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Ausgabe:

Februar/2008

Spalte:

183–184

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Sherman, Robert

Titel/Untertitel:

The Shift to Modernity. Christ and the Doctrine of Creation in the Theologies of Schleiermacher and Barth.

Verlag:

New York-London: T & T Clark International 2005. VIII, 244 S. gr.8°. Kart. £ 25,00. ISBN 0-567-02860-7.

Rezensent:

Stefan Holtmann

Ausgangspunkt von Shermans Untersuchung ist die Beobachtung, dass die Entwürfe Schleiermachers und Barths eine Theologie der Moderne repräsentieren: »Schleiermacher and Barth both stand on this side of the watershed between the premodern and modern eras« (1). Schon aus diesem Grund ist die Suche nach »common features« für S. aussichtsreich. Die Schöpfungslehre dient hier als Beispiel, an dem sich die beide verbindende »christologische Orientierung« zeigen lasse, welche sowohl die Wahrung der Kontinuität zur dogmatischen Tradition als auch die Begegnung mit den Herausforderungen der Moderne ermögliche (9 f.).
S.s Vergleich bezieht sich wesentlich auf die Glaubenslehre (1830) und die Kirchliche Dogmatik und ist fokussiert auf systematisch-theologische Konvergenzen. Fragen der Historisierung und werkgeschichtlichen Rekonstruktion treten demgegenüber ebenso in den Hintergrund wie eine intensivere Beschäftigung mit der Sekundärliteratur. Eine Ausnahme bildet die im Anhang geführte Auseinandersetzung mit der Schleiermacher-Deutung Niebuhrs (223–227). S.s Deutung widerspricht im Blick auf Barths Theologie einer Auffassung, die in ihr einen neo-orthodoxen Rückfall in vormodernes Denken sieht. Im Blick auf Schleiermacher zeigt sich S. bemüht, ihn gegenüber der (barthianischen) Kritik als der dogmatischen Tradition verpflichteten protestantischen Theologen und nicht als bloßen »Gefühlstheoretiker« zu profilieren. Für Schleiermacher sei natürliche Theologie eine unmögliche Möglichkeit. Das religiöse Bewusstsein sei nie »neutral« verfasst, sondern immer schon christologisch bestimmt (36). Die Beschreibung im ersten Teil der Glaubenslehre sei eine » abstraction from an actual and particular Christian feeling« (18): »His Glaubenslehre may commence with certain general observations, but these ought not be taken on their own; one must allow the ordering of his system to carry one through to its conclusion, for only then can the full significance of his initial doctrines be manifested.« (183 f.) S. setzt voraus, dass der für den Vergleich relevante Textbestand die einschlägigen §§ 40–41 der Glaubenslehre übersteigt. Vielmehr finde sich auch eine Rede von der Schöpfung im weiteren Sinn (117–120), wenn etwa die drei Abschnitte des ersten Teils der Glaubenslehre durchweg mit Beziehung zwischen Gott und Welt befasst seien. Den Ausgangspunkt theologischen Denkens bilde bei Barth und Schleiermacher » chris­tological experience in the present – either an ›internal‹ feeling or an ›external‹ event – as the prerequisite necessary for dogmatics to expound a doctrine of Creation« (15). Die hier angezeigte Differenz und ihre Konsequenzen auch für die Lehre von der Schöpfung (vgl. 210 f. zur Rolle der biblischen Schöpfungsüberlieferungen) ebnet S. jedoch keineswegs ein.
Auf der Grundlage seiner Überlegungen zum Ansatz der Schöpfungslehre arbeitet S. sodann inhaltliche Berührungen zwischen den Entwürfen heraus. So werde von beiden die theologische Anthropologie christologisch entworfen, im einen Fall implizit, im anderen explizit christozentrisch. In beiden Entwürfen werde diese Perspektive auf die Schöpfung nicht in Konkurrenz zur naturwissenschaftlichen Erkenntnis gesehen. Schleiermacher vermeide jeden Konflikt durch den Ausschluss des Mythischen in seiner Schöpfungslehre (59) und den Versuch, Gottes Wirken im Einklang mit den kausalen Zusammenhängen naturwissenschaftlicher Welterklärung zu entfalten (137). Der Rückfall in einen vormodernen Supranaturalismus sei für ihn ausgeschlossen. Barth lasse zwar der Naturwissenschaft gegenüber eine kritische Haltung erkennen, sofern diese nicht Sinn und Grund der Welt an sich erklären könne (60), in ihren Grenzen jedoch stelle er deren Kompetenz nicht in Frage. Auch für ihn gelte: »Barth took seriously the insights and challenges of contemporary science, history, and philosophy.« (45) Als Beispiel solcher Modernität wird Barths Hinweis auf die historische Relativität aller, auch der eigenen Dogmatik angeführt (46). Der moderne Charakter dieser Theologien zeige sich auch im Verständnis des Sündenfalls, den beide weder als historisches Ereignis noch unter Zuhilfenahme dualistischer Kategorien fassten. Der Widerspruch der Sünde richte sich gegen die am Anfang der Schöpfung in Christus festgelegte »archetypische Definition menschlicher Natur« (218). Das Versöhnungsgeschehen bringe für beide nichts anderes als diesen ursprünglichen Sinn der Schöpfung ans Licht und bewirke damit einen noetischen, keinen ontologischen Wandel. Schließlich ließen sich auch im Blick auf das Problem des Bösen Berührungen feststellen. Der Tod ist schon in der ursprünglichen Schöpfung angelegt und wird erst durch seine verkehrte menschliche Wahrnehmung zum Problem. Entsprechend wird dem Phänomen des Bösen grundsätzlich jegliche eigenständige Macht genommen. Bei Barth zum »Nichtigen« qualifiziert, werde das Böse von Schleiermacher als »Schattenseite« in einer teleologischen Geschichtskonzeption aufgehoben: »God created human nature to undergo a process of development, to reach ever higher stages of spiritual maturity.« (187)
Ein knappes Personen- und Sachregister beschließt die Studie. Barth ist auf diesem Wege »moderner«, Schleiermacher hingegen »klassischer« geworden. S. verschweigt nicht die Unterschiede zwischen beiden, er macht jedoch deutlich, dass sich die theologische Verweigerung der Moderne auf keinen der beiden Ak­teure berufen kann. Seine Studie reiht sich ein in die neuere Tendenz, insbesondere der Barthforschung (vgl. B. L. McCormack), stärker Beziehungen und Gemeinsamkeiten zwischen Schleiermacher und Barth als deren Differenzen in den Blick zu nehmen. An diesem Punkt ist der thematische Schwerpunkt gut gewählt, auch wenn S.s Untersuchung durchaus noch Raum für theologie- und werkgeschichtliche Tiefenbohrungen lässt.