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Ausgabe:

November/1997

Spalte:

1017–1019

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Byrskog, Samuel

Titel/Untertitel:

Jesus the Only Teacher. Didactic Authority and Transmission in Ancient Israel, Ancient Judaism and the Matthean Community.

Verlag:

Stockholm: Almquist & Wiksell Intern. 1994. 501 S. gr.8° = Coniectanea Biblica. New Testament Series, 24. Kart. SEK 288.­. ISBN 91-22-01590-6.

Rezensent:

Nikolaus Walter

Für die verspätete Anzeige dieser Lundenser Dissertation muß der Rez. um Entschuldigung bitten. Es handelt sich um eine sehr umfangreiche Arbeit, die sich das Ziel gesetzt hat, das Phänomen der Tradition und den Vorgang des Tradierens ("transmission") in der Sicht und Praxis des Ersten Evangelisten (Mt) bzw. seiner Gemeinde zu erfassen. Dazu setzt er (nach einer Einführung in die Fragestellung und die befolgte Arbeitsmethode, 13-32) im Part One (33-196) mit einer Untersuchung des Gefüges von Lehrautorität und Traditionsweitergabe im alttestamentlichen und frühjüdischen Bereich ein.

Damit ist angesichts der Forschungssituation schon eine wesentliche Vorentscheidung getroffen worden: Im Kern ist die auf Jesus als alleinigen Lehrer orientierte urchristliche Tradition von Konzept und Praxis des Tradierens bei den Rabbinen deutlich unterschieden. Damit knüpft B. an G. Kittel und auch an B. Gerhardsson an (14-19). Dabei sucht er nun weniger nach Analogien in allgemeinen Erziehungsprinzipien und Überlieferungstechniken der vor-tannaitischen Periode in Judäa (so R. Riesner). Vielmehr zieht er den Vorgang der Bearbeitung und des Ausbaus weisheitlicher und prophetischer Traditionen auf dem Weg zur Endgestalt der Weisheits- bzw. Prophetenbücher zum Vergleich heran (Kap. 1; 35-78). Vor allem die Prophetentraditionen weisen einen Prozeß auf, der ebensosehr die Orientierung an der Autorität des jeweils namentlich genannten Propheten wie andererseits die Möglichkeit der Traditionserweiterung durch Unterstellung "anonymen" Traditionsgutes unter die prophetische Autorität aufweist. Aber auch in der weisheitlichen Überlieferung begegnet der bleibende Bezug auf einen bestimmten Lehrer (z. B bei Ben Sira).

Grundlegend ist für B. die Annahme, daß "die Tradierung von Worten und Taten einer bestimmten, hochgeachteten Person Züge an sich [trägt], die bei der Tradierung von Material unpersönlichen Inhalts nicht in gleicher Weise hervortreten" (21), was er durch die Analyse des Traditionsvorgangs in prophetischer bzw. anderweitig personorientierter Überlieferung (z. B. in der Orientierung der Qumrangruppe am "Lehrer der Gerechtigkeit") bestätigt sieht. Der Hinweis auf den exklusiven "Lehrer" bildet zugleich das entscheidende Identitätsmerkmal der Gruppe. Damit ist bereits etwas über die soziokulturelle Bedeutung dieser Sichtweise ausgesagt. Genau die soziokulturellen Bedingungen des Überlieferns in der mt. Gemeinde sind es, die B. erforschen möchte.

In den Kapiteln 2 und 3 untersucht B. getrennt die Motive und den Prozeß des Überlieferns, jeweils bezogen auf die Autorität des besonders geachteten oder gar als einzigartig angesehenen Lehrers. Bei den Motiven (Kap. 2; 79-135) steht das Verhältnis zwischen Lehrinhalten ("didactic motives"), Bezug der Inhalte auf die Person des Lehrers ("didactic-biographical motives") und Titulierung dieser Person ("didactic-labelling motives") zur Debatte. Im Falle der rabbinischen Tradition ist das Interesse generell auf die Lehrinhalte gerichtet; die Rabbinen finden nur als kollektiv am Traditionsprozeß Beteiligte Aufmerksamkeit (91-94; auch die Anrede "Rabbi" meint nicht mehr). Stehen die "didaktisch-biographischen Motive" im Mittelpunkt, d. h. sind die Lehren in das Leben eines bestimmten Lehrers integriert, so legt sich die narrative Darstellung des Wirkens des Lehrers nahe (vgl. z. B. die Elia-Elisa-Erzählungen), und oftmals fällt das Interesse am Lehrinhalt mit dem Interesse an der Person des Lehrers zusammen. Das weiteste Stadium der Entwicklung ist da erreicht, wo zur Charakterisierung des Lehrers bestimmte Titel angewendet werden; das verleiht diesem Lehrer mehr oder weniger den Charakter der Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit (so schon beim qumranischen "Lehrer der Gerechtigkeit"). ­ Kap. 3 (136-196) fragt nun nach dem Prozeß des Tradierens. Schon mündliche Tradition macht Tradenten nötig; aber mehr noch gilt das für den Prozeß der Verschriftlichung der Tradition. Damit geht schon eine höhere Wertung des ursprünglichen Lehrers Hand in Hand. So wird durch die Tradierung der Tora Mose zu "unserem Lehrer"; er bleibt aber Offenbarungsempfänger, wird nicht zum Autor (Urheber) der Tradition. Die Propheten haben da eine Zwischenstellung, die sich auch in einer andersartigen Form des Überlieferns (in der Spannung zwischen Bewahren und Bearbeiten bzw. Erweitern des Tradierten) bei Unterstellung unter ihre spezielle Autorität zeigt. Dabei können auch Traditionsbestände anderer Herkunft in die dem jeweiligen Propheten zugeordnete Tradition einbezogen werden.

So zeichnet B. die soziokulturelle Situation des Mt als bestimmt von verschiedenen Formen der Beziehung von sach- und personorientierten Motiven des Tradierens, wobei die Orientierung auf die exklusive Autorität ("exousia") Jesu im Mittelpunkt steht. Das wird nun im Part Two (Kapitel 4-6; 197-398) auf die Sicht des Mt auf Jesus den Lehrer und das daraus resultierende Verständnis der Tradition und des Tradierens angewendet. Jesus ist für die christliche Gemeinde nicht irgendein Lehrer unter vielen, sondern der analogielos Einzige; das Lehren ist im mt. Jesusbild ja anerkanntermaßen ein Zug von zentraler Bedeutung. Dem entspricht, daß Jesu Jünger für Mt wesentlich die sind, die die Lehre Jesu empfangen und verstehen, um sie dann weiterzugeben (221-236). Demnach sind die Jünger im MtEv nicht die Repräsentanten der Gemeindeglieder generell, sondern des speziellen Lehrerstandes nach Ostern; mit der bearbeiteten und weitergegebenen Tradition bestätigen sie stets aufs Neue die Identität der Gemeinde (aber wie ein dementsprechender "Schulbetrieb" praktisch ausgesehen haben mag, wird nicht näher deutlich). Damit ist auch ein, wenn nicht das wesentliche Motiv des Überlieferns angegeben (237-308): die Erzählung hebt (anders als bei Mk) hervor, daß die Jünger ihren Lehrer "verstehen"; und das macht sie zu "Schriftgelehrten" neuen Stils (Mt 13,52 beschreibt nicht nur den Autor des Evangeliums als solchen, sondern gewissermaßen auch alle seine "Kollegen"; 241). Auch 28,19 f. setzt voraus, daß die Lehraktivität der "Jünger" in der Gemeinde eine Art Schriftgelehrtentum ist, wofür Petrus nur als Beispiel steht (245-253); entscheidend ist die grundlegende Bindung an die Lehre Jesu. Diese ist auch die geschichtliche Grundlage der Mission (254-261). Aus beiden Funktionen ergibt sich das Gewicht der Traditionsweitergabe, wobei wesentlich bleibt, daß die Orientierung stets auch auf Person und Geschick Jesu geht (261-266).

Dem entspricht nun, daß im narrativen Jesus-Bild des Mt Verkündigung ("Entscheidungsruf") und Lehre miteinander eng verbunden sind; der Umkehrende wird Jesus (und seiner Lehre) zugeführt (266-270). Demselben Ziel dienen auch die Heilungs- und Barmherzigkeitstaten Jesu (270-275). Die auf Jesus anwendbaren Titel bzw. Kategorien ("labels") werden bes. in Mt 23 deutlich: Jesus ist nicht "Rabbi", sondern "Lehrer" (23,8) bzw. autoritativer Leiter (kathegetés, 23,10). So gelangt B. zum Begriff einer "didactic christology", deren adäquate Höhe erst mit der Beziehung von sophia-Traditionen auf Jesus erreicht wird (290-306). Der Überlieferungsprozeß schließlich ist dadurch gekennzeichnet, daß er die Wort-Tradition unablösbar von der Person-Tradition umfaßt und daß die erstere so oft als möglich mit dem Namen "Jesus" direkt verbunden wird. Die Tradierung geschieht mündlich und schriftlich, wobei nach B. aber die schriftliche Tradierung fast als "Ersatz" für die mündliche zu stehen kommt, so daß die Bearbeitung der schriftlichen Tradition immer die Tendenz zur "Re-oralisierung" des Tradierten hat (347-349). Anders gesagt: die Bearbeitung der Tradition zielt auf aktualisierende Interpretation, was sich z. B. an der Einarbeitung neuer prophetischer Motive in den Traditionsstoff zeigt. Dabei werden insbesondere auch die argumentativen Bestandteile verstärkt, sei es durch Einarbeitung alttestamentlicher Worte oder auch durch Neu-Arrangement des Stoffes (378-396). Daß es dabei um die Bekräftigung der personalen Autorität Jesu geht, zeigt insbesondere auch die betonte Neueinführung des "Ich" Jesu in den sogenannten "Antithesen" (5,21-48), aber auch andernorts (391-395; vgl. schon 294-299 zur Bergpredigt: "Jesus’ teaching carries an importance to be compared with what God himself has said", 296). Auch die Einfügung atl. Bezüge soll die Autorität Jesu für die Gemeinde fraglos machen (396). So wird Jesus von Mt seinen Lesern/Hörern als der "Only Teacher" mit göttlicher Autorität vorgestellt.

Die Arbeit ist breit angelegt, aber methodisch klar aufgebaut; der Leser wird von Abschnitt zu Abschnitt sorgfältig auf die jeweils bearbeitete Fragestellung vorbereitet. Ebenso klar werden die Zwischenergebnisse immer wieder in Kursivdruck zusammengefaßt, was die Lektüre sehr erleichtert. Der Umgang mit der breit gestreuten Literatur (Bibliographie: 407-472) ist, soweit ich sehe, stets verläßlich und sachgemäß. Insgesamt scheinen mir die Ergebnisse der Arbeit weitgehend überzeugend zu sein. Es ist ja klar, daß das Jesusbild des Mt das Lehren stark betont, so daß der Einstieg auf diese Thematik sich von selbst ergibt. Es wäre interessant, analoge Untersuchungen zu den beiden anderen synoptischen und zum Vierten Evangelium anzustellen und zu fragen, in welcher anderen Weise sich bei ihnen das Jesusbild darstellt. Für Mt hat Byrskog mit dieser sehr beachtenswerten Arbeit jedenfalls eine eindeutige Beschreibung erreicht.