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Ausgabe:

Februar/2008

Spalte:

178–180

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Worstbrock, Franz Josef [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Verfasserlexikon. Deutscher Humanismus 1480–1520. Bd. 1. Lfg. 1–2.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2005. XIX, 632 S. gr.8°. Kart. EUR 68,00. ISBN 978-3-11-019064-9.

Rezensent:

Uwe Schirmer

Das anzuzeigende Werk schließt an das von Wolfgang Stammler begründete und von Karl Langosch fortgeführte zwölfbändige Verfasserlexikon (VL) der deutschen Literatur des Mittelalters an, das als ein konkurrenzloses wissenschaftliches Unternehmen gilt und höchste Wertschätzung in der Fachwelt genießt. Als Grenzsaum des VL.s zur deutschen Literatur galt die Zeit Kaiser Maximilians I. (1493–1519), obgleich auch Verfasser aufgenommen wurden, die in jenen Jahren wirksam waren. Neben den Verfassern schöngeistiger Literatur sind in dem zwölfbändigen Werk auch Autoren zu finden, die wissenschaftliche Texte aller Art vor allem in deutscher Sprache sowie gelegentlich auch in Latein verfasst haben. Von vornherein ausgeschlossen blieben vorrangig lateinisch schreibende Autoren; besonders jene, die nach 1480 wirksam waren. Die verschiedenar­tige Handhabung zwischen den lateinisch und deutsch schreibenden Autoren führten die Herausgeber auf den neulateinischen Hochhumanismus zurück, der bekanntermaßen unter Maximi­lia nI. kräftig aufgeblüht war. Die Ungleichbehandlung ist einleuchtend, da es in erster Linie um Textüberlieferungen alt- und mittelhochdeutscher Literatur sowie anonymer Werke und Werkgruppen des Mittelalters ging; die strukturellen Unterschiede im Vergleich zum Humanismus sind offensichtlich.
Bis ins Jahr 1997 reichte der Plan zurück, dem VL Ergänzungen nachfolgen zu lassen, in denen die lateinische Literatur und Wissenschaft des deutschsprachigen Raumes (1480–1520) bio-bibliographisch bearbeitet werden sollte. Indes konnte das Vorhaben erst 2001 in Angriff genommen werden. Nunmehr lässt der Verlag die ersten Lieferungen des auf zwei Bände konzipierten Werkes der Öffentlichkeit zukommen. Die Systematik der Lemmata wie auch das Layout des Lexikons richten sich völlig nach dem VL, so dass Verlag und Herausgeber auch von Ergänzungsbänden sprechen, obgleich ein herausragendes Werk im Entstehen begriffen ist, das – nicht zuletzt wegen der historisch so bedeutsamen Stellung des Humanismus – einen eigenständigen Platz in den Geisteswissenschaften einnehmen wird. In einem knappen Vorwort erläutert der Herausgeber die Kriterien, nach denen die Artikel ausgewählt und konzipiert wurden. Ausschlaggebend war, dass vor allem Autoren berücksichtigt wurden, deren »Schwerpunkt und Höhe ihres Schaf­fens« zwischen 1480 und 1520 lag. Demnach handelt es sich um Gelehrte und Literaten, »die – ungeachtet weiterer Lebens- und Schaffenszeit – nicht erst in der frühen Reformation zu Bedeutung« kamen. Es versteht sich, dass trotzdem Lemmata für jene verfasst wurden, die auch nach 1520 große Wirkkraft besaßen (Arnoldi, Cochlaeus, Eck); entscheidend war jedoch ein Œuvre, das bereits vor der Reformation ausgeprägt war. Als maßgebliches Kriterium bezüglich der geographischen Herkunft galt die Schaffenszeit an deutschen Höfen oder Universitäten (unter weitgehendem Ausschluss von Böhmen, Italien und der Niederlande).
Eingangs streicht Franz Josef Worstbrock heraus, dass sich die Auswahl nicht auf die bekannten Größen des Humanismus beschränkt. Vielmehr werden insgesamt rund 200 Autoren biobibliographisch erfasst, die den deutschen Humanismus nicht nur wissenschaftlich, sondern auch sozialgeschichtlich geprägt haben. Somit stehen nicht allein die »Antikerezeption und Rezeption der Italiener, die Debatten um die religiöse und die Reichsreform, der Diskurs ›Deutsche Nation und deutsche Geschichte‹, die Entde­ckung und versuchte Rekonstruktion des frühen und hohen Mittelalters, die Entwicklung der Landesbeschreibung, die Schul- und Wissenschaftsreformen, das Studium des Griechischen und des Hebräischen, die Konstituierung einer neuen lateinischen Poesie, die Etablierung einer deutschen Übersetzungsliteratur und anderes mehr« im Fokus des wissenschaftlichen Interesses, sondern auch und vor allem die personellen Vernetzungen und freundschaftlichen Verbindungen zwischen den Humanisten. Beispielsweise ist dies in dem von Jörg Robert verfassten Lemma über Konrad Celtis ausgezeichnet gelungen. Die Struktur der einzelnen Artikel richtet sich nach dem bewährten Vorbild des VL.s: Im ersten Teil wird die Biographie, im zweiten Teil das Werk vorgestellt, wobei besonderes Gewicht »auf eine möglichst vollständige Heu­ris­tik und Verzeichnung der erhaltenen Œuvres« gelegt wird. Zwar wird bei der Bibliographie kein Wert auf Vollständigkeit bezüglich der Nach- und Neudrucke gelegt, aber trotzdem werden zukünftige Forscher wohl zuerst in diesem Werk nachschlagen, um sich erste umfangreiche und vor allem zuverlässige Informationen über die im Alten Reich wirksamen Humanisten zu verschaffen.
Dieses Standardwerk gründet sich auf Forschungen zum Hu­manismus, welche »seit mehr als 150 Jahren in den Philologien, der Geschichtswissenschaft, der Kirchengeschichte und weiteren Disziplinen der Wissenschaftsgeschichte« vorangetrieben worden sind. Trotzdem mussten viele der in diesem Werk verzeichneten Artikel gänzlich neu bearbeitet und verfasst werden; insofern trugen die Autoren nicht nur bekanntes Wissen zusammen, sondern sie leisteten Kärrnerarbeit und wirkliche Grundlagenforschung. Die Benutzer dieses großartigen Werkes werden dies zukünftig sehr zu schätzen wissen.