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Ausgabe:

Februar/2008

Spalte:

180–181

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Brokoff, Jürgen, u. Bernd U. Schipper [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Apokalyptik in Antike und Aufklärung.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 2004. 220 S. gr.8° = Studien zu Judentum und Chris­tentum. Kart. EUR 32,90. ISBN 3-506-72367-7.

Rezensent:

Harm Klueting

Nicht nur Parallelbiographien können erstaunliche Einblicke ermöglichen, sondern auch parallele Relectures. Das erweist sich an dem anzuzeigenden Aufsatzband, der interdisziplinär der »Apokalyptik« in der Antike und in der Aufklärung des 18. Jh.s nachgeht. Dabei wählen die Herausgeber, der Germanist Brokoff und der Religionswissenschaftler Schipper, »für den Bereich der Antike« (11) das Buch Daniel, obwohl sie die Apokalyptik in den Qumrantexten und in dem zeitlich vor Daniel liegenden Buch Henoch erwähnen und feststellen, »eine Sichtweise, welche die apokalyptischen Schriften des antiken Judentums einlinear aus dem AT herleitet und genauso eindimensional ins NT überführt«, sei »angesichts der Breite der apokalyptischen Literatur des antiken Judentums forschungsgeschichtlich überholt« (12). Aber: »Das Danielbuch [war] für die Entwicklung der Apokalyptikforschung nicht nur be­sonders prägend, sondern bildet auch den Ausgangspunkt einer Rezeptionsgeschichte, die über das NT bis in die christliche Tra­dition wirkt« (12). Mit Daniel beschäftigen sich die Beiträge des Alttes­tamentlers Stefan Beyerle, des Mitherausgebers Schipper, des Historikers und Ägyptologen Andreas Blasius und des Neutestamentlers Michael Wolter. Dabei verlässt Schipper mit seiner Parallelisierung von Dan 7 und dem aus dem hellenistischen Ägypten stammenden, in vier Papyrusfragmenten der Wiener Papyrussammlung überlieferten «Lamm des Bokchoris« (Einzelheiten: 47 f.), in dem es wie bei Daniel um den Seleukidenherrscher Antiochos IV. Epiphanes geht, den Kanon des Alten Testaments. Bezogen auf die Aufklärung sind Gegenstand der Relecture Herders »Johannes Offenbarung. Ein heiliges Gesicht« von 1775, der der Germanist Jürgen Fohrmann einen Beitrag widmet, Lessings »Erziehung des Menschengeschlechts« von 1780, mit der sich Brokoff auseinandersetzt, und Kants »Das Ende aller Dinge« von 1794, dem die Aufmerksamkeit des an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe Philosophie lehrenden Torsten Hitz und des Dogmatikers Josef Wohlgemuth gilt.
Mag die Parallelisierung des Buches Daniel und der Aufklärung in Gestalt von Herder, Lessing und Kant auch zunächst befremden– die Herausgeber stellen selbst die »Anti-Apokalyptik« (17) im Geschichtsdenken der Aufklärung heraus –, so hat die Parallelrelecture doch einen Paten. Das ist Jacques Derrida, der mit seinem 1983 erschienenen Essay »D’un ton apocalyptique adopté naguère en philosophie« (1985 deutsch: »Von einem neuerdings erhobenen apokalyptischen Ton in der Philosophie«) an Kants Abhandlung »Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie« anknüpft und mit Hilfe einer Art basaler Begriffsdefinition von »Apokalyptik« als »Enthüllung und Entdeckung der Wahrheit« (18) die Gemeinsamkeit von – antiker bzw. alttestamentlicher – Apokalyptik und Aufklärung darin sieht, dass es auch der Aufklärung »um eine Enthüllung und Entdeckung der Wahrheit geht« (18), was an der Lichtmetaphorik der Aufklärung (Enlightenment, Lumière, Illuminismo) verdeutlicht werden könne. Die Herausgeber zitieren Derrida, der den Nachweis zu erbringen sucht, »dass Apokalyptik eine aufklärerische Ambition in sich birgt, wie umgekehrt Aufklärung von einer apokalyptischen Struktur durchzogen wird« (20), mit dem solchergestalt »Aufklärung als Apokalyptik« charakterisierenden Wort: »Die Wahrheit selbst ist das Ende« (19).
Mit der Derrida-These setzen sich vor allem Brokhoff (»Ende der Aufklärung. Apokalyptik und Geschichtsphilosophie in Lessings ›Erziehung des Menschengeschlechts‹«) und Hitz (»Die Moral auf Theologie angewandt, ist die Religion. Kants Schrift ›Das Ende aller Dinge‹ im Kontext seiner praktischen Philosophie«) auseinander. Brokhoff wendet Lessings Rede von der »Lästerung« – bei Lessing Lästerung Gottes – mit Derrida im Hintergrund interpretierend um: »Man könnte die Verwendung des Wortes ›Lästerung‹ nämlich auch so verstehen, dass die Vernunft selbst gelästert wird, falls ihr die Erreichung des Endziels verweigert wird. Wer lästert dann die Vernunft? Gott selbst wäre, wenn er das Menschengeschlecht nicht auf die höchste Stufe der Vernunft kommen lassen würde, ein Lästerer der Vernunft« (163). Hitz verneint für Kants ›Das Ende aller Dinge‹ den Charakter einer apologetischen Schrift, weil Kant zwar durch »Vernunft geoffenbarte Geheimnisse« (190) – Derridas »Entdeckung der Wahrheit« – erwarte, aber »ein künftiges Ende nicht wirklich vorhersagt« (191).