Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

November/1997

Spalte:

1013–1015

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Schröder, Bernd

Titel/Untertitel:

Die ’väterlichen Gesetze’. Flavius Josephus als Vermittler von Halachah an Griechen und Römer.

Verlag:

Tübingen: Mohr 1996. XI, 316 S. gr.8° = Texte und Studien zum Antiken Judentum, 53. Kart. DM 178,­. ISBN 3-16-146481-8.

Rezensent:

Stefan Schreiner

Mit seiner für die Drucklegung überarbeiteten, 1994 vom FB Philosophie und Sozialwissenschaften II der FU Berlin angenommenen Dissertation hat sich der Vf. eine doppelte Aufgabe gestellt: Zum einen möchte er den Zusammenhang von Begriff und Sache, also "die Begriffsgeschichte und Bedeutung der ’väterlichen Gesetze’ (hoi pátrioi nómoi)" ­ als Inbegriff akzeptierter und bewährter Tradition, die sich allein durch ihr Alter legitimiert und zugleich legitimatorische Kraft besitzt, eine Art Schlüsselbegriff der antiken Ethik ­ in Sprachgebrauch und Werk des Josephus (er)klären und zum anderen damit zugleich "einen Beitrag ... zum Verständnis des Josephus und seiner Schriften sowie des Themenkomplexes ’Ethik/Halachah’ bzw. ’Umgang mit dem Gesetz’" in der jüdischen sowohl als auch der griechisch-römischen Kultur leisten (1 f.).

Der doppelten Aufgabenstellung entsprechend ist das Buch in zwei Hauptteile gegliedert. Nach der Einleitung (= Teil I), in der der Vf. als erstes einige Begriffsklärungen, nämlich für die Begriffe Halachah, Ethik, Gesetz, Hellenismus (2-7) vornimmt, die um einen kleinen, aber lesenswerten Exkurs "Zur Übersetzung Torah ­ Nomos" ergänzt werden (21-25), danach Josephus’ Lebenslauf rekapituliert (7-13) und anschließend den bisherigen Stand der Forschung zusammenfaßt (13-18) und am Ende sein Arbeitsprogramm spezifiziert (19-21), wendet er sich im ersten Hauptteil (= Teil II) Josephus’ Werken zu. Streng chronologisch vorgehend, d. h. der "zeitlichen Ordnung der Werke" folgend (27 ff.), untersucht der Vf. der Reihe nach und minutiös alle Belegstellen des Begriffs der ’väterlichen Gesetze’ bzw. verwandter Begriffe wie tà pátria nómima, éthos, ethismós u. a. in den Werken des Josephus, zunächst also im Bellum Judaicum (53-69), dann in den Antiquitates (70-130), der Vita (131-136) und schließlich in c. Apionem (137-151).

Um das Spezifische in Josephus’ Verwendung und Bedeutung des Begriffs der ’väterlichen Gesetze’ noch besser herausarbeiten zu können, stellt ihnen der Vf. im Sinne phänomenologischer Vergleichspunkte im zweiten Hauptteil (= Teil III) die ’väterlichen Gesetze’ in der "griechisch-römischen und jüdischen Welt der Antike" gegenüber, beginnend mit den mores maiorum der römischen Tradition, und hier bei Cicero und Livius (159-175), über die pátrios politeía der attischen Redner und Historiographen von Herodot, Thukydides und Xenophon bis Polybios, Dionysios von Halikarnassos, Diodoros Siculus und Plutarch sowie der Philosophen Platon und Aristoteles und der sog. Fragmentenliteratur (176-199), die pátrioi nómoi der LXX und außerkanonischen Literatur, bei Philon und anderen hellenistisch-jüdischen Schriftstellern (200-231), bis hin zu den ’väterlichen Gesetzen’ in Qumran und im Neuen Testament (232-258), wobei der Vf. mit Recht hervorhebt, daß die ’väterlichen Gesetze’ zwar auch im NT "als umfassender Begriff wahrscheinlich mündliche wie schriftliche Teile der Gesetze" bezeichnen, aber "im Verhältnis zur zentralen Vokabel nómos peripher" sind (258). Im Hinblick auf die qumranischen Belege (232 ff.) wäre freilich noch zu fragen, ob die dortigen ’väterlichen Gesetze’ nicht am Ende ihren Bezugspunkt in der berît rîschônîm von Lev 26,45 haben.

Dank dieses im Blick auf Josephus’ Werke diachronen Vorgehens und der Einbeziehung der relevanten literarischen Überlieferungen der griechisch-römischen Mitwelt kann der Vf. zeigen, daß der Begriff der ’väterlichen Gesetze’ bei Josephus, wiewohl durchgängig "auf jüdische Sachverhalte angewandt", dennoch in seiner Funktion "je nach Schrift und Situation innerhalb derselben" variieren kann (264): Da der Begriff zunächst weniger etwas über die einzelnen Inhalte der ’väterlichen Gesetze’ aussagt als "primär in der Regel nur allgemein auf die Traditions- und Religionsbindung bestimmter Juden oder des ’Volkes’" hinweist (152), figuriert er denn auch zunächst als ein Schlagwort in der innerjüdischen Auseinandersetzung (so vorwiegend in BJ). Obwohl die ’väterlichen Gesetze’ nach Josephus (so u. a. in Ant.) indessen entweder mit biblischen Geboten oder mit nachbiblischer rabbinischer Halacha übereinstimmen (265), kennt er eine spezifizierende Unterscheidung von biblischen und nicht- oder nachbiblischen Einzelgesetzen, und in der Folge von schriftlicher und mündlicher Tora dennoch nur insofern, als er sie bei den Pharisäern feststellt, selbst aber für bedeutungslos hält (113-121), wie denn auch seine Halacha-Darstellung bekanntermaßen in nicht allen, dafür aber einigen wesentlichen Punkten vom sog. rabbinic code abweicht (157).

Haben die Untersuchungen in Teil III auch ein bemerkenswertes Maß an Übereinstimmung im Verständnis der Bedeutung der ’väterlichen Gesetze’ zwischen Josephus und seiner nichtjüdischen Mitwelt erbracht, mit dem Unterschied freilich, daß die ’väterlichen Gesetze’ bei Josephus Religionsgesetze sind, die selbstverständlich auch "politische Implikationen haben", ist dennoch eine "direkte Begriffsübernahme aus der griechisch-römischen Welt ... nicht nachweisbar" (267), wenn deswegen auch nicht auszuschließen ist, daß Werke griechischer und römischer Autoren, Historiker in erster Linie, soweit sie vorgelegen haben (können), Josephus als Quelle der Inspiration gedient haben. Denn auffällig ist schon, daß Begriff (und Konzeption?) der ’väterlichen Gesetze’ selbst nicht hebräischen oder aramäischen Ursprungs, sondern nur in griechischen und später auch lateinischen Texten bezeugt sind (267). In dem Maße jedoch, in dem Josephus die ’väterlichen Gesetze’ zunehmend "deutlicher inhaltlich als Halachah" begreift, kann er sie (so v. a. in c. Ap.) dank der ihnen durch ihr angenommenes hohes Alter eignenden "legitimatorischen Kraft auch in Konflikten ... in die vorderste Reihe der Auseinandersetzung mit antijüdischen Stimmen seiner Zeitgenossen" rücken und als wirksames apologetisches Instrument gegenüber der nichtjüdischen Mitwelt einsetzen (155 f.).

Tatsächlich, so ergibt sich für den Vf. am Ende, belegt gerade Josephus’ Konzeption der ’väterlichen Gesetze’ und sein Umgang mit ihnen, daß er weder ein "bedingungsloser Hellenist und Assimilant", noch "torahfixiert" war (268). Vielmehr war er ein Apologet des Judentums sui generis, insofern als er mit seinem "Rekurs auf die ’väterlichen Gesetze’ ... die im Judentum gängige ’traditionale Legitimation’" ausbaute und "im Zeichen der ’Akkulturation’" erweiterte, d. h. "eine sprachliche Form aus dem hellenistischen Raum" adaptierte, sie aber mit jüdischem Inhalt füllte. Das Wechselspiel von "Judaisierung des Hellenischen und Hellenisierung des Jüdischen", das einst I. Heinemann bei Philon erkannt hatte, findet der Vf. damit auch bei Josephus und sieht darin seine Leistung (269 f.).

Kann es bei einem so oft und intensiv behandelten Autor wie Josephus auch nicht anders sein, als daß vieles von dem, was der Vf. hier (erneut) ausgebreitet hat, schon andernorts, wenn auch nicht mit denselben Worten, so doch in der Sache bereits gesagt worden ist, wie nicht zuletzt der Vf. selbst mit der von ihm herangezogenen umfangreichen Literatur bestätigt, so verdient doch gerade sein Schlußvotum Beachtung, mit der er eine neue "Ehrenerklärung" für Josephus abgegeben hat; und diesem Votum ist man sich um so eher anzuschließen bereit, als er es nicht vorschnell, sondern am Ende methodisch sorgfältiger und damit inhaltlich nachvollziehbarer Untersuchungen vorgetragen hat.