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Ausgabe:

Februar/2008

Spalte:

184–185

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Vorgrimler, Herbert

Titel/Untertitel:

Karl Rahner. Gotteserfahrung in Leben und Denken.

Verlag:

Darmstadt: Primus 2004. VIII, 284 S. m. Abb. 8°. Lw. EUR 29,90. ISBN 3-89678-489-7.

Rezensent:

Roman A. Siebenrock

Der Schüler, langjährige Mitarbeiter, Wegbegleiter und Freund Karl Rahners SJ hat schon verschiedene Hinführungen und Einleitungen zu Gestalt und Werk des bedeutenden katholischen Theologen geschrieben. Mit diesem Buch eröffnet er einer neuen Generation nicht nur ein Verstehen des Werkes Karl Rahners, sondern mehr noch einen intensiven Einblick in die Entwicklung der christlichen und katholischen Theologie des 20. Jh.s. Gerade in der Gegenwart ist es von höchster Bedeutung, den langen Atem der Geschichte nicht zu verlieren, um sich eine Vorstellung und einen Begriff von dieser Zeit bilden zu können. Das Erinnerungsdefizit scheint mir eines der markantesten Defizite derzeit zu sein. Diese Einführung hat zudem die neuere Diskussion vor allem einer jüngeren Generation von Forscherinnen und Forschern in hohem Maße rezipiert. V. kann ebenso als Mitherausgeber der »Sämtlichen Werke« neueste Editionen und Entwicklungen einarbeiten. Die vorliegende Einführung ist also nicht die Überarbeitung früherer Texte, sondern stellt einen neuen Zugang vor.
Nach einer kurzen Einführung ist der erste Teil der Lebens- und Denkentwicklung gewidmet, während der zweite Teil die Hauptthemen seiner Theologie darstellt. Dabei fällt auf, dass V. in einer gekonnten Auswahl an entscheidenden Texten Rahners ihn selbst immer wieder zu Wort kommen lässt. Der Interpret tritt dabei oftmals ganz zurück.
Neben Sprachstil und einer kleinen bibliographischen Übersicht wird bereits in der Einführung unter dem Stichwort »bösartige Polemik« (oder: »pathologische Phänomene«, 15) erkennbar, dass Rahner immer auch eine umstrittene Gestalt war. V. kann deutlich herausarbeiten, dass es in der Polemik gegen Rahner immer um die Form und zeitgemäße Gestalt von Glauben und Kirche geht. Insofern bedeutet das Studium von und die Auseinandersetzung mit Rahner immer auch, seine eigene Position im Ringen der Gegenwart zu finden und zu beziehen.
Der biographische Teil stellt keine Lebensbeschreibung dar, sondern entwickelt aus einer theologischen Analyse der Gegenwart nicht nur die entscheidenden Entwicklungslinien des Werkes, sondern verdeutlicht auch die »Kanten« Karl Rahners (und lässt zeitweise die spitze Feder V.s aufblitzen). An einigen Beispielen sei die besondere Sichtweise V.s verdeutlicht. Die Diskussion um Luise Rinser wird nüchtern und zutreffend eingeordnet. Zu fragen wäre nur, wo der Briefwechsel sich heute befindet. Das Kapitel »der aufsässige Rahner« bietet eine Übersicht über die Interventionen Rahners ins aktuelle kirchliche Geschehen, in der es vor allem um die angemessene Gestalt der Kirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil geht. Dabei kann er gut verdeutlichen, dass Rahner sich selber nie aus der Kritik genommen hat. Wie stark V. selbst in die Geschehnisse involviert ist, ist dem Abschnitt »Freunde, Freunde?« anzumerken, in dem V. an J. B. Metz, H. U. von Balthasar und J. Ratzinger die komplexen Beziehungen und Rivalitäten in der katholischen Theologie verdeutlicht. Dass V. sowohl zu Metz als auch zeitweise zu Balthasar freundschaftliche Beziehungen pflegte, ist dem unübersehbaren Schmerz dieser Darstellung anzumerken. V. musste sich in dieser polemischen Zeit entscheiden und er hat sich für Rahner entschieden. Daher kann er auch das Wort von der ›radikalen Mitte‹, mit dem Karl Lehmann tituliert worden ist, nicht nachvollziehen (120 f.). Eine Besonderheit dieses Teils sehe ich darin, dass das Kapitel über die »Ökumene« bereits hier dargestellt wird – und zwar unter der Einbeziehung des Verhältnisses zum Judentum. So erscheint dieses Thema in besonderer Weise (zu Recht) als Vermächtnis Karl Rahners.
Waren schon in der Einführung einige Anmerkungen zum Sprach­stil Karl Rahners zu finden, so bietet der zweite Teil eine wirklich umfassende Einführung in die Hauptthemen der systematischen Theologie Karl Rahners. Ich kenne keine Einführung, die es in der Weite der Themen und in der Ausgewogenheit der stark entwicklungsgeschichtlich vorgehenden Darstellung mit diesem Teil des Buches aufnehmen könnte. Dass V. auch noch die wich­tigs­ten Kritiken einarbeitet (aber leider nicht immer durch Literaturverweise ausweist), erhöht den Wert dieses Abschnittes. Vielleicht darf ich anführen, dass ich zu den Hauptthemen der Theologie Karl Rahners auch die Pastoraltheologie und die Interpretation der ignatianischen Tradition (vor allem der Exerzitien) ausdrücklich hinzugezählt hätte. In besonderer Weise ist dieser Teil durch den Erfahrungsbegriff bestimmt. Der Epilog, der den Terminus »Glaubenszeugen« (nach Fries, 279) aufgreift, verdeutlicht, dass diese Theologie aus einer tiefen Erfahrung herrührt und zu dieser Begegnung mit dem lebendigen Gott hinführen möchte. So konnte V. die mystagogische Dimension der Theologie Karl Rahners durchgängig in Erinnerung rufen. Dafür ist ihm vor allem zu danken.
V. ist mehr als eine gewöhnliche Einführung gelungen. Nicht nur als Erstorientierung zum Werk Karl Rahners, auch nicht allein als ›gefährliche‹ Erinnerung an den Gang der Theologie im 20. Jh., sondern vor allem durch die in vielen Zitaten vergegenwärtigende Kraft des Wortes Karl Rahners selbst ist dieses Buch sehr zu empfehlen. Dadurch aber wird die Einführung in die Theologie Karl Rahners zu einer Einführung in den christlichen Glauben selbst.