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Ausgabe:

Februar/2008

Spalte:

181–182

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Schmaus, Michael (†), Grillmeier, Alois Kardinal (†), Scheff­czyck, Leo Kardinal, Seybold, Michael, u. Erich Naab [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Handbuch der Dogmengeschichte. Bd. III. Fasc. 1e: Chris­tologie. Im 19. und 20. Jahrhundert. Von I. Koncsik.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien: Herder 2005. 147 S. 4°. Kart. EUR 30,00. ISBN 3-451-00751-7.

Rezensent:

Ulrich Kühn

Diese dogmen- und theologiegeschichtliche Darstellung der Chris­tologie im 19. und 20. Jh. wird eröffnet mit einem Kapitel I. Kirchliches Lehramt (§ 1. Realontologische Christologie). Hier werden die lehramtlichen Aussagen von Pius IX. (Syllabus von 1864) bis zum II. Vatikanum und zu Johannes Paul II. (Redemptor hominis) rekapituliert. Sie gelten als »Vorgaben ... realontologischer Provenienz«, die »die verbindliche Lehre von der gottmenschlichen Einheit des Seins Jesu als der letztgültigen Wahrheit allen Menschseins und Seins überhaupt« sowie ein »realistisches« Verständnis der Auferstehung definieren (1). Die Zweinaturenchristologie von Chalcedon bildet dafür das »solide Fundament«, das gegenüber »anthropozentrischen Engführungen« – als »häretischen Positionen« – zur Geltung gebracht wird. Als Gegenbild werden am Ende dieses einleitenden Kapitels »die protestantischen Bewertungen dogmatischer Aussagen« skizziert, die mit den Namen F. C. Baur, A. v. Harnack, P. Althaus und E. Brunner belegt werden (14–16). Sie stehen für die »Unverbindlichkeit dogmatischer Tradition« (15) und für die negativ gewordene Differenz »des autonom sich von jedweden Vorgaben lösen wollenden Menschen zum kirchlichen Lehramt« (16). Damit ist der dogmatische Rahmen für die folgende Darstellung abgesteckt. Auch katholische christologische Entwürfe (wie z. B. derjenige von Alfred Loisy, 49) fallen unter das vernichtende Urteil dieses »realontologischen« Maßstabs, während allein einigen anderen katholischen Entwürfen (M. J. Scheeben, M. Schmaus, K. Adam, und im Gefolge F. Courth, A. Ziegnaus und L. Scheffczyk) eine »Rückkehr zur dogmatischen Christologie« be­scheinigt wird (50–60).
Die Darstellung gliedert sich nach dem erwähnten Einleitungskapitel (I) in vier weitere Hauptkapitel: »Christologische Folgen der Aufklärung« (II), »Christologische Romantik« (III), »Postmetaphysisch induzierte christologische Konzeptionen« (IV) sowie »Philosophische Christologien« (V).
Die Zuordnung des darzustellenden Stoffes zu diesen Kapitelüberschriften ist mitunter überraschend. Z. B. wird die Leben-Jesu-Forschung bei der »Christologischen Romantik« abgehandelt, und R. Bultmanns Christologie begegnet bei den »Philosophischen Christologien«. Als evangelischer Leser wundert man sich darüber, dass Karl Barths großer christologischer Entwurf (KD IV 1–3) mit keiner Silbe erwähnt wird, sondern lediglich der frühe Barth unter »Dialektische Christologien« in Kapitel IV. Auch die bedeutende Christologie Paul Tillichs kommt nicht zur Darstellung, ebenso wenig diejenige von G. Ebeling. M. Kählers bahnbrechende Schrift zum historischen Jesus und geschichtlichen Christus erfährt eine abstruse Beurteilung, wenn ihr vorgeworfen wird, dass ihr zufolge »der wirkliche Jesus ... nicht der Jesus der Evangelien, sondern der Jesus der Verkündigung« sei (44) – womit der Vf. die Pointe Kählers offenbar nicht verstanden hat. Man tröstet sich, dass unter der Rubrik »Philosophische Christologien« außer R. Bultmann (der natürlich negativ beurteilt wird) auch P. Schoonenberg und K. Rahner zu finden sind. Für Schoonenberg gilt: »Jesus wird vermenschlicht und entgöttlicht, so daß im Grunde nur noch ein humanistisches Ethos übrig bleiben kann, das immer wieder neu erinnert und darin wieder belebt werden soll.« (119) Karl Rahner, dessen transzendentale Methode »schwerwiegenden Einfluß« auf Theologen wie Karl Lehmann, Ludwig Müller, Joseph Ratzinger hat (130), zeichnet Christus – in Analogie zu Teilhard de Chardin – als Ziel der Evolution und als quasi »maximale Evolutionsstufe« (130). Den von Rahner Beeinflussten wird allerdings bescheinigt, dass bei ihnen »die transzendentale Methode realontologisch erweitert, wenn nicht gar überschritten« wird (131). Hans Küng wird zusammen mit J. B. Metz und G. Hasenhüttl unter »politische Christologie« eingestuft (102 f.). Eine Behandlung von W. Kasper sucht man vergeblich.
Genug der Einzelheiten. Die große christologisch-hermeneutische Schwäche dieser Darstellung ist, dass die christologische Entscheidung von Chalcedon zum ungeschichtlichen dogmatischen Maßstab genommen wird, dass sie weder einer Reinterpretation aus biblisch-neutestamentlicher Sicht noch einer solchen durch neuere etwa personal-geschichtliche Kategorien ausgesetzt werden darf. Das führt dazu, dass das christologische Ringen der Theologie im 19. und 20. Jh. um ein sachgerechtes Verstehen des Geheimnisses Jesu von Nazareth (das natürlich auch auf Abwege geführt hat) vom Vf. nicht zureichend gewürdigt werden kann. Es ist verhängnisvoll, dass er die weiterführenden hermeneutischen Hinweise des II. Vatikanums in DV 12, die natürlich auch für eine Dogmenhermeneutik gelten, nicht im Blick hat. Dem evangelischen Leser fällt zudem auf, dass sich das christologische Raster des Vf.s auf die Zweinaturenlehre und die Frage der Auferstehung beschränkt, hingegen die christologische Arbeit an der Kreuzestheologie nicht behandelt wird.
Im Einzelnen hat dieser Band gewiss erheblichen Informationswert – die Fülle des berücksichtigten Materials ist enorm. Als theologischer Gesamtentwurf ist er höchst problematisch.