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Ausgabe:

Februar/2008

Spalte:

216–219

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. Achtzehnter Band

Titel/Untertitel:

Rheinland-Pfalz I. Herzogtum Pfalz-Zweibrücken, die Grafschaften Pfalz-Veldenz, Sponheim, Sickingen, Manderscheid, Oberstein, Falkenstein und Hohenfels- Reipoltskirchen bearb. v. Th. Bergholz.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2006. XII, 732 S. m. 1 Kt. 4° = Die Evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. Lw. EUR 199,00. ISBN 978-3-16-148761-3.

Rezensent:

Joachim Conrad

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. Sechzehnter Band: Baden-Württemberg II. Herzogtum Württemberg bearb. v. S. Arend. Markgrafschaft Baden, Grafschaft Limpurg, Herrschaft Kinzigtal, Herrschaft Neckar­bischofsheim bearb. v. Th. Bergholz. Tübingen: Mohr Siebeck 2004. XIV, 708 S. m. 1 Kt. 4° = Die Evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. Lw. EUR 199,00. ISBN 978-3-16-148445-2.
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. Siebzehnter Band: Baden-Württemberg III: Südwestdeutsche Reichsstädte. 1. Teilband: Schwäbisch Hall, Heilbronn, Konstanz, Isny und Gengenbach bearb. v. S. Arend. Tübingen: Mohr Siebeck 2007. XVI, 613 S. m. 1 Kt. 4° = Die Evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. Lw. EUR 199,00. ISBN 978-3-16-149311-9.


Es ist das Verdienst von Emil Sehling (1860–1928), vor rund 100 Jahren Editionsrichtlinien erarbeitet zu haben, die zwingend notwendig waren, um die Kirchenordnungen des 16. Jh.s ihrer Bedeutung gemäß zu edieren. Kirchenordnungen enthalten zu weiten Teilen das, was man heute Sozial-, Schul- und Familienrecht bzw. öffentliche Ordnung nennen würde. Sie sind ein bedeutender Schritt in der Entwicklung des modernen Sozial- und Kulturstaates. Die Heidelberger Akademie der Wissenschaften hat deswegen auch eine Ausstellung unter dem Titel »Kirche ordnen – Welt gestalten. Von der reformatorischen Kirchenordnung zur europäischen Verfassung« arrangiert, die das Anliegen der Sehlingschen Editionsreihe auf originelle Weise beschreibt.
Sehling selbst arbeitete von 1902 bis 1913 an diesem gewaltigen Projekt, das durch die beiden Weltkriege zum Erliegen kam, bis es 1955 durch das Engagement und den Fleiß zahlreicher ehren- und nebenamtlicher Bearbeiter wieder aufgegriffen wurde und auf 15 Bände anwachsen konnte. Seit dem Jahr 2002 hat sich die Heidelberger Akademie der Wissenschaften mit zwei hauptamtlichen Wissenschaftlern der Arbeit angenommen. Unter der Leitung von zunächst Gottfried Seebaß, nun Eike Wolgast und begleitet von einer Kommission unter Vorsitz von Heribert Smolinsky arbeiteten seitdem Thomas Bergholz (Theologe) und Sabine Arend (Historikerin) an dieser Edition.
Im Vorwort zu Band 16 »Baden-Württemberg II« verweisen die beiden Bearbeiter darauf, dass diesen Band eine gewisse Vorgeschichte mit dem von dem verstorbenen Bonner Ordinarius J. F. Gerhard Goeters 1969 edierten Kurpfalz-Band (Bd. 14) und dem von dem Trierer Forscher Gunther Franz 1977 vorgelegten Hohenlohe-Band (Bd. 15) verbindet.
Gunther Franz hatte nämlich zwei weitere Württemberg-Bände angekündigt, die nach seiner Auskunft »in gutem Fortschritt« seien. Die Frage allerdings, warum seit dieser Ankündigung und der Publikation von Band 16 fast 30 Jahre vergangen sind, kann eigentlich nur in eine Richtung beantwortet werden: dass sich der damalige Herausgeberkreis in den Details dieses Großprojektes verloren haben muss und dadurch das Projekt auf drei Jahrzehnte in der Undurchführbarkeit hielt.
So kann für den »Mut zur Lücke« im Blick auf das Herzogtum Württemberg eigentlich nur gedankt werden, weil die Bearbeiter von Bd. 16 auf die Herausgabe der zahlreich überlieferten einzelnen Mandate verzichteten und so den lange ausstehenden Durchbruch schafften. Immerhin wurden 68 Texte für Württemberg ediert, wobei auch die linksrheinischen Gebiete Mömpelgard und Horburg-Reichenweier bedacht wurden– diese allerdings in sehr bescheidenem Umfang und entschuldigend verbunden mit dem schmerzlichen Hinweis auf die problematische Quellenlage. Mag man dies alles bedauern, so ist aber zumindest ein guter Anfang gemacht. Im Blick auf die Markgrafschaft Baden (21 Dokumente) und die Grafschaft Limpurg (acht Dokumente) sind die Dokumente vollständig ediert, weil etwa in Baden durch die Stadtbrände von Durlach und Pforzheim große Verluste zu konstatieren sind. Diese ganze Vorgeschichte berücksichtigend, lässt sich dementsprechend festhalten, dass die Bearbeiter die Editionskriterien der 1960er und 70er Jahre bewusst aufgegeben haben. Stattdessen strebten sie an, die großen und kleinen Territorien angemessen und ihrer Bedeutung gemäß zu berücksichtigen und so die Lücken in dieser wichtigen Edition zügig zu schließen. Ja, für den Benutzer ist es sogar eher erfreulich, an Stelle einer überkritischen Edition, die die Geschichte jeder Druckvariante nachvollzieht sowie eine komplexe Entstehungs- und Wirkungsgeschichte bietet, die Quellen in solcher Präsentation vorzufinden, dass man mit ihnen arbeiten kann. Was darüber hinaus zu leisten ist, ist Sache der Forschung im strengeren Sinne.
Bd. 17/1 widmet sich den Reichsstädten Schwäbisch Hall, Heilbronn, Konstanz, Isny und Gengenbach. Dadurch, dass die südwestdeutschen Reichsstädte bedeutende Handelszentren waren, kam ihnen bei der Verbreitung reformatorischer Gedanken eine Schlüsselrolle zu. In zwei Schüben – einmal nach dem Reichstag von 1526, dann nach dem von 1529 – traten die Reichsstädte im Südwesten zur Reformation über und organisierten ihr Gemeinwesen neu, während in zahlreichen Städten schon früh, aber eben sehr ungeordnet, reformatorische Bestrebungen bekannt geworden sind.
Die Bearbeiterin hat sich angesichts der Fülle des Materials entschlossen, die Reichsstädte im Bereich des heutigen Bundeslandes Baden-Württemberg in zwei Teilbänden zu edieren. Nicht ganz einsichtig ist allerdings die Zuweisung der Städte zu diesen geplanten Teilbänden: Schwäbisch Hall und Heilbronn waren lutherisch und orientierten sich nach Franken. Isny und Konstanz waren dagegen deutlich der Züricher Reformation verpflichtet. Das eher unbedeutende Reichsstädtchen Gengenbach war schließlich nur wenige Jahre überhaupt evangelisch. Es ist hier zu hoffen, dass der zweite Teilband bald erscheint.
Band 18 bietet mit dem Herzogtum Pfalz-Zweibrücken einen Schwerpunkt (43 Dokumente), der in der bisherigen Reformationsgeschichte eher kurz bis gar nicht beachtet wurde. Fortan sind aber wertvolle Zusammenhänge in der gesamten süd- bzw. südwestdeutschen Reformationsgeschichte zu erschließen, worüber sich nicht nur die lokale Forschung freuen wird. Es gibt übrigens schon ein schönes Signal, wie die Erarbeitung des Zweibrücker Bandes weitere Forschungsbemühungen initiiert hat: Druckfrisch legte der Verein für Pfälzische Kirchengeschichte eine Faksimile-Edition des Zweibrücker Gesangbuchs von 1557 vor, ein Gesangbuch, das auch die niederrheinischen Territorien geprägt hat und zu den großen Gesangbüchern der Reformation zählt. Daneben ist die Pfalz-Zweibrückische Kirche mit ihren Ordnungen und Mandaten von Interesse, weil dieses Territorium wie die große Schwester Kurpfalz den Schritt vom Luthertum zum Calvinismus gewagt hat. Das dokumentieren die edierten Texte umfassend. Zu Zweibrücken gesellen sich Pfalz-Veldenz (elf Dokumente), die beiden Sponheimer Grafschaften (13 Dokumente) und – auf Grund der Entwick­lung besonders interessant – Sickingen (zwei Dokumente) sowie Manderscheid (ein Dokument). Auch kleinere Herrschaften wie Oberstein sind nicht vergessen worden, obwohl für sie bisher keine eigenen Ordnungen nachgewiesen werden können.
Das Team von Thomas Bergholz und Sabine Arend hat sich bewährt, und es wäre der Akademie der Wissenschaften zu wünschen, wenn sie diese beiden Bearbeiter für weitere Bände des Sehling gewinnen könnte. Und den Bibliotheken – theologischen, frühneuzeitlichen und landesgeschichtlichen – ist es dringend ans Herz zu legen, die neuen Bände des Sehling zu erwerben. Die Forschenden werden es danken.