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Ausgabe:

Februar/2008

Spalte:

174–176

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Mösch, Caroline F.

Titel/Untertitel:

»Daz disiu geburt geschehe«. Meister Eckharts Predigtzyklus Von der êwigen geburt und Johannes Taulers Predigten zum Weihnachtsfestkreis.

Verlag:

Fribourg: Academic Press Fribourg 2006. X, 456 S. gr.8° = Dokimion, 31. Kart. EUR 48,00. ISBN 3-7278-1523-X.

Rezensent:

Udo Kern

Bei dem anzuzeigenden Werk handelt es sich um eine von Ruedi Imbach und Mariano Delgado betreute theologische Dissertation an der Universität Freiburg (Schweiz) aus dem Jahre 2005. Zu Recht geht Caroline Mösch davon aus, dass Eckhart und Tauler »das Erfassen der Gottesgeburt in sich selbst als die wesentlichste Bestimmung des Menschen« ansehen und beide »Ursprung und Ziel des Menschen« in Gott und des Menschen »Seligkeit ... in der Einheit der Seele mit Gott« erblicken (V). Das eruiert M. in den Eck­hartschen deutschen Predigten Nr. 101–104, (DW IV,1, 279–610 )– die sie mit Georg Steer (LE I, 262) richtig als Predigtzyklus Von der êwigen geburt versteht – und in Johannes Taulers Predigten zum Weihnachtsfestkreis (Vetter, Nr. 1–5; Corin II, Nr. 1–3). Methodisch geht M. so vor, dass sie 1. textimmanent in den Predigten die inhaltlichen und formalen Strukturen der Predigten eruiert und das mit Hilfe eines Schemas demonstriert. 2. M. zeigt die thema­tische Kohärenz der jeweiligen Predigten auf und setzt sie in Zusammenhang mit dem übrigen Werk Eckharts bzw. Taulers. Hier wünschte man sich zuweilen eine stärkere Heranziehung der Gesamtwerke der beiden Dominikaner. 3. Die die Predigttexte hauptsächlich prägenden Traditionen werden von M. aufgezeigt.
Da menschliche Erkenntnis immer der Vorstellung, der Bilder bedarf, vermag sie nach Eckhart nicht das reine Wesen der Seele, den (göttlichen) Seelengrund auszusagen. Allein die reine Rezeptivität der Seele ermöglicht das Wirken Gottes in der Seele. Ohne Maß wie Gott ist die Seele im Empfangen. Das Gebären Gottes in der Seele ermöglicht ein univokes Verhältnis zwischen Gott und Seele. Im so zu Stande kommenden übernatürlichen Wissen wird natürliches Wissen überschritten. Der vieldimensionale Mensch muss eigenschaftslos werden, damit er qua göttlicher Sohnwerdung in der Gottesgeburt in der Seele den Einen erkennen kann. Wie bei Avicenna muss und kann so nach Eckhart die Seele totale intelligible und damit eins werden. In dem durch die Gottesgeburt präparierten Seelengrund wird die Seele eins mit dem Einen. Die Seele erleidet Gott. Dies Erleiden Gottes in der Seele konstituiert den Grund der Seele. So kommt es zur Vergöttlichung, zur theosis des Menschen.
Der äußere Mensch orientiert sich an dem esse hoc et hoc, der innere Mensch an dem esse simpliciter Gottes. Nur der durch die Gottesgeburt qualifizierte innere Mensch, der in die Einheit mit Gott durchbricht, erkennt Gott. Dieses geschieht im mit Christus qua Gottesgeburt gleichgewordenen Sohn. In den Grund der Seele gebiert Gott sein Wort. »Durch den Empfang des göttlichen Seins – Gottes Gnade – wird die Seele gottförmig, so dass Gottes Sohn in ihr geboren werden kann.« (198) Dem entspricht, dass der Sohn Gottes als der Gerechte auf ein von Gott gegebenes Sein setzt und nicht auf (asketische) Werkgerechtigkeit.
Tauler hat Meister Eckharts Predigtzyklus Von der ewigen Ge­burt gekannt. Tauler erwähnt aber Eckhart wegen dessen Verurteilung von 1329 und der daraus erwachsenden möglichen eigenen Gefährdung nicht. Das arbeitet M. überzeugend heraus.
Eine zuverlässige Taulerausgabe ist, wie Kurt Ruh schon vor einem halben Jahrhundert konstatierte, noch immer ein Desiderat. Taulers Predigten sind nur in einfachen Textabdrucken vorhanden. So muss man sich bei der Interpretation Taulers auf die Ausgaben Taulerscher Predigten von F. Vetter von 1910 und A. L. Corin aus den 20er Jahren des 20. Jh.s beziehen. M. analysiert und interpretiert die Taulerschen Predigten zum Weihnachtsfest, die bei Vetter die Nummern 1–5 tragen. In der Predigt 3 spricht Tauler von drei jedem große Freude bedeuten sollenden Geburten – und zwar denen ex patre, ex matre und in mente –, die in drei unterschiedlichen Weihnachtsmessen gefeiert werden: 1. die Geburt des eingebornen, seinem göttlichen Wesen nur der Person nach vom Vater unterschiedenen Sohnes durch den himmlischen Vater, die wegen der vinsternisse verborgenre unbkanter gotheit in vinster naht, also in nocte gefeiert wird, 2. die Geburt des Sohnes Gottes als mueterliche berhaftgekeit die geschach megdelicher kuschikeit in rehter luterkeit, die in der Finsternis begonnen und in der Frühe, in aurora, beendet (wegen der göttlichen Natur Christi) wird, und 3. die durch Gnade geistige, ohne Unterlass in einer guten, heiligen Seele geschehende Geburt Gottes, die in die gefeiert wird. Eckhart kennt zwar auch diese drei Geburten in der Predigt 101, aber verortet sie nicht wie Tauler kultisch auf drei Messen. Eckhart fokussiert ausschließlich auf die eine ewige Geburt. Für die von M. herangezogenen Predigten ist ihres Erachtens davon auszugehen, dass Tauler nicht nur Eckharts Predigten, insbesondere die Predigten 101–104, gekannt hat, sondern sie ihm auch »als Vorlage und Inspiration« für dessen eigene Predigten dienten (320).
Eckhart und Tauler betonen einheitlich »die Rückkehr der Seele zum Einen, in den Ursprung, aus dem sie (die Seele) hervorgegangen ist, ... damit Gott unmittelbar in ihr wirken kann« (356). Einzugehen in den ledigen bloßen Grund, um »dort eins zu sein mit Gott«, ist einstimmig das wesentliche Anliegen von Eckhart und Tauler (357). Diffe­renz besteht bei Eckhart und Tauler jedoch darin, dass dieser nachdrücklich auch bei der Vereinigung des Seelengrundes mit dem göttlichen Wort auf der Beibehaltung der Geschaffenheit des See­lengrundes beharrt (vgl. Predigt V, 61), während Eckhart eine Substanz, ein Wesen hier urgiert (Predigt 76). Von allem Kreatürlichen mit seinen Mannigfaltigkeiten muss der Mensch nach Eckhart und Tauler leer sein, damit Gott in ihm wirken kann.
Nach Eckhart (Sermo II,2) wirkt die Gnade im Menschen drei Dinge: 1. Befreiung von Schuld durch Rechtfertigung, 2. Stärkung zum guten Werk und 3. Beseligung durch Gabe des ewigen Lebens. Erreicht »die natürliche Vernunft mit Hilfe der übernatürlichen, geschaffenen Gnade ... die vollkommene Lauterkeit (Bilderlosigkeit) ..., so ist der Mensch ›dasselbe von Gnade, was Gott von Natur ist‹ [Predigt 66]« (412). Wie für Eckhart ist für Tauler gegenüber dem natürlichen Licht der Vernunft die Gnade ein geschaffenes Licht, welches »dem Menschen hilft, seine Natur über sich selbst zu erheben, so dass er in das ungeschaffene Licht – Gott selbst – eingehen kann« (413). Im Grunde des göttlichen Seins hat die Gnade nach beiden Dominikanern nichts zu wirken. Hier gilt ausschließlich das göttliche Einssein.
Tauler und Eckhart differenzieren allerdings zwischen dieser natürlichen Gnade und der im Grunde der Seele geborenen, über die Dinge, Formen und Bilder überwesentlichen vollendeten Gnade, die sie synonym für die Gottesgeburt im Grunde der Seele gebrauchen (vgl. Tauler [Pr. 60d, V, 300,25–27; Pr. 67, V, 369,23–25] und Eckhart Pr. 38 [Largier I, 416,32–418,3]).
»Mein wahres Leben besteht nach Eckhart und Tauler ... darin, dass ich als Sohn Gottes geboren werde und der Sohn auch selber bin.« (418) Der Mensch hat Leben im Einssein mit seinem göttlichen Ursprung. Der aus diesem Grunde Wirkende befreit sich von den Habensmodi der Mannigfaltigkeiten und findet Frieden und Glück.

M. hat ein Werk zur Eckhart- und Taulerinterpretation vorgelegt, das hinsichtlich Aufbau und Intention überzeugt. Ihr gelingt es, historisch-systematisch profiliert zu argumentieren. Hinsichtlich ihres Gnadenverständnisses bei Eck­hart und Tauler hätten zumindest hinsichtlich des Eckhartschen stärker die bisherigen impliziten und expliziten Interpretationen herangezogen werden sollen. Positiv hervorzuheben sind in dieser Veröffentlichung M.s klare Sprache und das eindeutige Verfolgen der angestrebten Absichten. Mit ihrer Arbeit zum Eck­hartschen Predigtzyklus und zu den Predigten Taulers zum Weihnachtsfestkreis gelingt es M. auf Grund des von ihr herangezogenen Quellenmaterials, den Eckhartschen Kerngedanken der Gottesgeburt in der Seele und aus diesem sich ergebende Denk- und Lebensfolgen eindeutig bei Eckhart selbst und bei Tauler (abhängig von Eckhart; aber auch sich unterscheidend von diesem) zur Sprache zu bringen.