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Ausgabe:

Januar/2008

Spalte:

108–109

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Alberigo, Giuseppe

Titel/Untertitel:

Die Fenster öffnen. Das Abenteuer des Zweiten Vatikanischen Konzils.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2006. 288 S. 8°. Kart. EUR 17,80. ISBN 978-3-290-20030-5.

Rezensent:

Wolfgang Beinert

Der Leiter des Religionswissenschaftlichen Instituts in Bologna, Herausgeber der fünf Bände der »Geschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils« (der letzte erschien auf Deutsch 2007), ist einer der weltweit besten Kenner der Kirchenversammlung. Das auf Italienisch zum 40. Jubiläum 2005 herausgekommene Buch stellt eine knappe und teilweise sehr persönliche Zusammenfassung der Konzilschronik aus der Sicht des »Bologneser Kreises« um G. Dossetti dar, der im Verein mit dem Ortsbischof Kardinal Lercaro wesent­liche Impulse zur Verwirklichung der genialen Idee des aggiornamento gab, welche Johannes XXIII. mit dem bedeutendsten kirchlichen Ereignis des 20. Jh.s verbunden wissen wollte.
Wichtig ist diese Publikation weniger wegen der (in sich glänzenden) theologischen Resümees der Dokumente; da gesellt sie sich einer Vielzahl von Büchern zu. Erregend ist vor allem die Herausarbeitung der emotionalen wie doktrinalen Motivationen der Konzilsväter, die zu den immer latenten, bisweilen auch offenen Spannungen führten zwischen der eher zukunftsoffenen Mehrheit und der konservativ-fundamentalistischen Minderheit (die sich vor allem aus kurialen Kreisen rekrutierte). Die vorsichtig-ängstliche Grundeinstellung des zweiten Konzilspapstes hatte außerdem zum Ergebnis, dass Paul VI. mit nahezu allen Mitteln den größtmöglichen Konsens herbeizuführen bestrebt war. Das aber brachte nicht nur eklatante Bedrohungen der Konzilsfreiheit mit sich (wie in der »Schwarzen Woche« im November 1964), sondern de facto auch die Ausschaltung der überwältigenden Mehrheit der Bischöfe und vor allem die geradezu widersprüchlichen theologischen Kompromisse, die in der Nachkonzilszeit die bekannten Po­larisierungen in der römisch-katholischen Kirche generiert haben.
In sechs Kapiteln führt A. kenntnisreich von der Vorgeschichte bis zur Rezeptionsgeschichte des Konzils. Die römische Kirche war nach dem langen Pontifikat Pius’ XII. in einen Ruhezustand versunken, der sich spätestens seit der Initiative Johannes’ XXIII. als Le­thargie entpuppte. Der alte Papst hatte den unerhörten Mut, aus diesem Zustand, der sich deutlich als letzter Akt einer bis in die Zeit Konstantins reichenden Periode erwies, herauszukommen und Perspektiven für eine neue Phase des uralten Zeugnisses zu entwerfe n– mit Hilfe der universalen Bischofsversammlung. Deren Mitglieder zeigten sich freilich dieser Transfer-Aufgabe, anfänglich wenigs­tens, nicht gewachsen: Sie waren gewohnt, sich als Exekutionsorgane des Papstes ohne eigene Impulse zu sehen. Zu den »Wundern« des Zweiten Vatikanums gehört die Tatsache, dass der eher tradi­tionalistisch eingestellte Episkopat nahezu vollständig zu einem Gremium wurde, das bereit war, die Weichen für die Zukunft der Kirche in einer total veränderten Welt zu stellen. »Lange verheimlichte Hoffnungen und Erwartungen brechen nun hervor ans helle Licht der Sonne, unterdrückte Forderungen finden nun einen Raum, den man sich nicht einmal erträumt hatte. An die Stelle des Vorrangs der Wiederholung des immer Gleichen, des Bewahrens und des passiven Gehorsams tritt das Streben nach Forschen, nach Kreativität und persönlicher Verantwortung«, umreißt A. die Stimmung des »erwachsenen Konzils« (101). Aus knappen Erwähnungen geht übrigens auch der Anteil des Peritus von Kardinal Frings hervor: Joseph Ratzinger hatte sich bereit erklärt, eine Protestrede ge­gen die massive Intervention Paul VI. in der Gestalt der »nota praevia explica­tiva« zur Kirchenkonstitution zu entwerfen (160).
Das Fazit zieht A. im Schlusskapitel unter der Überschrift »Neue Jugendlichkeit für die Kirche« (243–264). Sie ist allerdings nur bei sehr genauem Hinsehen zu erblicken. Zwar sind signifikante Veränderungen im Selbstbewusstsein der Kirchenglieder eingetreten, aber nach der Lektüre des Werkes fragt man sich, ob sie den Geist des Konzils schon eingeholt haben. Er basierte auf Grundsätzen, »die dem Katholizismus allzu lange ungewohnt – ja sogar fremd – gewesen waren, so dass es für sie sowohl an lebendigen Gewohnheiten als auch an einer begrifflichen Vertiefung fehlte« (255). Das ist kaum anders geworden.
So steht die Vollendung des Konzils in der Christenheit insgesamt noch aus. A. leistet in seiner Studie einen dankenswerten Beitrag vor allem für die Generation, die nicht mehr Zeitzeuge der Versammlung ist, diesen wichtigen Prozess zu beleben und ein wenig voranzutreiben. Die sorgsam ausgewählten bibliographischen Hin­weise machen ein weitergehendes Studium in diese Richtung möglich.