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Ausgabe:

Februar/2008

Spalte:

200–201

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Körtner, Ulrich H. J.

Titel/Untertitel:

Einführung in die theologische Hermeneutik.

Verlag:

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2006. 192 S. gr.8°. Kart. EUR 14,90. ISBN 978-3-534-15740-2.

Rezensent:

Per Röcken

Warum, wozu und für wen werden »Einführungen« verfasst und verlegt? Mit der synchronischen und diachronischen Pluralisierung, Differenzierung und Spezialisierung der Diskurse, dem allseitigen Zuwachs an »Wissen«, Standpunkten und Sichtweisen, so ließe sich zunächst sagen, nehmen sukzessive auch Unordnung und Unübersichtlichkeit zu und damit das Bedürfnis nach Ordnung und Zugänglichkeit von Informationen, deren Selektion mithin ebenso unumgänglich erscheint wie die modellhafte Reduktion und Restrukturierung ihrer Komplexität. Stets droht hier allerdings die Gefahr der Simplifikation wie die der unangemessenen Gewichtung und Hervorhebung. Auch tragen (selbst didaktische) Überblicksdarstellungen, so eine Pointe, ihrerseits wieder zur Vermehrung jener die Kapazität interner wie externer Speichermedien herausfordernden Datenflut bei – ein kommentierender Vorgang übrigens, der nicht selten jener uneingestandenen Logik der Substitution folgt (nämlich sich selbst an die Stelle des Kommentierten setzen zu wollen), auf die zuletzt Hans Ulrich Gumbrecht aufmerksam gemacht hat. Überdies bleibt jede derart konstruierte Ordnung stets auf den je fokussierten, mehr oder weniger klar konturierten Gegenstandsbereich beschränkt, dessen Spezifik sie ih­rerseits adäquat abzubilden hat. Mitunter kann hierbei auf bestehende Ordnungssysteme, erprobte Kategorien rekurriert werden, deren Status freilich zu klären wäre; in der Regel sind dies Kon­zepte von Kontinuität/Diskontinuität, In­klusion/Exklusion, Einheit/Differenz. Dem curricularen Modell entsprechend sind vor allem »(Teil)Disziplinen« ein ge­eigneter Gegenstand thematischer Einführungen, die damit ihrerseits nicht wenig zur Ausdifferenzierung, Konstituierung und Petrifizierung von Disziplingrenzen beitragen.
Was Ulrich Körtner vorlegt, ist gerade nicht als Einführung in eine theologische Teildisziplin »Hermeneutik« gemeint, sondern eröffnet vielmehr eine spezifische Sichtweise auf die Theologie in toto, näherhin einen zentralen (angeblich konstitutiven) Aspekt oder Wesenszug derselben, einen roten Faden, der sie integrativ durchzieht. Insofern ist auch der Titel des Buches irreführend, weit treffender wäre: »Einführung in die Theologie sub specie hermeneuticae«. Erörtert werden also nicht nur Prinzipien und Probleme der Bibelauslegung (wobei konkrete methodologische Fragen vernachlässigt werden), sondern auch »markante Positionen« dezidiert hermeneutischer Theologie im 20. Jh. (scil. Bultmann, Fuchs, Ebeling, Ricœur), gefolgt von einer »enzyklopädischen Orientierung« über »die hermeneutische Frage« in den theologischen Einzeldisziplinen (scil. Kirchengeschichte, Systematische Theologie, Ethik, Praktische Theologie) und einem Überblick über »hermeneutische Probleme« der Ökumene.
Dass die hermeneutische Perspektive als Essenz aller theologischen Fächer zu bestimmen sei, gilt freilich nicht als kritikanfäl­lige Prämisse, wird also nicht eigens nachgewiesen, sondern bestimmt als heuristische Unterstellung maßgeblich den Fokus der Aufmerksamkeit. Das hängt mit K.s universal-existentiellem Hermeneutikverständnis zusammen, das sich ersichtlich dem Rekurs auf jene Entgrenzung der Hermeneutik zur Fundamentalontologie verdankt, wie sie sich seit Schleiermacher bei Dilthey, Heidegger, Gadamer und Odo Marquard vollzogen hat. Wenn K. »Theologie« und »Hermeneutik« (beides wird annähernd synonym gebraucht) als »Interpretationspraxis einer soteriologischen Deutung der Wirklichkeit« qualifiziert, ist es tatsächlich nicht mehr weit bis zur »Analytik der Existenzialität der Existenz«.
Sieht man von den eingangs erwähnten Problemen jeder Über­blicks­darstellung ab, steht und fällt die Plausibilität der vorliegenden Konstruktionsleistung mit den die Darstellung leitenden Prämissen. Zwar hat die Ausweitung des Hermeneutikbegriffs offenkundig den Vorteil, alles in die Darstellung einbeziehen zu können, wenngleich manches sich sichtlich dagegen sträubt, in das hermeneutische Korsett gezwängt zu werden (besonders deutlich im Kapitel zur Ökumene). Die Nachteile überwiegen: Bei aller Gleichmacherei bleiben die Heterogenität und der Facettenreichtum der Gegenstände bestehen. Die ausufernde Informationsfülle bringt es mit sich, dass die Darstellung im Einzelnen allzu gedrängt und kursorisch bleibt, nichts eingehend vertiefen kann, im Ganzen aber zur Re­dundanz neigt. Literaturverzeichnis (auf das im Fließtext mit anonymen Nummern verwiesen wird, was umständliches Blättern mit sich bringt), Personen- und Sachregister schließen den etwas nachlässig redigierten Band ab.