum, Universität Potsdam) behandeln die Religion aus dem Blick­winkel des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes.
Grabenwarter macht bei seinen Ausführungen zu der Garantie der Religionsfreiheit in Art. 9 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) die Beobachtung, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sich in seiner Auslegung zu Art. 9 EMRK »notwendig zurücknimmt« (123): Da er als internationales Gericht nur in geringerem Maß auf einen einheitlich-europäischen Standard zugreifen könne, seien nationale Gerichte zum Urteilen über das traditionsdurchdrungene Verhältnis von Religion und Staat besser geeignet. Diese Praxis des Gerichthofs betont das Prinzip des säkularen Staates als konstitutives Kriterium.
Klein und Schaefer be­schäftigen sich mit der Auslegung der Religionsfreiheit in Art. 18 des Internationalen Paktes für bürgerliche und politische Rechte. Sie zeigen dabei anhand einiger Problembeispiele, dass im Bereich des Artikels 18 noch viele Fragen offen bleiben, und erwähnen, dass die bisherige Ausschusspraxis »stark fallbezogen war, was ihm allerdings auch ermöglicht, bei zukünftigen Fällen flexibel zu reagieren« (156).
Rainer Hofmann (Universität Frankfurt am Main) hinterfragt das Kriterium eines spezifischen Schutzes religiöser Minderheiten: Un­klar seien sowohl der Begriff als auch der »Mehrwert der Anerkennung einer Gruppe als religiöse Minderheit gegenüber den sich aus der individuellen Religionsfreiheit ohnehin ergebenden Rechten« (181). Den Kollisionsgrund von Religion und Internationalem Privatrecht benennt Haimo Schack (Universität Kiel) darin, dass das Internationale Privatrecht im Gegensatz zu den Religionen von der Gleichwertigkeit der verschiedenen Rechtsordnungen ausgehe. Das Internationale Privatrecht könne durch seinen »ordre public« zur Toleranz und zur Integration beitragen, da es helfe, die Entstehung von Parallelgesellschaften zu verhindern (205), und verbiete, ge­genüber der Intoleranz tolerant zu sein. Abschließend beschreibt Christian Walter (Universität Münster) das Verhältnis von Religion und dem Recht der Europäischen Union als in der Praxis spannungsreich, trotz geringer Zahl direkter Textbefunde. Als mög­liche Veränderungen, die mit der Einführung einer europäischen »Verfassung« einhergingen, er­wähnt er die normative Anerkennung der Religionsgemeinschaften und den in Art. I–52 Absatz 3 VerfE genannten offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog der Union mit ihnen.
Auf die Diskussion im Bereich Religion und Internationales Recht passt die Empfehlung Rainer Maria Rilkes, die Frage selbst lieb zu haben und Geduld mit allem Ungelösten zu hegen, führten doch gelebte Fragen zu lebbaren Antworten. In seiner kritischen Bestandsaufnahme versammelt das Buch viele unterschiedliche Aspekte, die allerdings manchmal vereinzelt bleiben, ohne sich zu einem einheitlichen Bild zusammenzufügen. Dies liegt offenbar im Diskussionsgegenstand selbst begründet. Der Bedarf an wissenschaftlicher Auseinandersetzung in diesem Bereich bleibt aktuell. Darauf machen die Beiträge dieses Buches aufmerksam. Sie helfen, die bestehenden Fragen zu aktualisieren und zu konkretisieren – und an etlichen Stellen weisen sie den Weg zu Antworten.