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Ausgabe:

Februar/2008

Spalte:

151–153

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Schmitz, Bertram

Titel/Untertitel:

Vom Tempelkult zur Eucharistiefeier. Die Transformation eines Zentralsymbols aus religionswissenschaftlicher Sicht.

Verlag:

Berlin: LIT 2006. XVI, 382 S. 8° = Studien zur Orientalischen Kirchengeschichte, 38. Kart. EUR 34,90. ISBN 3-8258-9362-6.

Rezensent:

Beate Ego

Der Titel der Habilitationsschrift des Theologen und Religionswissenschaftlers Bertram Schmitz, die von Peter Antes in Hannover betreut wurde, formuliert eine der zentralen Thesen der Arbeit auf knappe und markante Art: Danach liegt die Wurzel der christlichen Eucharistiefeier nicht – wie häufig in der Forschung vertreten – im jüdischen Passahmahl, sondern vielmehr im Tempelkult, konkreter: im Ritus der Feier des Großen Versöhnungstages. Freilich greift Sch.s Arbeit noch viel weiter, wenn seine Ausführungen ganz generelle Aussagen zur Trennung von Judentum und Christentum enthalten und er auch auf Traditionslinien verweist, die vom Judentum des Zweiten Tempels hin zum rabbinischen Judentum bzw. zur Alten Kirche und zum frühen Christentum führen. Historischer Angelpunkt für die entscheidenden Entwicklungen in Ju­dentum und Christentum ist dabei die Zerstörung des Jerusalemer Tempels. Diesem Ereignis kommt gleichsam der Charakter einer Initialzündung zu, die ganz unterschiedliche Prozesse in Gang setzt, die letztendlich einen Trennungsprozess initiieren, der in der Existenz zweier unterschiedlicher religiöser Symbolsysteme mündet. Die wesentliche Entfaltung der Grundthese von Sch. findet sich – nach allgemeinen Einführungen – in den Kapiteln 4–6 (81–344) dieses Buches. Zunächst versucht Sch. auf der phänomenologischen Ebene aufzuzeigen, in welcher Hinsicht die Elemente »Tempelkult« und »Eucharistiefeier« einander ähnlich sind. Tempel und Eucharistie sind »beide jeweils für die israelitische Religion bzw. für das Christentum die eine zentrale Einrichtung ..., in der rituell die Gottesnähe in gestalteter Form symbolisch in höchstem Maße zum Ausdruck gebracht wird« (99).
Nach allgemeinen Überlegungen zu der traditionsgeschichtlichen Relation zwischen dem Judentum in der Epoche des Zweiten Tempels (in der Sprache Sch.s »Israel«), dem rabbinischen Judentum (in der Sprache Sch.s schlichtweg »Judentum«) und dem frühen Chris­tentum), in denen Sch. ganz generell postuliert, dass die Überlieferungen des hellenistischen Judentums vor allem im frühen Chris­tentum rezipiert wurden (Kapitel 5: »Religionsgeschichtliche Grundlagen einer Transformation des Tempelrituals«, 129–194), widmet Sch. sich dem diachronen Aspekt der Relation von Tempelritual und Eucharistie (Kapitel 6: »Die genetische Tempel-Eucharistie-Relation«, 195–344). Dabei ist freilich festzustellen, dass diese Dimension nicht explizit aus den Quellen zu entnehmen ist, sich aber aus weiteren phänomenologischen Entsprechungen zwischen Tempel und der christlichen Eucharistie gleichsam aufdrängt. Als Entsprechungen nennt Sch. z. B. die Kleidung des Hohenpriesters (227–232), den Opfergedanken (233–235), die architektonische Abtrennung des Allerheiligsten im Kirchengebäude (255–260), die Verehrung der Buches (272 f.) oder die Ehrung des Altars (280–282).
So ist nach den Ausführungen Sch.s folgende Traditionslinie an­zunehmen: Mit der Zerstörung des Tempels entstand ein »Sym­bolisierungsvakuum«. Während im rabbinischen Judentum eine nicht-rituelle Transformation des Tempelrituals in der »Heiligung des Alltags«, in der »Verbalisierung von Tempelritualen im Synagogengottesdienst« und »in der literarischen Fixierung des Tempelri­tuals, das damit aktiviert werden kann, sobald der Tempel wieder exis­tiert und damit die Transformation in den Tempel der Hoffnung« erfolgte, kam es im Christentum zu einer »rituellen Verwirklichung des Symbolkomplexes von (Hohe-)Priester, Opferritual, Al­lerheiligstem, Vergebung der Sünden etc. in der Eucharistie« (203 f.).
Die einzelnen Entsprechungen, die Sch. im Hinblick auf die gemeinsame Phänomenologie von Tempelkult und Eucharistie aufzeigt, sind in der Tat manchmal verblüffend und laden zum weiteren Nachdenken ein. Allerdings sollte man gewisse methodische Probleme, die diese Arbeit enthält, nicht übersehen: So argumentiert Sch. in der Regel nicht mit den Primärtexten, sondern mit Sekundärquellen der Forschungsliteratur. Das Eucharistieritual, das er seinen Ausführungen zu Grunde legt, ist das der gegenwärtigen Gestalt der Qurbana der syrisch-antiochischen Kirche (117). Bestimmte Elemente, die Sch. als Weiterführung des Tempelrituals im Christentum nennt, sind – nach Ausweis der von ihm angeführten Belege – wohl weniger als Teil des Eucharistierituals zu be­­zeichnen, sondern vielmehr integraler Bestandteil eines christologischen Konzepts. Eine weitere methodologische Problematik der Arbeit besteht darin, dass die für das Yom-Kippur-Ritual im Besonderen und die Tempeltheologie im Allgemeinen herangezogenen Überlieferungen selbst oft der Zeit nach der Zerstörung des Tempels entstammen, weshalb gefragt werden muss, ob sie bereits Ausdruck eines Transformationsprozesses sind. Auch weist die Begrifflichkeit des Phänomenologischen gewisse Unschärfen auf, da die Kategorie der Zentralität, wie sie für das Tempelritual des Yom-Kippur und für die christliche Eucharistie postuliert wird, letztendlich keine deskriptive, sondern eher eine normative Kategorie darstellt.
Dennoch: Diese Habilitationsschrift ist sowohl im Hinblick auf die untersuchten Transformationsprozesse im Besonderen, die Wichtiges für das jüdisch-christliche Gespräch beitragen, als auch im Hinblick auf ihre Überlegungen zu religiösen Transformationsprozessen im Allgemeinen ein wichtiger Forschungsbeitrag. Den Ausführungen Sch.s, der sich durch seinen Mut zum Aufzeigen großer traditionsgeschichtlicher Linien auszeichnet, ist zu wünschen, dass sie in der Fachwelt rezipiert werden und zu weiteren Diskussionen anregen.