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Ausgabe:

Januar/2008

Spalte:

107–108

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Rother, Bernd

Titel/Untertitel:

Kirche in der Stadt. Herausbildung und Chancen von urbanen Profilgemeinschaften.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2005. 350 S. m. Diagr. 8°. Kart. EUR 29,90. ISBN 978-3-7887-2131-2.

Rezensent:

Rudolf Roosen

Die Erlanger Dissertation aus dem Jahr 2004 behandelt die in den 90er Jahren in vielen Städten Deutschlands und des europäischen Auslandes neu entstandenen christlichen Gemeinschaften. Bernd Rother versucht, die Frage zu beantworten, ob durch derartige »Urbane Profilgemeinschaften (UPG) die evangelischen Landeskirchen an Handlungsfähigkeit und damit an Relevanz in der heutigen urbanen Gesellschaft gewinnen können« (22).
Gleich zu Beginn grenzt R. das Untersuchungsfeld mit einer klaren Definition ein: »Unter UPG verstehen wir eigenständige christliche Gemeinschaften, die der Urbanisierung im Einzugsbereich westeuropäischer Volkskirchen Rechnung tragen, indem sie für eine bestimmte, soziologisch definierte Zielgruppe im Rahmen ihrer Staats- oder Landeskirche ein alltags- und lebensweltbezogenes Angebot evangelischer Spiritualität entwickeln und im Team mit Mitgliedern dieser Zielgruppe konkret ausformen.« (19)
R. entfaltet das Thema in fünf Teilen. Zunächst sichtet er die jüngeren Entwicklungen im Umfeld der GGE (Geistliche Gemeinde Erneuerung), der AGGA (Arbeitsgemeinschaft für Geistlichen Gemeindeaufbau) und der Arbeitsgruppe »Gemeindepflanzung« der AMD (Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste). Im zweiten Teil folgen exemplarische Darstellungen aktueller UPG, ihrer theologischen Grundannahmen und ihrer jeweils handlungsleitenden kybernetischen Konzepte: das anglikanische Church Planting-Konzept, die Basileia Vineyard Bern, die Communauté St. Nicolas, Strasbourg, die OASE Giengen, die Christliche Gemeinschaft Fürth (67–152). Der dritte Teil sichtet soziologische Forschungsergebnisse zur Urbanität (154–194). Der vierte Teil der Dissertation entfaltet in einer sehr ausführlichen Darstellung der praktisch-theologischen Dimensionen ein »Einzelfallbeispiel ak­tueller volkskirchlicher Gemeindegründung« (195), die Hosanna Dienstgemeinschaft, Heidelberg (195–273). Im Schlussteil kommt R. dann wieder auf seine eingangs formulierte Fragestellung zu­rück und versucht eine Antwort zu geben.
Es ist kaum möglich, der reichen Materialfülle des Buches auch nur annähernd gerecht zu werden. Dazu wäre mehr Raum erforderlich, als eine Rezension bieten kann. Deshalb möchte ich – aus der subjektiven Perspektive eines Gemeindepfarrers in der Rheinischen Landeskirche – nur einige wenige Mosaiksteinchen herausgreifen, um darauf hinzuweisen: informativ die Darstellung der anglikanischen Church-Planting Bewegung (Teil II,1), lehrreich die soziologische Sicht der Urbanität (Teil III), hilfreich der Begriff des »evolutorischen Kulturmanagements« (302 ff.). Durchgängig bestätigt sich immer wieder, dass, wer andere Teilnehmerkreise für seine Kirche, seine Gemeinschaft oder seine Gottesdienste gewinnen möchte, den Gottesdienst erneuern muss. Ohne Gottesdiensterneuerung ist keine neue und keine erneuerte Gemeinde zu haben. Und hier wiederum gilt dann neben der Unabdingbarkeit einer guten Predigt vor vielem anderen das Prinzip »music is the key«.
Zum Schluss sei es dem Rezensenten gestattet, die Dissertation beiseite zu legen und – angeregt von R.s Arbeit – den Faden aufzunehmen und noch ein wenig weiterzuspinnen. Dann wäre zu prüfen, ob denn christliche Gemeinschaftsgründungen, wie die dargestellten UPG, die ja häufig auf die »Indienstnahme der gesamten Existenz« (312) der neu gewonnenen Gemeindemitglieder abzielen, tatsächlich so plausibel auf die Gegebenheiten in modernen Mi­lieu­gesellschaften antworten. R.s eingehende Beschreibungen und seine kenntnisreichen Analysen zeigen unzweifelhaft, dass UPG sich konzeptionell im Fahrwasser der Theologie Gerhard Hilberts bewegen (s. RG G2). Die aber entstand bereits nach dem ersten Weltkrieg. Eine Milieugesellschaft im heutigen Sinn gab es damals sicher nicht. Von daher wäre also zunächst einmal nachzuweisen, dass, warum und unter welchen Umständen unter den heutigen Bedingungen der Milieugesellschaft das alte Hilbertsche Gemeindeverständnis (noch) fruchtbar ist. Ergänzend wäre auch eine empirisch-analytische Untersuchung zum Verhältnis von Biographie und UPG-Zugehörigkeit anzuregen. Gibt es da Muster, Schemata, prädestinierende Lebensläufe? Einige Hinweise lassen sich in R.s Buch finden, aber leider keine ausformulierte Fragestellung in dieser Richtung. Auf dem Hintergrund der gewonnenen Ergebnisse wäre dann vielleicht auch abschätzbar, ob die Landeskirchen durch UPG an gesellschaftlicher Relevanz gewinnen.