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Ausgabe:

Februar/2008

Spalte:

209–211

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Roth, Ursula

Titel/Untertitel:

Die Theatralität des Gottesdienstes.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2006. 348 S. 8° = Praktische Theologie und Kultur, 18. Kart. EUR 34,95. ISBN 978-3-579-03497-3.

Rezensent:

Thomas Klie

Die theatertheoretische Sicht auf den christlichen Gottesdienst ist nicht neu. Auch die Kategorien »Inszenierung«, »Korporalität« bzw. »Leiblichkeit«, »Wahrnehmung« und »Performativität« werden nicht das erste Mal als heuristisches Instrumentarium in einer liturgietheoretischen Arbeit in Anschlag gebracht. Neu ist vielmehr die Systematik, unter der die verschiedenen dramaturgischen und spieltheoretischen Ansätze geordnet werden, und neu ist zweitens die Rezeption der parallel zur liturgisch motivierten Performati­vitätsforschung einsetzenden kulturwissenschaftlichen Be­schäfti­gung mit der Theatralität kultureller, d. h. vordergründig theaterfremder Phänomene. Damit sind der theoretische Ort und die Erschließungsrichtung der vorliegenden Münchener Habilitationsschrift benannt.
Lässt man sich auf diese Perspektive ein und sieht bewusst von einer liturgiegeschichtlichen und dogmatischen Argumentation ab, dann profitiert man von der Lektüre dieses Buches. R. entwirft eine umfassende Metatheorie liturgisch orientierter Theatralität. Es sollen »allgemeine Strukturen herausgearbeitet werden, die dem kulturwissenschaftlichen Modell ›Theater‹ Kontur verleihen« (12). Der Theaterwissenschaft kommt im Rahmen dieses Forschungsansatzes eine zentrale Rolle zu, denn sie repräsentiert das Theo­rieensemble des Performativen. Definiert werden zunächst in Kapitel 2 die vier genannten Kategorien, um im Anschluss daran die grundlegenden Funktionselemente des Gottesdienstes zu präzisieren: Stück, Akteure, Ensemble, Publikum, Beteiligungsmuster, Chor, Performanz (Kapitel 3). Der mit fünf Seiten reichlich knappe Schluss fasst dann die Ergebnisse thetisch zusammen.
Theoriegeschichtlich speist sich die Untersuchung vor allem aus zwei Diskursen: aus dem »performative turn« innerhalb einer interdisziplinär ansetzenden Kulturwissenschaft und aus den vielerorts in der praktisch-theologischen Literatur postulierten Strukturanalogien zwischen theatraler und liturgischer Darstellung (Kapitel 2.2). Mit der Berliner Theatersemiotikerin Fischer-Lichte – neben Marcus A. Friedrich eine der Kronzeuginnen dieser Untersuchung – bringt R. vier nicht immer trennscharfe Basiskategorien in Anschlag: »Inszenierung« als Möglichkeitsbedingung von Aufführung, »Korporalität« als gewissermaßen mediale Bedingung von Spiel, »Wahrnehmung« als Grundlage für die Bedeutungszuschreibung und schließlich »Performativität« als Ausdruck der Ereignishaftigkeit theatraler Zeichenprozesse.
Der Vergleich des Lebens mit dem Schauspiel wurzelt in der griechischen Antike, er zeigt sich in der mittelalterlichen Vorstellung vom Theatrum mundi, in der Barockrhetorik und kulminiert in der kultursoziologischen Pantheatralitätsthese von Goffman (»Wir alle spielen Theater«). Diese Traditionslinie, die auf den ersten Blick kohärent erscheint, ist in sich natürlich mehr als schillernd, vor allem aber reichlich brüchig, vermengen sich doch bei der diachronen Auflistung die Theorieebenen erheblich: das Drama als Metapher, Modell, Norm, Begründungszusammenhang oder Analogie des (religiösen) Lebens. Leider werden diese Differenzen an einigen Stellen des systematischen Teils (129 ff.) reimportiert. Ob man einen Gottesdienst auf Grund formaler Entsprechungen de­skriptiv als Drama ansieht, ihn als Drama aufführt bzw. aufzuführen hat (»liturgische Präsenz«), ihn aus einer Theodramatik ableitet oder ihn fundamentalliturgisch durch die Dialektik von Präsenz und Präsentation (Sakramente!) konstituiert sieht, kongruiert keineswegs. Im Theoriezugriff muss dies aber expliziert werden. Deutlich wird zumindest, dass eine rein theatertheoretische Perspektive hier an ihre Grenzen stößt, muss doch in liturgicis um der Sache willen theologisch argumentiert werden. Nur von diesem, wenn man so will, archimedischen Punkt her werden die verschiedenen Deutungsebenen liturgietheoretisch aufeinander abbildbar. Das Problem spitzt sich zwangsläufig zu an der grundlegenden Frage, welches »Stück« denn im oder als Gottesdienst inszeniert wird. Mit Bedacht rückt R. diese Problemanzeige an den Anfang ihrer Theoriebemühungen, ohne hier jedoch argumentativ selbst Position zu beziehen. Die ausführliche und kundige Rekonstruktion der Referenztheorien mündet leider nicht in eine konsistente, selbst verantworte Deutung. Wie so oft neigt das Genre Qualifikationsarbeit eher zu Richtigkeiten als zu Wagnissen.
Die entscheidende Differenz zwischen Theater und Gottesdienst– hier resümiert R. einen protestantisch-liturgischen common sense – ist die Absenz eines »Publikums«. Die Gemeinde ist feiernd immer mit im Stück: »Recht besehen ist es nur ein kleinerer Bühnenausschnitt, nämlich der der Bühne, der sich damit für den Vergleich von Theater und Gottesdienst nahe legt.« (208) Dies relativiert die Theater-Analogie keineswegs, denn die Wahrnehmungs- und Aktionseinheit von Akteuren und Publikum, liturgischem Personal und Gottesdienstgemeinde korreliert spätestens seit der Theateravantgarde eng mit neueren rezeptionsästhetischen und reformatorischen Einsichten. Weiterführend ist in diesem Zusammenhang der Vergleich mit dem Chor in der antiken Tragödie; er gibt hier das Modell ab für eine »aktive, am theatralen Ereignis beteiligte Zu­schauerrolle« (223 passim, vor allem 265 ff.). Der Gemeinde kommt nach R. die Rolle des Chors zu: »Neben den Rollen als Festmenge und als mitfeiernde Gemeinde wird das Publikum aber auch durch inszenatorische Mittel gleichsam in verschiedenen Statistenrollen in das Stück einbezogen.« (224) Idealtypisch manifestiert sich ein solches Teilnahmeverhalten gegenwärtig in der englischen »liquid church« (Pete Ward).
Durchaus sympathisch ist hier das erfrischende Plädoyer für eine Vielfalt liturgischer Partizipationsmuster, die ein (nach außen hin) passives Teilnahmeverhalten ausdrücklich mit einschließt. Ge­schieht dies nicht, »büßt der Gottesdienst seine Weite und Offenheit für die individualisierte und pluralisierte Frömmigkeitskultur der Moderne ein« (254).
R.s Lehr-Gang durch die Geschichte der Gottesdienst-Theater-Analogie kommt zu einem doppelten Schluss: 1. Liturgie ist kein Drama, 2. Liturgie als Drama zu betrachten, verhilft »zu einem prägnanten Verständnis des Gottesdienstes, seines Wesens, seiner Struktur und seiner Beteiligungsmuster« (293). Und so liest dieses Buch mit Gewinn, wer bereit ist, sich auf diese Betrachtungsweise einzulassen, ohne sie dabei mit der Wirklichkeit zu verwechseln.