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Ausgabe:

Februar/2008

Spalte:

211–213

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Werner, Gunda

Titel/Untertitel:

Macht Glaube glücklich? Freiheit und Bezogenheit als Erfahrung persönlicher Heilszusage.

Verlag:

Regensburg: Pustet 2005. 262 S. gr.8°. Kart. EUR 24,90. ISBN 978-3-7917-1981-8.

Rezensent:

Uwe Gerber

Um Glück geht es hier nur insofern, als die Verbindung von Theologie und Themenzentrierter Interaktion von Ruth Cohn (TZI) im Horizont der Frage nach der von Gott zugesagten und heilsgeschichtlich in persönlichen Erfahrungen von Freiheit und Bezogenheit realisierten Identität erörtert wird. Die TZI »stellt eine Theorie bereit, die dem Inhalt der Offenbarung nicht widerspricht, sondern ihm sinnvoll konkrete Gestalt verleihen kann ... Glaube macht nicht glücklich, wenn unter ›Glück‹ vollkommenes, leidfreies Leben verstanden wird. Glaube, der aber auf die Treue Gottes vertraut, ermöglicht es, das Leben als Fragment anzunehmen und zu leben« (231 f. u. ö.).
In einem ersten Teil wird in transzendentaler Reduktion die formal-absolute Freiheit des Menschen (als »frei gewolltes Gegen­über« Gottes) bestimmt als die grundlegende Möglichkeit, dass sich der Mensch zu dieser eigenen Freiheit entschließen kann (206), »die auch durch die Sünde niemals restlos zerstört werden kann« (22). Im Rückgriff auf Henning Luthers frühe Schriften zur Fragmentarität menschlichen Lebens – denn in den späteren habe er unter Aufnahme von Levinas das Freiheitsdenken umgekehrt (124, Anm. 533) – und auf W. Pannenbergs interdisziplinäre Anthropologie (95 ff.) wird entsprechend als »Formalobjekt« die »personale Identität« formuliert in ihrem Gespanntsein zwischen transzendental-formalem Vorausgesetztsein als dem »Unbedingten« des Menschen und der fragmentarisch-materialen Realisierung im Horizont der heilsgeschichtlichen Selbstzuwendung des treuen, lieben Gottes (23 u. ö.). Abgegrenzt wird »die in Freiheit gewährte Identität« einerseits gegen Eriksons und Meads »geschlossenes Bildungs- und Lebenskonzept« (207), andererseits gegen die ohne plausibles Kohärenz-Prinzip operierende Theorie der Patchwork-Identität und gegen die Theorie der »transversalen Vernunft« von W. Welsch, die zwar Übergänge zu thematisieren vermag, aber jeglichen transzendentalen (metaphysischen) Vor- und Überbau ab­lehnt (mit dem diese Arbeit ihrerseits steht und fällt): »Die transzendentale Analyse denkt Identität formal (als) unbedingt freie (abstrakte Identität), die in ihrer materialen Bedingtheit als fragmentarische Freiheit gefasst werden kann« (209). (Die im klassisch metaphysischen Substanz- und Subjekt-Denken leitenden Dua­lismen von transzendental-real/empirisch, abstrakt-material, formal-material, fragmentarisch-ganzheitlich, unbedingt-bedingt usw. geben auch hier das ›Gerüst‹ ab.)
Im nächsten Schritt werden Berührungs-, Kooperations- und wei­terführende Punkte mit der TZI festgehalten, z. B. dass sich der Mensch in seiner Gruppe zu »einer ganzen Persönlichkeit entwi­ckeln und zum Wissen um sich und seine Identität kommen« kann. »Darin zeigt sich das Verständnis von Heil und Heilsgeschichte im Sinne der TZI: Jeder Mensch ist in der Lage, seine inneren Grenzen zu erweitern, durch positive Erfahrungen alte Verwundungen zu überwinden und sich freier und lebendiger zu erleben« (151). Ein solches Starkmachen des Subjekts ist für die Theologie allerdings nicht möglich, geht es doch bei TZI um den Anspruch, das »Ich völlig neu kreieren zu können« (153). Ohne vorhergehende Heilsvermittlung Gottes können wir keine Identität in der Fragmentarität erfahren. Zwar treffen sich Theologie und TZI in Phänomenen wie Selbsttranszendierung, Offenheit, Sehnsucht und in der »Werte­axio­matik«, aber Theologie teilt nicht das a-personale, pantheis­tische Gottes-Verständnis der TZI. Erweitert man TZI und entkleidet sie ›ideologischer‹ Momente, dann kann sie hilfreich in pastoraler Praxis angewandt werden, was schon ex- und intensiv geschieht (210). Gemeinsame Kriterien sind dann: »Das anthropologische Verständnis des Menschen als psycho-biologische Einheit, der aus der Intersubjektivität in Verantwortung für die Welt lebt und handelt. Die Relationalität des Menschen gehört zum Wesen des Menschen und macht seine Autonomie und Interdependenz aus. Beides konnte durch transzendentale Freiheitsanalyse näher bestimmt werden. Identität als fragmentarische Freiheit konnte in der kritischen Reflexion durch die TZI im Blick auf die Ganzheit erweitert werden« (212).
Daraus folgt als letzter Schritt die Frage: Ist die durch TZI er­weiterte pastorale Praxis heilend im Sinne von therapeutisch-helfend oder ist sie heilsam im Sinne einer neuen Einstellung zu leidvollem Leben unter Verzicht auf ein Ganzheitsideal (213 ff.)? Die Vfn. verabschiedet ebenfalls das Ideal der Ganzheit (jedenfalls für unser Erdenleben) und die in den meisten Seelsorge-Vorstellungen leitende Defizitperspektive. Sie möchte aber nicht den leidenden Menschen in den Vordergrund stellen und meint, »dass im Menschen – wenn auch ›nur‹ in seiner abstrakten Identität – ein Unbedingtes angenommen wird, das zwar im realen Vollzug seiner geschichtlichen Identität im Fragment eher als abwesend denn anwesend erfahren wird. Aber die Sehnsucht lässt den Menschen nach dem Ganzen, dem Glück und der Liebe suchen« (216). Versucht man diese Erfahrung zu rekonstruieren, dann gelangt man – mit H. Luthers Konzept der »Alltagsseelsorge« – über das Seelsorgerin-Adressat-Gefälle hinaus in »kommunikative«, solidarische Seelsorge, die »fähig wie bereit ist, das ›Andere, den Anderen zuzulassen, in ihm zugleich das Andere seiner selbst zu erkennen‹« (219, unter Verweis auf H. Luthers Levinas-Rezeption). Dabei wird »von ge­währter Identität« ausgegangen, »die nicht erst im Akt des Beseelsorgens hergestellt werden muss« (220). TZI kann im Rahmen einer solchen pastoralen Praxis »zu einer gläubigen Identität« anleiten, kann doch pastorale Praxis »von gewährter Identität ausgehen« (224).
In einem weit ausgreifenden Gedankengang werden die theologischen Topoi der heilsgeschichtlichen Begegnung Gottes mit dem Menschen als Gewährung von Identität und des freiheitlichen Antwortens des Menschen in fragmentarischer Identität und TZI in eine beide Seiten erweiternde Beziehung gebracht. Die von Gott ›unbedingt‹ gewährte und von uns Menschen ›bedingt‹ realisierte Freiheit eröffnet pastoraler Praxis eine im pantheistischen Gottes-verständnis auf personale Gottesbegegnung erweiterte Anwendung von TZI. Mag die vorgeführte Art von Synthese auch auf dem Boden einer den klassischen Transzendentalismus verwertenden römisch-katholischen Glaubensmetaphysik vollzogen sein, so bietet diese Studie interessante Anregungen für Theorie und Praxis einer »heilsamen Pastoral«.