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Ausgabe:

Januar/2008

Spalte:

95–96

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Hildemann, Klaus [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Religion – Kirche – Islam. Eine soziale und diakonische Herausforderung. Hrsg. unter Mitarbeit v. K. Hartmann.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2003. 255 S. 8°. Kart. EUR 19,80. ISBN 3-374-02045-3.

Rezensent:

Hansjörg Biener

Der Band dokumentiert ein Symposium vom September 2002 zur Bedeutung der Religion(sgemeinschaft)en im Sozialstaat, ist aber inhaltlich nicht an dieses Datum bzw. Zeitumstände gebunden. Die eigentlich so nicht zusammenpassenden Stichworte des Titels kürzen drei Themenkreise ab, denen jeweils vier Beiträge gewidmet werden. »(Individualisierte) Religion in der (vormals christlich geprägten) modernen Gesellschaft« (F.-X. Kaufmann, M. Wohlrab-Sahr, M. Krüggeler, K. Gabriel), »Kirche (ihre Motive und ggf. Hintergedanken) und soziale Verantwortung« (H. C. Knuth, T. Jähnichen, R. Schieder, E. Herms) sowie »Soziale Verantwortung des Islam (koranische Aspekte und der Status Quo in Deutschland)« (M. A. Hobohm, S. Wild, Th. Lemmen, I. Rüschoff). Die in Klammern hinzugesetzten Stichworte mögen den Inhalt der Kapitel weiter präzisieren. Dazu kommen noch zwei »Sozial- und gesellschaftspolitische Perspektiven« (O. Schily, J. Gohde). Vor allem Rolf Schieder mit »die soziale Verantwortung der Kirchen als Bildungsverantwortung in der multikulturellen Gesellschaft« und Eilert Herms mit »Religionsgemeinschaften und Kirchen als Träger sozialer Verantwortung« kommen auch der übergeordneten Trias näher.
Die, besonders in den ersten beiden Kapiteln, umfassenden und erhellenden Beiträge bleiben in der Regel bei den genannten Themenkreisen. So hätte ich mir von den religionssoziologischen Beiträgen auch Äußerungen zu der ja auch schon in einzelnen Studien behandelten Frage gewünscht, wie Muslime in einer multireligiösen oder möglicherweise auch als a-religiös und religionsfeindlich erlebten Umgebung religiöse Identität bilden und soziale Mitverantwortung pflegen. Auch die im dritten Kapitel zum Islam versammelten Beiträge geben hier nur bedingt Antwort, ja, provozieren weitere Fragen. So müssten Muslime vielleicht genauer erklären, wofür die traditionelle Sozialsteuer (Zakat) bestimmt ist und wie die primäre Verpflichtung an die islamische Gemeinschaft im Kontext allgemeingesellschaftlicher Aufgaben in nicht-islamisch geprägten Gesellschaften von den Gelehrten interpretiert wird (Frage an M. A. Hobohm, 173). Wo liegen, sowohl bei den islamischen Ge­meinden als auch in den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die Ursachen dafür, dass gegenüber dem religiösen und politischen Engagement das soziale Engagement anscheinend in den Hintergrund tritt, wie Thomas Lemmen konstatiert? Angesichts der Tatsache, dass auch die jüdische Gemeinde und kleine Kirchen in Deutschland als Träger von Kindertagesstätten, Krankenhäusern und anderen Einrichtungen auftreten, muss das auch eine Anfrage an die Räte sein, die für drei Millionen Muslime und Musliminnen sprechen wollen. Offenbar hatte auch dieses Symposium ein Problem, Muslime aus Deutschland für aussagekräftige Beiträge zur deutschen Situation zu gewinnen. Darum hätte es hier vielleicht gutgetan, exemplarisch das »Sozialwesen« wenigstens eines mehrheitlich islamisch geprägten Landes vorgestellt zu bekommen.
Fazit: Wer das Buch zu den ersten beiden Themenkreisen kauft, wird kompetent unterrichtet. Wer das Buch unter der Fragestellung konsultiert, wie Staat und Gesellschaft und darin die Kirchen auf die Anwesenheit der muslimischen Minderheit »sozial« oder »diakonisch« reagieren bzw. wie umgekehrt Muslime ihre gesellschaftliche Mitverantwortung noch zumal unter Absehung von der Religionszugehörigkeit beschreiben, bekommt zu wenige Antworten.