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Ausgabe:

Februar/2008

Spalte:

147–148

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Öztürk, Halit

Titel/Untertitel:

Wege zur Integration. Lebenswelten muslimischer Jugendlicher in Deutschland.

Verlag:

Bielefeld: Transcript 2007. 282 S. 8° = Kultur und soziale Praxis. Kart. EUR 28,80. ISBN 978-3-89942-669-4.

Rezensent:

Joachim Willems

In den vergangenen Jahren hat die Frage nach der Integration von Muslimen in Deutschland zunehmend Beachtung gefunden. Während Wilhelm Heitmeyer 1997 einen »verlockenden Fundamentalismus« unter türkischen Jugendlichen konstatierte, stellt Halit Öztürk in seiner erziehungswissenschaftlichen Dissertation die Gegenthese vor, die er auf zwölf Leitfaden-Interviews mit jungen Berliner Muslimen im Alter zwischen 16 und 25 Jahren stützt: Muslimische Religiosität behindere Integration nicht, sie fördere sie. Kern der Argumentation ist, dass die »islamischen Werte als Schutzmauer für ein konsequentes und gesetzestreues Leben ohne Drogen- und Alkoholprobleme« fungieren würden (239), zumal der Glaube als »innere Polizei« (227) wirke: »Der Islam wird als eine ›Energiequelle‹ für ein Leben im Einklang mit dem Grundgesetz und geltendem Recht gesehen.« (240)
Die Arbeit beginnt mit der Benennung der Forschungsfragen im Anschluss an eine Darstellung des Forschungsstandes zu muslimischen Jugendlichen in Deutschland. Im Kapitel »Theoretische Grundlegung« referiert Ö. Grundzüge des Islam als »kulturellen Hintergrund muslimischer Jugendlicher« (35) und diskutiert die Begriffe Integration und Religion/Religiosität. Seiner Definition nach ist integriert, wer ein positives Verhältnis zum politischen System der Bundesrepublik hat sowie zu intra-/interkulturellem Austausch und intra-/interkulturellem Dialog bereit ist. Religiosität definiert und dimensioniert Ö. unter Rückgriff auf das breit rezipierte Modell von Charles Glock, an dem sich auch die im Methoden-Kapitel begründete Gestaltung des Interviewleitfadens sowie die Auswertung der Interviews orientierten. Im Blick auf die Auswahl der Interviewpartner (sechs weibliche, sechs männliche) ist zu würdigen, dass Ö. ein breites Spektrum innerhalb der ethnisch und religiös vielfältigen muslimischen Gemeinschaft erreicht. Den größten Teil des Buches nimmt die Darstellung und Auswertung der Interviews ein. Die oft ausführlich wörtlich zitierten Interviews stellen eine Fundgrube für weitere Forschungen dar und bieten Einblicke in religiöse Lebenswelten, die den meisten Lesern sonst verschlossen sind. Eine Zusammenschau der Ergebnisse, Re­sümee und Ausblick schließen das Buch ab.
Ö. lenkt zu Recht den Blick auf das zu wenig beachtete integrationsfördernde Potential des Islam. Dennoch vermag seine Arbeit nicht vollständig zu überzeugen. Neben Kritik an mangelnder Tiefe und Differenziertheit in seinen theoretischen Grundlegungen ist auch seine empirische Arbeit zu hinterfragen. Wenn er etwa auf die faktisch erfolgte Integrationsleistung seiner Interviewpartner hinweist, dann sagt er mehr über sein Sample aus als über die Integrationsleistung von Muslimen. Denn Ö. hat mehr oder weniger gut integrierte Jugendliche befragt, keine ›bildungsfernen‹ Jugendlichen, dafür aber fünf Studierende (98). Zudem greift Ö. Aussagen in seiner Auswertung nicht wieder auf, die seiner Grundtendenz widersprechen, und reproduziert meist die Deutung seiner Interviewpartner, statt diese zu hinterfragen. Besonders deutlich wird die Problematik dieses Vorgehens beim nationalistisch eingestellten ›Orhan‹, der meint, der Islam sei »›die Demokratie‹ und verteidige die Menschenrechte besser als die heutigen Institutionen, die sich das auf die Agenda geschrieben haben« (238). Solche und ähnliche Aussagen gelten unhinterfragt als Beleg für eine demokratische Einstellung und wurden während der Interviews nicht zum Anlass genommen, genauer nachzufragen, um z. B. Sichtweisen auf konkrete Konfliktpunkte im bundesdeutschen Alltag zu erheben.