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Ausgabe:

Februar/2008

Spalte:

186–188

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Dottori, Riccardo

Titel/Untertitel:

Die Reflexion des Wirklichen. Zwischen Hegels absoluter Dialektik und der Philosophie der Endlichkeit von M. Heidegger und H. G. Gadamer.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2006. XI, 635 S. gr.8°. Lw. EUR 79,00. ISBN 978-3-16-148090-4.

Rezensent:

Christian Danz

Das anzuzeigende Buch von Riccardo Dottori Die Reflexion des Wirklichen hat bereits eine längere Vorgeschichte. Es handelt sich nicht nur um die auf Hans Georg Gadamers Wunsch überarbeitete Fassung von D.s Habilitationsschrift, die bereits 1984 gedruckt wurde. Vielmehr entstand die Idee zu dieser Arbeit, worauf D. selbst mehrfach hinweist, in einer Seminarsitzung von Hans Georg Gadamer am 11. Februar 1970. An der Seminarsitzung, welche dem Thema »Hermeneutik und Dialektik« gewidmet war, nahm Martin Heidegger teil, der anlässlich des 70. Geburtstags von Gadamer in Heidelberg weilte. In der Sitzung wurde über die Dialektik Hegels debattiert und implizit über das Verhältnis von Heideggers Spätphilosophie und Gadamers hermeneutischer Philosophie. Heidegger, so D., wurde dabei mit folgender Frage konfrontiert: »Wenn die Reflexion als Rückschein in die Aletheia zu verstehen ist, ohne daß diese erfahren und begründet werde und zum Wesen kommt, dann geht es darum, diesen Rückschein zu thematisieren und zu erfahren; das ist aber gerade das, was Hegel unternommen hat, die Reflexion als die Rückbeziehung zu einer in ihr erscheinenden Voraussetzung als den ursprünglichen Ort des Wahren zu thematisieren, und wer heute diesen Rückschein nochmals thematisieren will, kommt in bezug auf ihn zu spät.« (426) Die in dem Seminar geführte Auseinandersetzung zwischen Gadamer und Heidegger über die Deutung von Hegels Dialektik und über das Verhältnis von Heid­egger und seinem Schüler Gadamer bildet den inneren Problem­zusammenhang des in dem Buch von D. entfalteten Begriffs der Reflexion.
Gadamers Hegeldeutung wird von D. in den Horizont von Heid­eggers Deutung der Philosophie Hegels gestellt und schließlich auf eine Rekonstruktion der werkgeschichtlichen Entwick­lung von Hegels Philosophie von den sogenannten theologischen Jugendschriften Hegels bis hin zu der Phänomenologie des Geistes selbst bezogen. Aus dieser Ausgangslage, nämlich dem zwischen Gadamer und Heidegger strittigen Verständnis der Reflexion bei Hegel, resultiert der Aufbau der Untersuchung. Der erste Teil geht in drei Kapiteln dem Begriff der Reflexion von Kant über Hegels theologische Jugendschriften bis hin zur Differenzschrift nach (33–154). Der zweite, umfangsreichste Teil der Untersuchung, bietet die gedankliche Entfaltung des von Hegel in der Differenzschrift in Anlehnung an Schelling angedeuteten Programms einer spekulativen Philosophie (155–413). Dabei erörtert D. unter der Überschrift Die Thematisierung des Wirklichen fast ausschließlich den Weg des Bewusstseins hin zu seiner Selbsterfassung im absoluten Wissen, wie er von Hegel in der Phänomenologie des Geistes ausgeführt wurde. Der letzte Teil schließlich, der unter der Überschrift Die Verwindung der Metaphysik steht, wendet sich den Hegeldeutungen von Heidegger und Gadamer auf der Folie der im ersten und zweiten Teil vorgeführten Hegelrekonstruktion zu (415–486). Dabei setzt D. mit seinem Protokoll der Seminarsitzung vom 11. Februar 1970 ein und diskutiert die Nachgeschichte der Debatte zwischen Heidegger und Gadamer durch die Mitteilung von drei Briefen Heideggers an Gadamer aus den Jahren 1970 bis 1972. Im Anschluss daran wird das phänomenologische und hermeneutische Verständnis der Reflexion von Heidegger und Gadamer dargestellt. Eine kurze Endbetrachtung (587–593) fasst die Untersuchung zusammen und deutet die Relevanz des ausgeführten Reflexionsbegriffs für die durch Globalisierung und religiösen Pluralismus geprägten Debattenlagen der Gegenwart an. Literaturverzeichnis (595–613) sowie Sach- und Personenregister (615–635) schließen die Untersuchung ab.
D. möchte auf dem Hintergrund der Debatte zwischen Heidegger und Gadamer Hegels Begriff der Reflexion in seiner werkgeschichtlichen Entwicklung verfolgen (14) und dessen systematische Bedeutung für die gegenwärtige Situation darlegen. Dadurch soll zugleich die Nähe und Ferne zwischen der Philosophie Hegels auf der einen Seite und Heidegger und Gadamer auf der anderen Seite herausgearbeitet werden. Hierzu erörtert D. zunächst Kants Verständnis der Reflexion, wie es von diesem in dem Amphibolie-Kapitel der Kritik der reinen Vernunft sowie in der Kritik der Urteilskraft ausgeführt wurde. Kants transzendentalphilosophischer Be­griff der Reflexion, von D. als »innere Rückwendung des erkennenden Subjekts auf sich selbst« (79) verstanden, werde von Kant in der Kritik der Urteilskraft weiter ausgeführt, und zwar im Sinne einer von der reflektierenden Urteilskraft zum Zwecke der Naturerkenntnis notwendig vorauszusetzenden Einheit. Der Verstand kann das Einzelne nur durch die reflektierende Urteilskraft unter das Allgemeine subsumieren, »welche eben in der Reflexion die Zweckmäßigkeit als Prinzip mitbringt und dadurch das Allgemeine für das Einzelne selbst sucht« (90). Hegels sog. theologische Jugendschriften knüpfen bekanntlich an Kants Philosophie an und versuchen auf dem Hintergrund der Debatten im Frühidealismus ein um die Begriffe ›Leben‹ und ›Liebe‹ kreisendes Einheitskonzept auszuarbeiten. D. hebt in diesem Zusammenhang die Rolle der Religion für dieses Einheitskonzept hervor und notiert zu Recht die Probleme, welche mit Hegels früher Konzeption verbunden sind. Sie bestehen im Wesentlichen darin, dass Hegel die Einheit der mit der Reflexion verbundenen Gegensätze nur in einem Jenseits der Reflexion verorten kann. »Diese Erhebung des endlichen zum unendlichen Lebens versteht Hegel hier nicht als Philosophie, sondern als Religion, denn sie wird nicht durch die Betrachtung der denkenden Vernunft vollzogen, da diese nur die Einseitigkeit des Werks der Reflexion und ihrer Denkbestimmungen anerkennt; sie kann nicht die Vereinigung vollbringen, denn die Vereinigung und dadurch das Sein liegt jenseits der Reflexion, der Trennung und Entgegensetzung« (118). Hegels weitere philosophische Entwicklung darf deshalb als ein Umgang mit diesem Dilemma seiner frühen Vereinigungsphilosophie verstanden werden. Der gedankliche Fortschritt des Jenaer Hegels, der sich in der Differenzschrift und in Glauben und Wissen zunächst noch unter dem Einfluss Schellings andeutet, besteht darin, dass er die Reflexion auf sich selbst anwendet und dadurch zu einem gehaltvolleren Begriff der Reflexion gelangt. Mit der Selbstanwendung der Reflexion auf sich selbst, welche den Übergang von der Verstandesreflexion und seinen Entgegensetzungen zur vernünftigen Spekulation markiert, ist nun auch ein neuer Begriff des Absoluten verbunden, der nicht mehr im Zeichen bloßer Identität konstruiert ist. »Damit sie zur wahren Spekulation komme, mußte sie die Einheit von Setzen und Entgegensetzen in ihrer Voraussetzung, d. h. im Absoluten erfasst haben, denn das heißt, das Absolute für das Bewußtsein, als Bewußtes und Bewußtloses konstruiert, und damit auch seine Einheit mit der endlichen Welt erwiesen zu haben.« (143)
Dieses von Hegel in der Differenzschrift sowie in Glauben und Wissen angedeutete Programm einer spekulativen Philosophie wird im zweiten Teil von D. kenntnisreich anhand von Hegels Jenaer Hauptwerk, der Phänomenologie des Geistes, rekonstruiert. In seiner Rekonstruktion der Erfahrungen des Bewusstseins auf dem Weg zum absoluten Geist, der sich als alle Wirklichkeit weiß, bezieht D. nicht nur die Philosophie Fichtes mit ein, sondern verfolgt die Spuren von Hegels Reflexionsbegriff in den Philosophien von Platon und Aristoteles. D.s materialreiche Ausführungen zur Phänomenologie des Geistes können hier auf Grund des zur Verfügung stehenden Raums nicht im Einzelnen gewürdigt werden. Hinzuweisen ist jedoch darauf, dass D. als Resultat seiner Studie drei Begriffe von Reflexion unterscheidet. Zunächst den Kantischen, der als reflexive Durchsichtigkeit des Bewusstseins verstanden wird. Bei Hegel liegt dann ein zweites Verständnis von Reflexion vor, welches D. als ein ontologisches charakterisiert. Dieses Verständnis von Reflexion ist nicht mehr transzendentalphilosophisch, sondern es bezieht sich auf die reflexive Tätigkeit des sich selbst erfassenden Geistes in seinem Setzen und Bestimmen von Anderen. Von diesem zweiten Begriff der Reflexion unterscheidet D. noch einen dritten, der jedoch in der eben genannten Reflexivität des Selbstverhältnisses seinen Anhalt hat und der seine Weiterführung bei Heidegger und Gadamer findet. Er darf als Endlichkeitsreflexion bezeichnet werden und wurde von Heidegger und Gadamer ausgearbeitet. In den Fokus der Aufmerksamkeit treten nun die konkrete, geschichtliche Bestimmtheit des reflexiv verfassten Selbsts und seine geschichtliche Auslegung. D. geht diesem Begriff der Reflexion in der Philosophie Heideggers, die von Sein und Zeit bis hin zu den Spätschriften rekonstruiert wird (433–524), sowie in der hermeneutischen Philosophie Gadamers nach (525–586). Seine Analysen von Heideggers Begriff der Seinsgeschichte, der ontologischen Differenz sowie dem Rückschein der Aletheia auf der einen Seite und Gadamers Überführung der Dialektik in Hermeneutik auf der anderen, möchten dieses Verständnis von phi­losophischer Reflexion für die Ambivalenzen der modernen Ge­sellschaft fruchtbar machen. Dabei weist D. der philosophischen Re­flexion eine zentrale Funktion gerade für die religiösen Kon­flikte der Gegenwart zu.
Ob die Philosophie diese Aufgabe zu leisten vermag, zumal wenn sie dabei einen »globalisierten philosophischen Standpunkt« (584) einnehmen soll, mag man bezweifeln. Eher von Heidegger und Gadamer als von Hegel inspiriert erscheint der von D. am Ende seines Buches proklamierte letzte Gott. »Hinter dieser zweispaltigen Haltung des Erschreckens vor mancher menschlichen Tat, der Bewunderung für die bezaubernde Schönheit der Natur und der Erhabenheit des Weltalls, müssen wir eine unergründliche Intelligenz voraussetzen, welche sich des Zufalls bedient, um seine Zwecke zu verfolgen; das reizt unsere Reflexion, den letzten Sinn des Lebens im Ganzen zu erraten, den wir zu wissen begehren und doch nicht ahnen können.« (593)