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Ausgabe:

Februar/2008

Spalte:

176–178

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Vannier, Marie-Anne [Direction]

Titel/Untertitel:

La naissance de Dieu dans l’âme chez Eckhart et Nicolas de Cues.

Verlag:

Paris: Cerf 2006. 189 S. gr.8° = Patrimoines christianisme. Kart. EUR 24,00. ISBN 2-204-07985-5.

Rezensent:

Virginie Pektas

2004 fand in Trier ein Kolloquium statt, das sich der Eckhartschen Idee der Gottesgeburt in der Seele widmete. Untersucht wurde auch ihre Rezeption, allen voran bei Nikolaus von Kues, aber auch bei Tauler. Anlass war die Publikation des IV. Bandes der deutschen Werke Eckharts durch Georg Steer – die die wichtigen, vom Herausgeber als echt angenommenen Predigten 101 bis 104 enthält– und dessen darauf folgende Übersetzung ins Französische aus dem Jahr 2004. Das vorliegende Buch enthält die Akten jenes Kolloquiums, schließt aber bedauerlicherweise keine Gesamtbibliographie ein, was eine Vertiefung der Thematik erschweren kann.
Hier gilt es zu messen, wie weit diese neu identifizierten Schriften Eckharts – die einzigen sogar, die er selbst redigiert hat – sich auf die Chronologie seiner Werke auswirken. In seinem Beitrag kommt Georg Steer zu dem Schluss, dass die Predigten 101 bis 105 relativ früh, zwischen 1303 und 1305, niedergeschrieben wurden. Die Predigt 106 verfasste Eckhart zwischen 1313 und 1326, als er in Straßburg die Beginen seelsorgerisch betreute. Diese chronologische und dadurch bedingte inhaltliche Neueinordnung seiner Schriften widerspricht der Annahme des Philosophen Kurt Flasch bezüglich einer tiefen Evolution des Denkens Eckharts. Damit avanciert nämlich die Idee der Gottesgeburt zu einer Kernaussage seiner Werke, wie M.-A. Vannier und Jean Devriendt es in ihren Beiträgen betonen.
Für M.-A. Vannier bedeutet dies, dass eine angemessene Interpretation Eckharts die christologische Dimension seiner Werke unterstreichen soll: Das Denken Eckharts ist trinitarisch. Das dialektische Verhältnis Gottes zur Seele ruht hier in der sowohl theologisch angesiedelten als auch philosophisch untermauerten Idee der »filiatio«. Annie Noblesse-Rocher verdeutlicht in ihrem Beitrag, dass die Idee der Gottesgeburt ein zentrales, geschichtsträchtiges Motiv des Mittelalters war, das Thomas von Aquin, aber auch wenig bekannte Autoren wie Guerric von Igny behandelten. Im 12 .Jh. schildert der Zisterzienser den Prozess der dreifachen Geburt Christi in uns mit der kühnen Metapher eines wachsenden Kindes. In Guerrics Konzeption einer Erkenntnis durch die Liebe spiegelt sich der Einfluss seiner Zeitgenossen Wilhelm von Saint-Thierry und Bernhard von Clairvaux wieder. Mit der Frage nach dem Nachwirken Guerrics schließt die Autorin ihren Beitrag. Hier allerdings sollte erst festgestellt werden, wie nah Eckhart, der den Begriff der Geburt Gottes in der Seele mit einer Theorie des Intellekts verbindet, der Spiritualität des Zisterziensers Bernhard von Clairvaux und des Benediktiners Wilhelm von Saint-Thierry stand.
Außer Frage steht allerdings, dass eben die Lehre der Gottesgeburt nach Eckhart ausgiebig rezipiert wurde. Diese Untersuchung ist Objekt der letzten Beiträge. So macht Rémy Valléjo deutlich, dass Tauler, der nach der Verurteilung Eckharts das Denken des Dominikaners rezipierte und popularisierte, ebenfalls die dreifache Ge­burt Christi unter der Idee der Geburt versteht. Paradigmatisch für den Aufbau eines Begriffes, den er auch aus der patristischen und scholastischen Tradition kennt, bleibt die Figur des Propheten Elija (1Kön 19). Indem er Eckhart las und rezipierte – wir dürfen nicht vergessen, dass viele der Eckhartpredigten als Werke Taulers angesehen wurden und uns so erhalten blieben –, diente Tauler als Bindeglied zwischen Eckhart und seinem großen Nachfolger Nikolaus von Kues, was sich auch hier im Aufbau des Buches widerspiegelt. So bediente sich Kues des gleichen Schemas einer dreifachen Geburt, um – vermutlich unter dem Einfluss Eckharts – die Idee der göttlichen Filiation ab 1444 zu entwickeln. Diese Evolution des kusanischen Denkens zeugt – wie Klaus Reinhardt es trefflich un­ter­streicht – sowohl von dem regen Interesse Kues’ für Eckhart als von seiner Selbständigkeit ihm gegenüber. Die Thematik der göttlichen Filiation vertieft er in seinem Traktat De filiatione Dei, dessen Darstellung Harald Schwaetzer übernimmt. Kues eignet sich die Verstrickung zweier typischer eckhartscher Themen an, der Proble­matik der Vergöttlichung und der Bild- bzw. imago-Problematik, gestaltet sie aber um, um die Differenzierung Mensch/Chris­tus feiner auszuarbeiten, war dies doch der wunde Punkt, der die Aufmerksamkeit der Inquisition auf Eckhart gelenkt hatte. Isabelle Mandrella unternimmt ebenfalls den Versuch, ideen­ge­schichtlich das Zusammenspiel der Verwertung und der Verarbeitung des Gedankengutes Eckharts in den Werken Kues’ zu verdeutlichen. Sie kommt zu dem Schluss, dass Kues sicherlich unter dem Einfluss Eckharts steht, wenn er eine Theorie des freien Willens als Bedingung der Gottesgeburt entwickelt. Weil er aber eine andere Anthropologie vertritt, die auf dem Begriff des Gehorsams fußt, mündet seine Konzeption des freien Willens in eine Ethik kontemplativer Art – ganz anders als Eckhart, der es mit der Figur Marthas vermeidet, die Idee der Abgeschiedenheit als Passivität auszulegen.
Bernard McGinn vertieft diese Unterschiede zwischen Kues und Eckhart noch, wenn er Kues’ De visione Dei analysiert. McGinn liefert eine kurze Geschichte der Problematik der Erkenntnis Gottes. So wie Eckhart seinerzeit, nimmt Kues an der Debatte zur Frage der Vorrangigkeit des Willens oder des Verstandes teil. Eckhart gab deutlich dem Verstand die Präferenz und stand der Möglichkeit einer Vision Gottes eher kritisch gegenüber. Kues aber verfasst darüber einen Traktat sowohl mystischer als auch mathematischer Art. Den Schluss dieser Studien bildet Jean Reaidys Un­tersuchung der Gottesgeburt bei Michel Henry, dessen Phänomenologie Parallelen mit der Theorie Eckharts zur Geburt Christi aufweist.
Das Erscheinen der letzten Predigten Eckharts führt in der Tat zu einer neuen Bewertung des Eckhartschen Denkens. Dies macht der Sammelband deutlich. Die Idee der Gottesgeburt rückt in den Mittelpunkt der Interpretation Eckharts. Letztendlich prägt sie sein ganzes Werk und verleiht ihm seine Tiefe. Dass wir Gottes Söhne werden, ist das erklärte Ziel seiner Predigten, durchdringt aber auch seine lateinischen Auslegungen. Eben an dieser Stelle wäre eine Kritik angebracht, die allerdings eher einen Wunsch zum Ausdruck bringt. Die Vorrangstellung der Gottesgeburt wird angenommen, wo früher die Gelassenheit als eine Kernaussage Eckharts betrachtet wurde. Damit bezieht sich aber die Interpretation nur auf das deutsche Werk. Dennoch wird davon ausgegangen, dass diese Revidierung für das ganze Werk Eckharts gilt, wird doch festgestellt, dass die Thematik der Gottesgeburt viel früher, bereits in der Pariser Zeit, entstanden ist. Dies aber wird an dieser Stelle nicht untersucht, auch nicht das Verhältnis der Gottesgeburt zur Intellekt- und Erkenntnistheorie, die ebenfalls eine Kernaussage Eck­harts ist, hier jedoch hinter den Begriffen des Willens und der Lie be etwas zurückgedrängt wird. Womöglich wäre der Rahmen dieser Publikation gesprengt worden, deren Anlass eben die Ver­öffentlichung neuer mittelhochdeutscher Predigten war. Die Schlussfolgerungen des Sammelbandes ziehen die Notwendigkeit nach sich, die Beziehung der deutschen zu den lateinischen Werken neu zu bewerten, um die Verstrickung der ethischen und seelsorgerischen, metaphysischen und erkenntnistheoretischen Themen präziser aufzeigen zu können.