Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

November/1997

Spalte:

1019–1023

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Hengel, Martin, u. Hermut Löhr [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Schriftauslegung im antiken Judentum und Urchristentum.

Verlag:

Tübingen: Mohr 1994. 282 S. gr. 8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 73. Lw. DM 238,­. ISBN 3-16-146172-X.

Rezensent:

Hans Hübner

Martin Hengel hat im Laufe der letzten Jahre mit unterschiedlichen Mitherausgebern wichtige Aufsatzbände programmatischer Thematik herausgegeben; ich erinnere hier nur an den so exzellenten Sammelband "Paulus und das antike Judentum" (WUNT 58, 1991; s. meine Rez. in ThLZ 119, 896-898). Diese Bände bringen zumeist hervorragende Beiträge, die in ihrem Ensemble eine beeindruckende Gesamtinformation der jeweiligen Thematik bieten. H. selbst hat zumeist den wichtigsten oder zumindest einen der wichtigsten Aufsätze geschrieben, der nicht nur qualitativ die anderen weit überragt, sondern auch schon rein quantitativ den Rahmen des Üblichen sprengt. Seine Beiträge waren in der Regel kleine Monographien mit geradezu kompendienartigem Charakter.

Ein weiteres Verdienst des Erstherausgebers ist, daß er als Mitherausgeber einen talentierten Nachwuchswissenschaftler oder eine Nachwuchswissenschaftlerin mit herangezogen und so ihm oder ihr damit die Möglichkeit gegeben hat, in der wissenschaftlichen Welt nicht nur durch eigene Publikationen, sondern auch durch editorische Leistung bekanntzuwerden.

Diesmal ist es nun das Thema "Schriftauslegung", das in dem neuen Sammelband aus unterschiedlicher Perspektive behandelt wird, ein Thema, das deshalb von so hoher Relevanz ist, weil sich gerade an ihm erweist, inwiefern Theologie es fertigbringt, als hermeneutisch reflektierte Wissenschaft mit geschichtlichem Inhalt wirklich Theologie zu werden. Denn ­ programmatisch zugespitzt formuliert ­ nur die ausgelegte, weil zuvor im Glauben verstandene Schrift ist im eigentlichen Sinne Heilige Schrift, nämlich die Schrift, deren in ihr "enthaltene" Offenbarung ihr Ziel, Gottes Selbstoffenbarung beim Menschen "ankommen" zu lassen, erreicht hat. (Die Anführungsstriche signalisieren unsere menschliche Sprach-Not: was Sache des transzendenten Gottes ist, der sich in die Welt der Immanenz hineinbegibt, mit immanenter Begrifflichkeit zum Ausdruck zu bringen.)

Doch zunächst, wie üblich und angebracht, der Überblick über die in diesem Buch enthaltenen Beiträge:

Martin Hengel, "Schriftauslegung" und "Schriftwerdung" in der Zeit des Zweiten Tempels ­ Hans-Michael Haussig, Heilige Texte und Heilige Schriften. Einige Bemerkungen zu religiösen Überlieferungen ­ Christine Gerber, Die Heiligen Schriften des Judentums nach Flavius Josephus ­ Jens Herzer, Alttestamentliche Traditionen in den Paralipomena Jeremiae als Beispiel für den Umgang frühjüdischer Schriftsteller mit "Heiliger Schrift" ­ Friedrich Avemarie, Schriftgebrauch in der haggadischen Exegese der Amoräer. Am Beispiel der Peticha WaR 27,3 ­ Jörg Frey, "Wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat ..." Zur frühjüdischen Deutung der "ehernen Schlange" und ihrer christologischen Rezeption in Joh 3,14 f. ­ Ulrich Heckel, Jer 9,22 f. als Schlüssel für 2Kor 10-13. Ein Beispiel für die methodischen Probleme in der gegenwärtigen Diskussion über den Schriftgebrauch bei Paulus ­ Hermut Löhr, "Heute, wenn ihr seine Stimme hört ..." Zur Kunst der Schriftanwendung im Hebräerbrief und in 1Kor 10. Den Beiträgen folgen Stellen-, Autoren-, Personen- und Sachen-Register.

Im Vorwort schreibt H., daß die Beiträge Referate von Stipendiaten und Nachwuchswissenschaftlern seien, die diese auf einem Forschungskolloquium am 16.-19.5.1991 auf Schloß Mickeln bei Düsseldorf gehalten hatten. Sein eigener Beitrag sei ein Vortrag auf einem von der Royal Irish Academy veranstalteten Aramaistenkongreß in Dublin, der im Buch ganz wesentlich erweitert wurde. Er umfaßt nun 71 Seiten, während die anderen Referate in der Regel ca. 20 Seiten enthalten (nur der Beitrag von Frey nimmt den Umfang von ca. 50 Seiten ein). Der Unterschied aber ist nicht nur ein quantitativer und ­ schon allein wegen der meisterhaften Darstellung H.s ­ ein qualitativer, sondern auch ein gewisser Bruch im Blick auf die Thematik. H. schreibt eine programmatische Studie, die ein Gesamtphänomen in den Blick faßt, nämlich das Verhältnis von Schriftauslegung und Schriftwerdung (auch von Schriftwerdung und Schriftauslegung) in vor-neutestamentlicher und neutestamentlicher Zeit, während die übrigen Autoren zumeist an symptomatischen Einzelbeispielen ihre Auffassung veranschaulichen.

H.s Überschrift verführt freilich zu einer etwas anderen Erwartungshaltung. Buchtitel und Beitragstitel, synoptisch gelesen, lassen den Leser annehmen, der Autor wolle sowohl alt- als auch neutestamentliche Grundfragen der Schriftwerdung und Schriftauslegung behandeln. Aber das NT begegnet nur ganz am Rande in seinen Ausführungen. Im Grunde behandelt H. nur das AT. Ein Beitrag, der in vergleichbarer Weise das NT programmatisch unter dem Gesichtspunkt der Schriftauslegung thematisierte, fehlt leider. Auch die drei neutestamentlichen Studien ergeben in ihrer Summe nicht das, was H. für das AT bietet. Das ist schade, vor allem auch deshalb, weil dadurch die Beiträge der jungen Autoren ein wenig in den Schatten des Beitrags von H. gerückt werden. Soll der Rez. die Gewichte eines Sammelwerkes deutlich werden lassen, so muß er das nach objektiven Kriterien tun. Und so werde ich H.s Studie besondere Aufmerksamkeit zuwenden. Dem Leser der Rezension möge aber bitte bei dem, was ich zu H. sage, in Erinnerung bleiben, was ich unmittelbar zuvor geschrieben habe.

H.s Aufsatz ist ­ wie auch nicht anders zu erwarten ­ eine musterhaft geschriebene Studie, für die man nur dankbar sein kann. Souverän in der Materie, nein besser: über der Materie stehend, schreibt er mit leichter Feder das Entscheidende und Wichtige so, daß trotz der guten Leserlichkeit nichts an inhaltlicher Substanz verlorengeht. Wieder einmal ein gutes Beispiel dafür, daß man auch über schwierige Themen verständlich und anschaulich schreiben kann! Was H. gelingt, ist der Aufweis der hermeneutischen Dimension der Schriftwerdung. Indem sich nämlich in Israel die Schriftwerdung auch als Schriftauslegung vollzieht, ist es die jeweils neu-verstandene Schrift, die schließlich zur Endredaktion der Schrift führt. So lesen wir bereits auf Seite 2 im Anschluß an den aus Palästina stammenden Philosophen Antiochus von Askalon (ca. 130-168 v. Chr.):

"Der an der Lehre der Alten orientierte Eklektiker Antiochus verkörpert etwas von jener Haltung, die für die ganze Spätantike bestimmend wird: die Orientierung an den großen alten, göttlich erleuchteten Lehrern, an ’klassischen’, man könnte auch sagen ’kanonischen’, ja unter Umständen ’heiligen’ Texten, die Orientierung an ihrer alle Zeiten überdauernden Weisheit und ihrer vorbildlichen Sprachgestalt. Um aber diesen Autoritäten folgen zu können, muß man ihre Texte lesen, zu verstehen suchen und für die eigenen Schüler auslegen."

H. stellt hier und auch sonst noch in seinem Beitrag mit vollem Recht heraus, daß der Prozeß von Schriftwerdung und Schriftauslegung in Israel auch im Rahmen der antiken Geistesgeschichte Griechenlands und des Hellenismus zu sehen ist. In der Tat, der Beitrag der veritas Graeca zur veritas Hebraica kann nicht überschätzt werden! In diesem Punkte bin ich voll und ganz mit H. einer Meinung.

Es kann hier nun nicht der ganze Weg der Schriftwerdung in Israel, wie ihn H. darstellt, referiert werden ­ jedoch einige Schlaglichter um der Gesamtcharakterisierung willen! Ich wähle zunächst Esra, "den Schreiber", aus, dessen geschichtlicher Bedeutung H. immerhin 8 Seiten widmet. Bekanntlich ist das Bild, das uns in den alttestamentlichen Quellen über ihn geboten wird, nicht recht deutlich. H. dürfte aber Wesentliches von seinem Wirken zutreffend erfaßt haben: Mit seiner Person verbindet sich das wichtigste Ereignis zwischen der Rückkehr aus dem Exil und Antiochus IV., nämlich "die Konsolidierung und Annahme der Tora in ihrer Endgestalt" ( 23). Der Verweis auf Neh 8,8 ist richtig: "(Und Esra) las aus dem Buch der Tora Gottes vor und übersetzte es und legte es aus, damit alle die Lesung verstanden". Hier ist expressis verbis von Auslegung und Verstehen die Rede. Wichtig ist vor allem der Hinweis auf die Kumulation der Ämter (27): "Der Exeget und Gelehrte, in der Regel priesterlicher und levitischer Abstammung, übernahm die Funktion des Propheten". Zum chronistischen Werk als Schriftauslegung sagt H. (33):

"Es entsteht damit eine neue Gattung religiöser Literatur im Judentum, die heilsgeschichtliche Nacherzählung des kanonisch gewordenen heiligen Textes, die diesen erläutert, adaptiert, harmonisiert und wenn nötig auch zurechtrückt, und dabei zugleich ­ u. U. kräftig und bunt ­ ergänzt und ausmalt. D. h. wir begegnen hier einer ­ inhaltlich sehr vielgestaltigen ­ Literaturform, die man später als haggadischen Midrasch bezeichnete. Die gedeutete heilige Geschichte wird zum Lehrer und Spiegelbild der Gegenwart".

Ben Sira werden fast 10 Seiten gewidmet ­ wiederum mit vollem Recht. H. bedauert, daß "sein Werk in den (zu engen) hebräischen Kanon" nicht aufgenommen wurde (35). Er führt das darauf zurück, daß die Sammlung seiner weisheitlichen Dichtungen unter seinem eigenen Namen verbreitet wurde. Diese Begründung leuchtet nicht ganz ein; denn immerhin ist Sir ein Buch der Septuaginta geworden! Aber einerlei, wie man hier urteilt ­ mit Genugtuung habe ich gelesen, daß H. die Nichtaufnahme in den hebräischen Kanon mit dem Urteil "leider" versieht. Bedauernd ist darüber hinaus festzustellen, daß in den evangelischen Kirchen aufgrund der Überschätzung der veritas Hebraica auf Kosten der veritas Graeca die Apokryphen des AT aus der Kanonizität ausgeschlossen sind. Aber gerade in Tübingen (auch durch den Alttestamentler Hartmut Gese) werden ja hier erfreulicherweise Korrekturen gefordert. Es scheint, daß sich innerhalb der europäischen evangelischen Theologie doch immer mehr die Meinung durchsetzt, daß der Einfluß des Hieronymus auf die Reformatoren in dieser Hinsicht schädlich war. Zur neutestamentlichen Zeit war die Bibel für die Mehrheit der Juden immerhin die Septuaginta (Diaspora!). Und die Juden in Palästina sprachen nicht hebräisch, sondern aramäisch! Doch zurück zu Jesus Sirach! Sir 24,32 interpretiert H. zutreffend wie folgt (37):

"Da die göttliche Weisheit in der allein gültigen Form der Mosetora den Schriftgelehrten, der sie intensiv studiert und sich von ihr leiten läßt, dem Geist Gottes vergleichbar, inspiriert, erhält der Weisheitslehrer als Ausleger der Tora im weitesten Sinne die Züge eines profetischen Offenbarers neuer Ordnung."

Es folgt ein Abschnitt über die Chasidim der Makkabäerzeit und das Danielbuch bis in die Zeit nach der Eroberung Jerusalems durch die Römer (63 v. Chr.). H.s Fazit (50):

"Fast möchte man meinen, daß in dieser neuen Ära der jüdischen Geschichte die Schriftauslegung in einer Art von geistiger Explosion zur einem fast ubiquitären Phänomen wurde, das jetzt jeden jüdischen literarischen Text tangiert, der uns erhalten ist ... Jetzt nach der lebensbedrohenden Krise wird es vollends deutlich, daß die jüdische Religion (und damit auch das jüdische Volk ...) mehr und mehr als creatura scripturae gesehen werden kann und nicht einseitig nur als creatrix scripturae bezeichnet werden darf."

Besonders wichtig ist für den Gesamtüberblick auch der Abschnitt über Qumran (wieder ca. 10 Seiten). Daß H. die wichtige Stelle 1QS VI,6 f. erwähnt und auslegt (52 ff.), versteht sich von selbst. Er nennt daras als einen der wichtigsten Schlüsselbegriffe für das Schriftstudium. Es fügt sich ganz in das bisher von ihm gezeichnete Bild der Entwicklung, wenn nun in Qumran der Lehrer der Gerechtigkeit zum inspirierten Schriftausleger der "letzten Zeit" wird und dieser somit neue Offenbarung eröffnet. Noch einmal als Zitat eine wichtige Feststellung (55 f.):

"Ähnlich wie später im Urchristentum erfordert schon bei ihm die Deutung der für den nicht erleuchteten Leser weithin unverständlichen, vom Geist eingegebenen Prophetentexte selbst wieder die Gabe des Geistes, eine Gabe, die dann auf alle Glieder der Sekte übergeht, die ja alle zu ’Schriftforschern’ werden sollen. Wir stoßen hier auf einen hermeneutischen Grundsatz, der uns dann ... bei Paulus begegnet und der seine Analogien auch im griechischen Denken jener Zeit hat: Vom Geist Geoffenbartes kann nur durch den Geist verstanden werden: pneumatika pneumatikois synkrinontes ... Dies berührt sich mit der verbreiteten altgriechischen Vorstellung, daß Gleiches nur durch Gleiches erkannt wird:he de gnosis tou homoiou to homoio. In der Spätantike wird dies vor allem auf das religiöse Erkennen bezogen ... Da für den Juden der Mensch als Geschöpf nicht direkt durch den ÓÔܗ an Gottes Wesen partizipiert bzw. mit ihm wesensverwandt ist, wird solche ’höhere Erkenntnis’ göttlicher Dinge durch den von Gott gegebenen heiligen Geist möglich".

Nach einem Abschnitt über die Pharisäer kommt H. zu abschließenden Bemerkungen, in denen er sehr kurz auch auf das NT eingeht.

Ist dieser Darstellung in den wesentlichen Punkten zuzustimmen, so bleibt am Ende doch eine offene Frage von hoher theologischer Relevanz und Brisanz. Was bedeutet der Prozeß der Schriftwerdung als Schriftauslegung im Blick auf theologische Verbindlichkeit?

Der von Hengel so gut und so plastisch herausgearbeitete Prozeß der kontinuierlichen Schriftauslegung impliziert ja, daß je neue geschichtliche Situationen in der Geschichte Israels jeweils neue theologische Antworten geben, die mit früheren Antworten eben nicht mehr, zumindest teilweise nicht mehr inhaltlich konform gehen. Es ist ein Prozeß von z. T. widersprüchlichen Schriftauslegungen. Dann kann es aber gar nicht ein bestimmtes Stadium innerhalb dieses Prozesses sein, der für den Christen verpflichtende Norm ist. Das gilt auch für die Endredaktion des Pentateuchs, überhaupt für die Endredaktion der alttestamentlichen Bücher. Denn eine verbindliche Fixierung auf die Endgestalt der Biblia Hebraica würde ja besagen, daß die Geschichte Israels, die doch aus christlicher Sicht eine sich über lange Zeit hinstreckende Ära der Offenbarung bzw. Selbstoffenbarung Gottes ist, sozusagen auf ein punctum mathematicum reduziert würde.(1) Hinzu kommt noch der bereits angedeutete Sachverhalt, daß die Geltung der Biblia Hebraica durch die Geltung der Septuaginta zu relativieren ist. Ist des weiteren zu bedenken, daß die Torah des AT in mancherlei Hinsicht negiert, relativiert oder auch positiv aufgegriffen wird, so wird das so komplexe Gesamtproblem der neutestamentlichen Rezeption und Auslegung der alttestamentlichen Torah des Mose ein äußerst schwieriges, gerade in theologischer Sicht. Hierzu würde ich gerne in einer künftigen Publikation H.s ein theologisches Urteil lesen.

Auf die weiteren Beiträge des Buches kann ich natürlich nicht in gleicher Ausführlichkeit eingehen. Aber durch das, was bereits zu H. gesagt wurde, ist zumindest auch das Koordinatensystem der Gesamtproblematik zumindest im Prinzip deutlich geworden. Die Beiträge zur jüdischen Schriftauslegung sind informativ und weiterführend. Vor allem Haussigs Beitrag, zu bescheiden durch den Untertitel "Einige Bemerkungen ..." charakterisiert, beleuchtet die Gesamtproblematik gut, vor allem auch das ebenfalls für das AT und NT wichtige Problem des Verhältnisses von Mündlichkeit und Schriftlichkeit.

Zu den drei neutestamentlichen Beiträgen ist zunächst ganz allgemein zu sagen, daß die Verfasser als symptomatische Beispiele Texte ausgewählt haben, an denen sich das Problem der Schriftauslegung, nämlich der Auslegung alttestamentlicher Texte durch neutestamentliche Autoren, bestens veranschaulichen läßt.

Ich bedaure, daß Freys Studie über Joh 3,14 f. und die in der Wüste von Mose erhöhte Schlange und Hermut Löhrs Studie über die Kunst der Schriftanwendung im Hebr und in 1Kor 10 so spät erschienen, daß ich im 3. Band meiner Biblischen Theologie des NT (1995 erschienen) nicht mehr auf diese anregenden Ausführungen eingehen konnte. Was Ulrich Heckels Beitrag über Jer 9,22 f. als Schlüssel für 2Kor 10-13 angeht, so stimme ich ihm voll zu, daß Paulus in 1Kor 1,31 Jer 9,22 f. in verkürzter Form zitiert (gegen D.-A. Koch). Er hätte aber ­ wenn ich mir erlauben darf, das zu sagen ­ durch meinen Nachweis (u. a. durch Hinweis auf H. St. J. Thackeray: Bar 3,9-4,4 ist Predigt über Jer 8,13-9,23 für den 9. Ab, den Tag der Zerstörung des Tempels), daß Paulus in 1Kor 1,18 ff. auf Bar 3,9-4,4 rekurriert(2), das Verhältnis von Jer 9,22 f. zu 1Kor 1,18 ff. konkreter aufweisen und so seine These weiter fundieren können. Was er zu dem Abschnitt aus 1Kor 1 sagt, hätte m. E. genauerer Explikation bedurft, um von daher 2Kor 10-13 mit dem Jer-Zitat besser beleuchten zu können.

Alles in allem: Der Aufsatzband über die Schriftauslegung ist ein wertvolles Werk, das sicherlich seine Leser findet. Martin Hengel und Hermut Löhr sei für die Herausgabe sehr herzlich gedankt, ebenfalls den Autoren.

Fussnoten:

(1) H. Hübner, Biblische Theologie des Neuen Testaments I: Prolegomena, Göttingen 1990, 59 ff.
(2) H. Hübner, Der vergessene Baruch. Zur Baruch-Rezeption des Paulus in 1Kor 1,18-31, SNTU:A 9 (1984), 161-173; jetzt in: Ders. Biblische Theologie als Hermeneutik, Gesammelte Aufsätze, Göttingen 1995, 155-165.