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Ausgabe:

Februar/2008

Spalte:

204–206

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Schmidt-Leukel, Perry

Titel/Untertitel:

Gott ohne Grenzen. Eine christliche und pluralistische Theologie der Religionen.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2005. 536 S. gr.8°. Geb. EUR 29,95. ISBN 3-579-05219-5.

Rezensent:

Klaus-Dieter Kaiser

Perry Schmidt-Leukel ist seit dem Frühjahr 2000 Inhaber des an der Universität Glasgow neu geschaffenen »Lehrstuhls für Weltreligion und Friede« (vgl. 13). Entsprechend ist seine in diesem Buch dargelegte Theologie der Religionen von der Frage nach der Frieden stiftenden bzw. der Gewalt produzierenden Rolle der Religionen bestimmt (vgl. 17). Geprägt ist sein Ansatz von Debatten der amerikanischen Theologie und Religionswissenschaft, insbesondere von den Arbeiten John H. Hicks, dem er sein Buch widmet.
Ziel des Vf.s ist es, »die Vorzüge einer pluralistischen und zu­gleich christlichen Theologie der Religionen zu beschreiben« (24 f.). Innerhalb dieser doppelten Perspektive geht der Vf. in drei Schritten vor: Erstens liefert er eine Begründung der Notwendigkeit einer solchen theologischen Position, zweitens unternimmt er eine Darlegung der theologischen Voraussetzungen eines solchen An­satzes und drittens folgt eine Darstellung der Bewährung dieser zugleich christlichen und pluralistischen Theologie in der praktischen Begegnung des Christentums mit anderen Religionen. Mit Recht betont der Vf. den untrennbaren Zusammenhang der Beurteilung anderer Religionen durch das Christentum mit der Beurteilung des Christentums selbst (vgl. 34). In beiden Fällen müssen die gleichen Kriterien gelten (vgl. 52), sich in der Begegnung mit Menschen und Institutionen anderer Religionen bewähren (vgl. 38) und kommunikabel bzw. logisch nachvollziehbar sein. »Die entsprechenden Kriterien müssen folglich rationaler, ethischer und religiöser beziehungsweise soteriologischer Natur sein.« (43)
Ausgehend von diesen Voraussetzungen entfaltet der Vf. im ersten Hauptteil die Begründung einer christlich-pluralistischen Theologie der Religionen anhand des religionstheologischen Drei­erschemas aus Exklusivismus, Inklusivismus und Pluralismus. Daneben gibt es »keine weitere[n] theologische[n] Alternativen« (190). Alle drei theologischen Ansätze werden nach dem gleichen Muster behandelt: theologiegeschichtlicher Überblick, verschiedene Formen und neuere Entwicklungen und eine kritische Diskussion und Bewertung der jeweiligen Stärken und Schwächen. Am Ende des ersten Teils bietet der Vf. als einzige sinnvolle Lösung einen religionstheologischen Pluralismus an. Nur der Pluralismus vermag »die anderen Religionen sowohl in dem zu würdigen, was sie mit dem Christentum gemeinsam haben, als auch in ihrer vom Christentum verschiedenen, je eigenen Gestalt. Nur der Pluralismus ist also zu einer genuinen Wertschätzung religiöser Vielfalt in der Lage« (190), lautet das Fazit. Denn »aus christlicher Sicht werden andere Formen der Transzendenzerkenntnis beziehungsweise Offenbarung trotz ihrer Unterschiedlichkeit vom Christentum als der im Christentum bezeugten Offenbarung gleichwertig anerkannt« (70). Die existierende Vielfalt von Religionen braucht eine pluralistische Religionstheorie. Es stellt sich dann aber die Frage, »ob eine pluralistische Position überhaupt eine christliche Möglichkeit darstellt« (191).
Im zweiten Hauptteil wird diese pluralistische Position dann anhand von fünf theologischen Themenfeldern – des metaphysischen, epis­temologischen, hermeneutischen, soteriologischen und christologischen (vgl. 191 f.) – als eindeutig christliche Option entfaltet.
In metaphysischer Hinsicht wird Gott als transzendente Wirklichkeit beschrieben, »die dann richtig bestimmt ist, wenn erkannt wird, dass die unendliche Wirklichkeit Gottes jedes Begreifen und Beschreiben übersteigt« (203). Offen bleibt dabei, wie sich solches Schweigen über Gott (vgl. 206) zur Offenbarung Gottes in den bib­lischen Schriften verhält. In epistemologischer Hinsicht wird dies dann beschrieben. Gott gibt sich den Menschen zu erkennen (vgl. 215). Dies macht der Vf. primär an der Authentizität religiöser Erfahrung fest, die in ihren Begriffen und Kategorien je »an eine bestimmte Zeit und Kultur gebunden sind« (223). In hermeneutischer Hinsicht wird folglich gefragt, ob unter diesen Bedingungen überhaupt von Gott in der Welt und unter Menschen verschiedener Kultur verstehbar miteinander geredet werden kann. »Wenn wir von Gott reden, so reden wir demnach nicht von Gottes eigenem Wesen, was uns unmöglich ist, sondern von jener Art und Weise, in der wir Gott erfahren« (236).
In Aufnahme der Überlegungen von John Hick heißt das: Es ist von der »Geschichtlichkeit religiöser Rede« (243) auszugehen, also einer Pluralität im Reden von Gott. In soteriologischer Hinsicht kann aber eine christlich be­stimmte pluralistische Religionstheologie nur ein christliches Heilsverständnis zu Grunde legen (vgl. 252): Die Offenbarung Gottes geschieht zum Heil des Menschen (vgl. 256). Verschiedene Religionen können und sollen dabei Zeichen und Werkzeuge des Heils sein. Dies wird abschließend in chris­tolo­gischer Hinsicht präzisiert. In Jesus Christus gewinnt die Liebe Gottes konkrete Gestalt (vgl. 275). Christus wird dabei weniger als Person, sondern als der universale Logos verstanden. Dies heißt aber: »Die Vorstellung, dass die universale, heilsstiftende Selbsterschließung Gottes durch Leben, Tod und Auferstehung des Menschen Jesus erst ermöglicht beziehungsweise verursacht worden wäre, ist mit einer pluralistischen Religionstheologie unvereinbar« (277). Die Inkarnationsaussage wird so zur Metapher (vgl. 287), was bedeutet, »dass die Inkarnation und das symbolische Ineinander von göttlicher und menschlicher Natur nicht auf die Person Jesu beschränkt sind, sondern überall dort anzutreffen sind, wo Menschen und Menschliches zum Medium göttlicher Selbsterschließung werden« (291).
Im dritten Hauptteil wird dann die Probe aufs Exempel ge­macht. Mit Blick auf die unterschiedlichen Dialoge des Christentums mit dem Judentum, dem Islam, dem Hinduismus und dem Bud­dhismus werden in jeweils gleich gestalteten Kapiteln zu­nächst die historischen Belastungen durch das Christentum ge­schildert, was jeweils in eine radikale Kritik des christlichen Exklusivismus übergeht.
Dem folgt unter dem Titel »inklusivistische Öffnungen« eine Darstellung der Schwächen des christlichen Inklusivismus. An­hand ausgewählter theologischer Positionen wird der Übergang vom Inklusivismus zur pluralistischen Theologie beschrieben, ehe diese dann als einzige Möglichkeit weiter entfaltet wird, orientiert an bestimmten Problemen, die sich aus der jeweiligen Religion ergeben. Es wird dabei zwar festgehalten, dass »die pluralistische Gleichwertigkeitsthese nicht zur Kritikunfähigkeit führen« (430) darf, aber zugleich immer auch eine Toleranz gelten muss, in der es »um die genuine Wertschätzung der anderen Religion« (431) geht. Die vom Vf. hier im Verhältnis zum Hinduismus ausgeführte Spannung gilt grundlegend auch für die Begegnung mit den anderen Religionen. Die zwischen den beiden Forderungen an die eigene christliche Theologie zum Ausdruck kommende Spannung wird aber vom Vf. nicht aufgelöst. Im Sinn seiner Ausgangsfrage nach der Friedensfähigkeit von Religion betont der Vf., dass gerade gegen­über den Religionen echte Toleranz zu üben sei, die diese wechsel seitige Wertschätzung nicht teilen. Zu unterstreichen ist, dass Toleranz sich gerade auf nicht geteilte Überzeugungen bezieht. Ob diese dann, wie es der Vf. sieht, auch zur Wertschätzung dieser Po­sitionen kommen muss, scheint mir eine Überdehnung des Toleranzbegriffs zu sein und ordnet die Frage nach der begegnenden Wahrheit zu Gunsten der Authentizität der Erfahrung letzterer unter.
Abgeschlossen wird das Buch mit einem Kapitel über »Schritte in die Zukunft«, in denen der Vf. zunächst praktische Konsequenzen zieht: Keine auf Konversion zielende Mission mehr, »liturgische Ausdrucksformen suchen, in denen echte Wertschätzung für das Wahre, Gute und Heilige in den anderen Religionen bekräftigt werden kann« (483), und Bildung über andere Religionen, die von Offenheit geprägt ist. Das angestrebte Ziel sind eine »Welt-Theologie« (486 ff.) und die Entwicklung einer »interreligiösen Spiritualität« (490 ff.) durch sieben Tugenden.
Im letzten Kapital wird deutlich, dass der Vf. mehr als eine Be­schreibung bieten will. Er entfaltet ein theologisches Zukunftsmodell in zweifacher Hinsicht: als theologisches Erklärungsmodell der existierenden Pluralität von Religionen und als Handlungsanweisung gelebter (inter)religiöser Praxis. Über weite Strecken bietet das Buch in seinem die religionswissenschaftlichen Debatten beschreibenden Teil wichtige Detailuntersuchungen zum Verhältnis des Christentums zu anderen Religionen. Die Antwort auf die selbst gestellte zentrale Frage, ob eine pluralistische Religionstheologie sich als eine zugleich genuin christliche erweisen lasse(vgl. 191), bleibt da­gegen vage, weil die christliche Theologie in den Ausführungen unterbestimmt ist.
Eine explizite Religionskritik aus der Perspek­tive der je eigenen Religion fehlt. Gott wird in dieser »Welt-Theologie« vielmehr zum Unbestimmten und Unbestimmbaren (vgl. 203), zur entpersonalisierten transzendenten Wirklichkeit und so zum »Garant eines kosmischen Optimismus« (211), einer »individuellen Heilshoffnung« (ebd.) und der »Authentizität religiöser Erfahrung« (ebd.) als Kriterium wahrer Religion. Der Grund, wa­rum der Mensch des Heils bedürftig ist (Sünde) (vgl. 251), wird kaum entfaltet, und so fehlt eine explizite Würdigung der Rechtfertigungsbotschaft als Kriterium einer christlichen Theologie. An ihre Stelle tritt »die Auffassung, dass heilshaftes Leben sich in entsprechenden Werken und Früchten ausdrückt« (156). Die guten Früchte bilden dann den Referenzpunkt eines Vergleiches des Christentums mit den anderen Religionen (vgl. 157). Als Frage bleibt, ob dies für einen Diskurs mit anderen Religionen allein tragfähig genug ist.