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Ausgabe:

Februar/2008

Spalte:

196–198

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Westerkamp, Dirk

Titel/Untertitel:

Via negativa. Sprache und Methode der negativen Theologie.

Verlag:

München: Fink 2006. 300 S. gr.8°. Kart. EUR 36,90. ISBN 978-3-7705-4151-5.

Rezensent:

Thomas Rentsch

W. untersucht komparativ und typologisch die via negativa in epis­temischer, darüber hinaus aber in reflektiert-epistemolo­gischer, negationstheoretischer, semantisch-prädikationstheore­tischer Hin­sicht. Erst die zweite, methodologische Perspektive er­schließt die begründungstheoretische Dimension der Thematik systematisch und macht unabgegoltene Potentiale prämodernen Denkens im Paradigma der negativen Theologie für die Gegenwart zugänglich.
Das erste Kapitel thematisiert Dionysius Areopagita und seine »Metaphysik der Anonymität«. W. hebt hervor, dass die negative Reflexion auf das Eine in Platons Parmenides und dessen Deutung durch die Neuplatoniker die via negativa bis zu Levinas, Putnam, Derrida und Marion methodisch prägen (13). Insbesondere sind dies die drei Hypothesen des nichtseienden Einen, des seienden Einen und des sich zeigenden scheinenden Einen (14). Proklos’ Parmenides-Kommentar begründet den Vorrang der negativen vor der affirmativen Methode im Denken des Einen. Genau wird der An­satz des Pseudo-Dionysius rekonstruiert, wobei dem Verhältnis von nichtseiendem Einen und seiendem Einen am Schnittpunkt von via negativa und via eminentiae besondere Bedeutung zu­kommt (24 ff.). Die verschiedenen Formen der Negation werden untersucht, mit J. N. Jones wird Dionysius’ Ansatz als eine »critical theology« begriffen (30). Das zentrale Thema der Verborgenheit und Namenlosigkeit wird auch auf die verdeckte Identität des Pseudo-Dionysius selbst bezogen (36–38). Die Scholien des Johannes Scythopolis, die Ambigua des Maximus Confessor und die Dogmatik des Johannes Damascenus werden in ihrer Bedeutung für die beginnende über 1000-jährige Kommentierungstätigkeit am Corpus Dionysiacum interpretiert, die der Inventarisierung und Apologie dient (38–49). Entscheidende methodologische Bedeutung kommt der lateinischen Übersetzung durch Eriugena zu: im Blick auf die negative Definition Gottes, die Lehre von der divina ignorantia, die Theorie des nihilum und die Differenz essentia-substantia in Gott (50). Das Verhältnis der Theologie zur aristotelischen Kategorienlehre im Sinn der Transkategorialität und die zentrale Stellung der Überprädikate bei Eriugena werden überzeugend herausgearbeitet (56 ff., 13–61).
Das zweite Kapitel behandelt die jüdisch-arabische Transformation der via negativa im Mittelalter mit dem Fokus auf der negativen Attributenlehre (63 f.). Die Ansätze Philos, Jehuda Halevis (64–69) und Ibn Dauds (69–73) beim Tetragrammaton werden in ihrer negativ-theologischen Struktur analysiert. Die negative At­tribu­ten­lehre des Maimonides in seinem »Führer der Unschlüssigen« wird als Überbietung aller bisherigen negativen Theologie verdeutlicht. Ihr Ziel ist der Beweis der Unmöglichkeit affirmativer Theologie (75). Dazu werden Stufen der Negation unterschieden. W. kritisiert die supraessentialistische Deutung des Maimonides durch Guttmann und Derrida: Zentral ist vielmehr die fundamentale Negation unter Einschluss der »Selbstnegation der negativen Methode« (78). W. differenziert näherhin die kumulative und die erkenntnisrelativistische Funktion der Negation bei Maimonides (80 ff.). Sie gipfelt in der stummen, zeigenden Unaussprechlichkeit des Tetragramms (86 f.). Der Abschluss des Kapitels behandelt instruktiv die Kritik der negativen Attributenlehre bei Abraham Abulafia (kabbalistisch), Chasdai Crescas und dessen Schüler Albo. Die Kritik führt allerdings nicht zu einer positiven Erkenntnis der göttlichen Substanz (96 f., 63–97).
Das dritte Kapitel untersucht die Exodusmetaphysik und die »Schnittflächen« der dionysianischen und maimonidischen nega­tiven Theologie im Mittelalter, zunächst den Vermittlungsansatz des Albertus Magnus. Die Negation bleibt an Affirmation gebunden (zu Dionysius), der Eigenname bleibt die Schnittstelle von affirmativer und negativer Methode (zu Maimonides). W. weist Albert produktive Fehldeutungen nach (106 f.), mit denen er die negative Theologie relativiert.
Thomas rehabilitiert die affirmative Theologie durch seine Analogie- und Äquivokationslehre, indem er die Relationsattribute epistemologisch aufwertet (113). Genau wird an den verschiedenen Ansätzen in den Werken des Thomas herausgearbeitet, wie er dem »erstarrten negativ-theologischen Dionysianismus« »mit einer Aris­totelisierung negativer Theologie zu begegnen versucht« (120). Thomas ist »negativer Theologe nur als Kritiker der negativen Theo­logie« (123). Denn er lehrt deren notwendig positives Substrat, letztlich das qui est, den seienden Gott. Hier hätte durch Einbezug neuerer Forschung (G. Hasselhoff, F. O’ Rourke) womöglich eine noch differenziertere Interpretation erfolgen können.
Werkimmanent wird die Entwicklung der negativen Theologie bei Meister Eckhart rekonstruiert. Zentral ist bei ihm das Ego sum qui sum von Ex 3,14, methodisch erhält die Negation der Negation eine bisher so nicht vertretene Funktion (128), die die Affirmation aufwertet und zum überseienden Einen führt (132). Nikolaus von Kues’ Konzeption des Nicht-Anderen fokussiert sich nach W. um eine Theorie des göttlichen Eigennamens, in der sich erneut Anonymitäts-, Tetragramm- und Exodusmetaphysik berühren. Cusanus fundiert die via eminentiae in der affirmativen Theologie. Im Sinne seines Ansatzes von complicatio und explicatio schließt der unaussprechliche Name (das Tetragramm) aber unendlich viele endliche Namen ein. Dies lehre die docta ignorantia. Später entwickelt Cusanus eigene änigmatische Wortbildungen wie non aliud und possest. W. akzentuiert die Interkulturalität seines Entwurfs und seine Neubegründung der via negativa (143 f., 99–144).
Im folgenden Kapitel entwickelt W. zwei Exkurse über negative und natürliche Theologie. Ein »Florilegium« (145 f.) versammelt zunächst Bestimmungen der via negativa von Proklos bis Cusanus. Es soll im Folgenden geklärt werden, warum die negative Theologie in der Neuzeit an Bedeutung verliert. Valla und Erasmus artikulieren Zweifel an der Echtheit des Corpus Dionysiacum. Ficino und Pico della Mirandola argumentieren dagegen. Bei Pico erhält die Transzendentalienlehre verstärkt systematische Bedeutung (159). Noch bei Carolus Bovillus spiegeln sich in seinen Unterscheidungen der theologia negativa, assertiva und affirmativa die an­fangs von W. aufgewiesenen Hypothesen von Platons Parmenides und begründen seine Gegensatzlehre (164 f.). Luthers Lehre vom Deus absconditus hält die epistemische These der negativen Theologie fest. Prägnant wird aber herausgearbeitet, wie für Luther letztlich die negative Theologie selbst noch nicht negativ genug ist und er sie konsequent in (moraltheologische) Handlungsattribute übersetzt (165 ff.). Eck verteidigt demgegenüber die negative Theologie und versucht, ihren Ursprung bei Paulus nachzuweisen (167 ff.).
In einem instruktiven Abschnitt zu Hegel wird sehr dicht entwickelt, wie dieser in seiner Logik die negative Theologie ebenso in ihrer irreführenden Unmittelbarkeit kritisiert wie z. B. eine Ge­fühlstheologie (180 f.). Der Negation vom Absoluten (negative Theo­logie) und der Negation des Absoluten (Atheismus) setzt er die Negation im Absoluten und »das christliche Konzept vom Ab­soluten als einem sich zeigenden und scheinenden Einen« entgegen (181 f.145–184).
Das fünfte Kapitel thematisiert die »negative Theologie im Diskurs der Moderne« (185). W. exponiert zunächst das absolute Paradoxon bei Kierkegaard (185 ff.), Jaspers’ daran anknüpfende negative Theologie der Transzendenz des Umgreifenden und Cohens praktische Transformation der negativen Theologie (187–191). Levinas Konzept der »Spur des Anderen« wird als »eine dop­pelte Negation negativer Theologie« (200) in praktischer Absicht interpretiert. Der Vergleich der différance Derridas mit der via negativa zeigt, dass Derrida nur deren epistemologische Struktur übernimmt. Sein Spur-Begriff ist plotinisch (E. Perl). Näherhin differenziert er drei Paradigmen negativer Theologie (Platon, Dionysios, Heidegger). W. analysiert erhellend sechs Schritte von Derridas Re­flexion der theologia negativa, wobei dessen Einführung des Gebets in diesen Kontext eigenwillig ist (204 ff.). Es wird sichtbar, dass die Differenz und Nähe Derridas zur negativen Theologie nur in einer die Komplexität bereits der Tradition rekonstruierenden Perspektive bestimmbar wird (208 f.). Marion setzt sich kritisch mit Derrida auseinander und entwickelt eine Theologie der Abwesenheit in praktischer, christlicher Perspektive (209–215). Putnam versucht, Maimonides mit Wittgenstein im Blick auf die Besonderheit des Namens Gottes zu rekonstruieren und kritisch zu präzisieren (215–218).
In einem Epilog verdichtet W. seine Ergebnisse und zeigt vor allem unter Rekurs auf Wittgenstein, warum die metaphysikkri­tischen Potentiale der negativen Theologie in ihrer sprachphilo­sophischen und ethischen Tragweite bis in die Moderne und Postmoderne produktiv wirken und neu angeeignet werden. Er differenziert drei Dimensionen der Alterität, die unser sprachliches Weltverständnis konstituieren und in denen das Unsagbare als dritte, »diagonale« Dimension neben vertikaler Intersubjektivität und horizontaler Objektivität seinen irreduziblen Ort hat (219–225).
Historisch wie systematisch und mit Bezug auf die Forschung bietet W.s Studie reichhaltige und produktive, oft innovative Zu­griffe auf die Thematik, deren komplex binnendifferenzierte Einheit von Platon bis Putnam deutlich wird. Sie kann allen, die sich mit negativer Theologie befassen, nachdrücklich empfohlen werden.