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Ausgabe:

Januar/2008

Spalte:

106–107

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Lamprecht, Annette M.

Titel/Untertitel:

Christlicher Glaube im Alter. Eine Untersuchung zu Bedeutung und Funktion.

Verlag:

Berlin: LIT 2006. IX, 276, 230 S. gr.8° = Forum Theologie und Psychologie, 10. Geb. EUR 49,90. ISBN 978-3-8258-8269-3.

Rezensent:

Hans-Jürgen Fraas

Während Kindheit und Jugend in Religionspsychologie und Religionspädagogik seit Jahrzehnten ausführlich bearbeitet worden sind, zeigt das spätere Alter weiterhin theoretische Defizite. Insofern steht das Verdienst, die Religiosität im Alter zum Thema zu machen, von vornherein außer Frage.
A. Lamprecht legt zehn semistrukturierte biographische Interviews von gläubigen Hochbetagten (79–98 Jahre alt) vor, aus deren Analyse nach der interaktions- und handlungsorientierten Methode der »Grounded Theory« (Strauss/Corbin 1996) sie ein neunglied­riges Kategorienmodell entwickelt. Diese Lebensberichte (in einem »Anhang« auf mehr als 200 Seiten im Volltext abgedruckt) zu lesen ist selbst schon spannend. Dabei ist die Beobachtung interessant, dass die (ausschließlich gläubigen) Interviewten die Rolle ihres Glaubens in der Lebensgestaltung in der Regel erst auf Nachfrage thematisieren – sei es, weil der Glaube als in hohem Maß privat bzw. intim oder aber als in dieser Personengruppe nicht erwähnenswerte Selbstverständlichkeit empfunden wird.
Nachdem L. im Einleitungskapitel ihre sehr persönliche Motivation andeutet und ihre interesseleitenden Fragen vorstellt (in­wieweit der christliche Glaube als Ressource für die Lebensbewältigung im Alter dienen könne), folgen ein kurzer historischer Abriss der Religionspsychologie von E. D. Starbuck 1899 bis J. M. Fowler 1991 und eine äußerst komprimierte stichwortartige Be­schreibung des biblischen Menschen- und Gottesbildes. Diese Dinge sind nun freilich entweder schon bekannt oder aber für eine Erstbegegnung in diesem Abriss doch sehr kurz. Auch wird z. B. nicht begründet, warum der Ansatz Fowlers »etwas breiter« dargestellt, der tiefenpsychologische aber auf einer knappen Seite eben nur gestreift wird (13).
Mit dem vierten Abschnitt tritt der eigentliche Gegenstand der Untersuchung in den Mittelpunkt: der Glaube als Hilfe zur Kontingenzbewältigung. Dabei werden neuere Untersuchungen zur psychischen Funktionalität von Religion aufgegriffen, z. B. des israelischen Medizinsoziologen A. Antonovsky 1971 bei Frauen, die das KZ überlebt haben, oder die Studie von Stierlin und Grossarth-Maticek 1989 bei Krebspatienten. In beiden Arbeiten zeigt sich die positive Einstellung zur jeweiligen Religion als ein Faktor, der die Lebensproblematik zu bewältigen hilft.
Ausführlicher wird die Arbeit von K. I. Pargament 1997 über religiöse Bewältigungsmechanismen (»den Schnittpunkt von Religion und Krise«) dargestellt. Dabei wird ein psychologisch determinierter Bewältigungsmechanismus (der darin besteht, mehr Kontrolle über das Kontingente zu gewinnen) von einem religiösen unterschieden, der dazu anleitet, Kontingenz zu akzeptieren und in ein überpersönliches Lebensdeutungsgefüge zu integrieren. Es kann nicht überraschen, dass religiöse Bewältigungsmechanismen häufiger von Menschengruppen gewählt werden, die von Haus aus schon eine religiöse Bindung besitzen. Das impliziert einen Impuls an die kirchliche Bildungsarbeit, den Menschen ein solches religiöses Lebenskonzept jedenfalls als Möglichkeit zur Verfügung zu stellen.
Des Weiteren referiert L. diverse Theorien des Alternsprozesses/der Gerontologie, um anschließend den Zusammenhang von Glaube und Alter unter dem Akzent von Stressbewältigung zu thematisieren, gibt einen Bericht über die psychologische und theologische Forschung zum Thema und stellt schließlich die Methodik der eigenen Untersuchung dar. Es schließen sich die Porträts der zehn Interviewpartner, die Auswertung des Textmaterials und die Entwicklung eines Kategorienmodells sowie eine zusammenfassende Diskussion an. Dabei zeigt sich als tragende Kraft alter Menschen beim Ertragen der Altersbeschwerden eine »lebendige, kindlich-vertrauensvolle Beziehung zu Gott als Vater und zu Jesus Chris­tus als Sohn und Erlöser«, vollzogen als interaktionale Strategie im Kontext der Gemeinschaft mit praktizierenden Christen (Gebet, Glaube an den Wahrheitsgehalt der Bibel; Rolle des Vorbildes). In einem »Resourcenvergleich« mit Psychoanalyse und klientenzentrierter Gesprächstherapie wird aufgewiesen, dass es »die bejahende Gottes- und Christusbeziehung« ist, die für den Hochbetagten eine therapeutische Funktion hat.
Die Untersuchung von L. zeichnet sich durch die Vielseitigkeit der Perspektiven aus. Sie kann hilfreich sein nicht nur für die Alten-Seelsorge, sondern für die das gesamte Leben begleitende Fragestellung, wie die Voraussetzungen für eine solche Altershaltung in einem lebenslangen Prozess schon frühzeitig aufgebaut werden können. Damit ermöglicht sie auch »Rückschlüsse auf Gründe für den Glaubensschwund in den jüngeren Generationen«. Denn gerade hier liegt das Problem: Die bei den Probanden vorgefundene Haltung ist längst nicht mehr selbstverständlich. Insofern ist Maria Kassel in ihrem Geleitwort Recht zu geben, dass die Arbeit Nachfolge-Untersuchungen nach sich ziehen müsse im Blick auf Menschen, »die weniger gläubig sind«.