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Ausgabe:

Februar/2008

Spalte:

162–164

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Eisen, Ute E.

Titel/Untertitel:

Die Poetik der Apostelgeschichte. Eine narratologische Studie.

Verlag:

Fribourg: Academic Press; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2006. 294 S. m. Tab. gr.8° = Novum Testamentum et Orbis Antiquus. Studien zur Umwelt des Neuen Testaments, 58. Geb. EUR 54,00. ISBN 978-3-7278-1553-9 (Academic Press); 978-3-525-53961-3 (Vandenhoeck & Ruprecht).

Rezensent:

Hans-Georg Gradl

Ein Gutteil der biblischen Botschaft wird über die Kategorie der Erzählung transportiert. In Ergänzung zur historisch-kritischen Methode erwachte in den vergangenen Jahren innerhalb der Exegese ein wachsendes Gespür für die besondere sprachliche Vermittlung und die davon geprägte theologische Aussage erzählender Texte. Beachtung fand und verdient in dieser Hinsicht gerade das Lukanische Doppelwerk. Vor allem der dritte Evangelist erweist sich – über seine Tätigkeit als Sammler und Redaktor hinaus – als ein schöpferischer Schriftsteller und theologischer Geschichtenerzähler. Um die Aussage seines Werkes zu begreifen, sind die Erzählstrukturen zu beobachten und auszuwerten.
Die im Jahre 2002 an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg vorgelegte Habilitationsschrift bündelt bisherige Erkenntnisse der Erzähltextanalyse, sondiert sie auf einen brauchbaren Einbezug in den vielstimmigen Chor exegetischer Methodenschritte hin und veranschaulicht anhand der Apostelgeschichte eine nutzbringende Anwendung.
Ein erstes Kapitel (13–43) zeichnet die geschichtliche Entwick­lung vom noch allgemein gehaltenen »Literary Criticism« zum stärker auf das »›Wie‹ einer Erzählung« und das »›Was‹ einer Geschichte« (22) fokussierten »Narrative Criticism« nach. Vor dem Hintergrund der Actaerzählforschung (32–43) werden die Zielsetzung einer narratologischen Analyse im Allgemeinen und der vorliegenden Untersuchung im Besonderen beschrieben.
Das zweite Kapitel (44-139) führt systematisch in den Gegenstand, die Begrifflichkeit (44–63) und Methodologie (63–139) einer Erzähltextanalyse ein. Das konkrete Vorgehen konzentriert sich auf drei voneinander verschiedene und aufeinander folgende Un­tersuchungsfelder: das Erzählen (63–99), die Erzählung (99–125) und die Geschichte (125–139). Mit dem Erzählen ist neben der Frage nach dem narrativen oder fiktiven Erzähladressaten (narratee) die Darstellung der Erzählstimme (narrator) verbunden: ihr Verhältnis zur Geschichte, ihre Involvierung in das Geschehen sowie ihre Explizität und Zuverlässigkeit. Die Erzählung wird unter den Gesichtspunkten der Zeit (Erzählzeit – erzählte Zeit, Dauer, Ordnung und Frequenz) und des Modus’ (Distanz und Fokalisierung) analysiert. Tragend für die Ebene der Geschichte sind die Beschreibung einzelner Handlungseinheiten und die Darstellung der Figuren(konstellationen).
Die methodischen Grundlagen gewinnen durch die Anwendung auf den Anfang, die Mitte und den Schluss der Apostelgeschichte im dritten Kapitel (140-218) besondere Anschaulichkeit. Der Erzählbeginn (Apg 1,1-14, vgl. 141-169) bereitet »die Bühne […] für die Geschichte der Acta« (168), stellt Kontakt zum Adressaten her, nimmt resümierend auf das Evangelium Bezug und benennt bereits vorausbli­ckend zentrale Themen (die Verkündigung und Geistsendung). Die Mitte der Apostelgeschichte (10,1–11,18.15,1–35; vgl. 169–202) ringt »um die Frage des Ob und des Wie der Völkermission« (201). Die Petrus-Cornelius Erzählsequenz bereitet die von der Entscheidung in Jerusalem ausgehende »Ordnungstransformation« (202) szenisch vor. Die Zeichnung der handlungstragenden Personen, der teils geraffte und teils repetitive Erzählmodus und nicht zuletzt die zusammenfassenden Reden (vgl. Apg 15,4–29) fundieren die »revolutionäre Grenzüberschreitung« (202) des Apostelkonzils. Als wesentliche Funktionen des Schlussteils (Apg 28,16–31; vgl. 202–218) benennt E. die Bündelung wesentlicher Themen und die Rückführung des Lesers in die eigene Wirklichkeit. Die offene und ungehinderte Form der Verkündigung in der Schlussperspektive lädt zur Fortschreibung der Geschichte ein.
Das vierte Kapitel (219–226) kondensiert die Erträge der methodischen Grundlegung und präzisiert diese auf die Geschichte der Acta hin. Ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis (227–264), hilfreiche Stellen- (265–275), Sach-, Begriffs- (277–286) und AutorInnenregister (287–292) sowie ein Tabellen- und Schaubildverzeichnis (293–294) stehen am Ende der Arbeit.
Durchweg erfreulich ist an der Studie die eingängige und – trotz des Gebrauchs nicht allseits bekannter Fachbegrifflichkeit – verständliche Sprache. Im besten Sinne des Wortes stellt das Grundlagenkapitel eine Einführung in das Wesen und Anliegen, die Zielsetzung und Durchführung einer Erzähltextanalyse dar. Der praktischen Anwendung zuträglich ist die klar strukturierte Dreiteilung der Analyse durch die Untersuchungsfelder des »Erzählens«, der »Erzählung« und der »Geschichte«. Über ein notwendiges Maß an Rezeption bereits grundlegender Studien hinaus profiliert sich E. durch die Präzisierung einzelner Begrifflichkeiten (vgl. etwa die methodologisch angemessene und interdisziplinär verwendbare Bezeichnung »Narratologische Analyse«, 23) und Arbeitsschritte (62). Die bereits im Methodenteil vorhandenen Bezüge zur Apostelgeschichte (vgl. etwa 95–99, 137–139) erden die theoretische Grundlegung und wehren der Gefahr, die Analyse des Textes selbst zu vergessen. Die meist ansprechenden Schaubilder (vgl. etwa 50, 55, 90, 104, 121, außer 163: eine kaum entzifferbare Graphik) veranschaulichen den Inhalt und geben dem Werk das Gepräge eines einführenden Kompendiums.
Neben einigen formalen wie orthographischen Korrekturen (vgl. 33.42.51.74. 88.97.143.146.151.202.234) könnte die Untersuchung in methodologischer Hinsicht durch einen deutlicheren Brückenschlag zur zwar erwähnten (70), aber nicht nutzbringend einbezogenen Wirkästhetik Wolfgang Isers gewinnen. Gerade für die Frage nach der Funktion und Wirkung erzählender Texte stellen die Untersuchungen zum Leseprozess und den Unbestimmtheitsbeträgen des Textes sehr wohl ein bereichendes Instrumentarium bereit, um den Untersuchungshorizont zu erweitern und einzelne Begrifflichkeiten zu nuancieren.
Fragwürdig erscheint die Gewohnheit E.s, in einer der Lesbarkeit kaum zuträglichen Häufigkeit Personengruppen durch die Endung »-Innen« sowohl maskulin wie feminin zu definieren. Eine Klärung der nicht unbedingt ge­schlechtsspezifischen Verwendung einzelner Sammelbegriffe am Beginn würde genügen, um künstlich anmutende Aufzählungsreihen ohne inhaltliche Verfremdung zu vereinfachen (vgl. etwa 34: »EvangelistInnen«, »SammlerInnen«, »RedaktorInnen«, »AutorInnen«).
Ähnlich konstruiert mutet die vorgeschlagene Bezeichnung des Lukanischen Doppelwerkes mit dem Kürzel »LukA« (69) an. Die Schreibweise soll der anonymen Verfasserschaft, der Zweiteiligkeit des Doppelwerkes und der unsicheren »Zuschreibung des Werkes an einen Mann« (69) Rechnung tragen. Neben der Tatsache, dass die Titulatur nicht in der Forschungslandschaft beheimatet ist, stellt spätestens die Verwendung des Genitivs (so 87: LukAs) das eigentliche Anliegen infrage, stiftet mehr Verwirrung als Klarheit und lässt an der Aussagekraft nur eines Großbuchstabens als dem entscheidenden Marker zweifeln. – Angesicht der Veröffentlichung der Studie im Jahr 2006 ließe sich die Bemerkung, eine neue Fassung des »Concise Glossary of Narratology from Cologne« solle im Jahr 2003 (vgl. 49) erscheinen, sicherlich noch überprüfen und aktualisieren.

Der freien Übertragung des Lesers überlassen bleibt die inhaltliche Füllung des Buchtitels »Die Poetik der Apg«. Weder im Verlauf der Studie noch im synthetischen Schlusskapitel wird deutlich, was E. mit dem Begriff »Poetik« bezeichnet. Wird damit nur allgemein die schöpferische Erzählleistung des Verfassers betont? Unter einer pointierten Fassung des Begriffs könnten die Erzählstrukturen der Apostelgeschichte noch prägnant synthetisiert werden.
Der inhaltliche, methodische und praktische Anspruch und Ertrag des Werkes stehen außer Zweifel. Die Studie bündelt bislang gewonnene Erkenntnisse, weist methodisch auf einen gangbaren Pfad hin und motiviert dazu, ihn weiterzugehen.

München Hans-Georg Gradl