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Ausgabe:

November/1997

Spalte:

1011–1013

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Neusner, Jacob

Titel/Untertitel:

The Talmudic Anthology in Three Volumes. II.: God: Issues of Theology.

Verlag:

Frankfurt/M.-Berlin-Bern-New York-Paris-Wien: Lang 1995. 325 S. 8° = Realms of Judaism, 53. DM 98,­. ISBN 3-631-47132-7.

Rezensent:

Ludwig Wächter

Zur Schriftenreihe "Judentum und Umwelt ­ Realms of Judaism" hat J. Neusner eine stattliche Anzahl von Beiträgen geliefert: 1993 erschien als Band 36-38 "Classical Judaism", eine dreibändige Anthologie von Mischna, Talmud und Midrasch, sowie als Band 41-42 "How Judaism Reads the Torah"; 1994-1995 folgte in drei Bänden (Bd. 47-49) "Scripture and Midrash in Judaism" und als Band 51 in der Übertragung von J. Maier "Die Gestaltwerdung des Judentums. Die jüdische Religion als Antwort auf die kritischen Herausforderungen der ersten sechs Jahrhunderte der christlichen Ära". Der vorliegende Band ist Teil einer dreibändigen Anthologie: Vol. I (Bd. 52) behandelt "Torah: Issues of Ethics", der vorliegende Band "God: Issues of Theology" und Vol. III (Bd. 54) "Israel: Issues of Public Policy".

Der Vf. hat die dreibändige Anthologie, wie aus dem Vorwort hervorgeht, als Gastprofessor an der schwedisch-sprachigen Universität von Finnland zu Abo herausgegeben. Sie gehört in den größeren Rahmen seiner judaistischen Forschungen.

Eine breitgefächerte Einleitung (13-52) führt in die rabbinische Literatur im allgemeinen und den Talmud im besonderen ein, wobei bereits auch auf die für den Talmud typische dialektische Form der Argumentation eingegangen wird, deren Darstellung den Hauptteil des Buches beherrscht. Ein kurzer Abschnitt (53-54) erklärt und begründet die durchgeführte Form der Übersetzung, die mit ihrer feinteiligen Gliederung und mit der die Übersicht fördernden Wahl unterschiedlicher Schrifttypen die Struktur der Argumentation deutlich macht.

Der Hauptteil des Buches ist in zehn Abschnitte gegliedert: Der erste Abschnitt, "Knowing God", beginnt mit "God made Manifest in the Torah", wobei vier Aspekte unterschieden werden: 1. Gott als Prinzip, das die Welt erschaffen und die Tora gegeben hat; 2. Gott als übernatürliches Wesen, das im Tempel und überall, wo zwei oder drei sich mit der Tora beschäftigen, gegenwärtig ist; 3. Gott als Person, d. h. als das Gegenüber, an das Gebete gerichtet werden; 4. Gott als Personalität, als Gott, den wir kennen und uns zum Vorbild nehmen können. Nach der Sicht des Vf.s erscheint Gott in dem ersten Dokument der mündlichen Tora, der Mischna, in den ersten beiden Aspekten, im nächsten Dokument der Entfaltung der mündlichen Tora, dem "Talmud of the Land of Israel and related Writings", erscheint er auch als Person, und erst im dritten und letzten Stadium, im babylonischen Talmud, erscheint er als voll ausgebildete Persönlichkeit, die wir kennen und lieben können. Für jeden der aufgezeichneten Aspekte werden passende Beispiele aus der rabbinischen Literatur gebracht.

Die Themen des zweiten Abschnittes "Humanity’s Suffering and God’s Love" und des dritten "God’s Prayers and Ours" werden anhand des Mischna-Traktates Berakot 1,1-2 und seiner Auslegung im babylonischen Talmud entfaltet. Auch der vierte Abschnitt "Miracles. God’s Intervention into History" fußt auf dem Traktat Berakot, und zwar Mischna 9,1-5 und ihre breit gefächerte Auslegung im babylonischen Talmud, wozu das sog. "Traumbuch" gehört, in dem über Träume und deren Deutungen diskutiert wird.

Der 5. Abschnitt, der sich mit der Erkenntnis Gottes durch mystische Versenkung befaßt ("Knowing God through mystical learnings") kann am Mischna-Traktat H.agiga 2,1 und dessen Auslegung im babylonischen Talmud entfaltet werden, wobei sich praktisch ein Kommentar erübrigt, weil im Talmud bereits alles gesagt ist. Der 6. Abschnitt "The Rationality of the Sacred" greift aus der 5. Ordnung, Qodaschim "Heilige Dinge", den Traktat Zebah.im "Schlachtopfer" heraus und konzentriert sich dabei auf die Mischna-Kapitel 9-10 samt Talmud-Auslegung, die vom Altar und von Opferdarbringungen handeln, wobei vom Vf. ein Gegensatz zwischen der im Traktat H.agiga bezeugten Gefährlichkeit des Heiligen und seiner "Bändigung" im Traktat Zebah.im herausgestellt wird.

Während der 6. Abschnitt Gottes Rationalität im Bereich der Kultregeln zum Inhalt hat, befaßt sich der 7. Abschnitt "Divine Justice: The Rule of Measure for Measure" mit der Rationalität göttlichen Gerichtshandelns, gestützt auf Sota 1,7-9, wo das göttliche Prinzip "Maß für Maß" diskutiert wird, sowohl in der Mischna als auch in der teils über das Thema hinausschießenden Gemara. Der 8. Abschnitt "Intentionality and Accepting God’s Kingdom" behandelt das Gebet, besonders das Schemac, wobei Mischna Berakot 2,1-8 und 5,1 zum Ausgangspunkt genommen wird. Abschnitt 9 "Salvation: The World to Come and the Resurrection of the Dead" handelt von den "Letzten Dingen", ausgehend von Mischna Sanhedrin, Kap. 11,1-2 (bzw. 10,1-2), wo mit "Alle Israeliten haben Anteil an der kommenden Welt" begonnen wird. Die breite Auslegung dieser kurzen Mischna-Sprüche in der babylonischen Gemara, die sich klar an die Struktur der Mischna anlehnt, wird anschließend gebracht. Der 10. Abschnitt "The End of Days" fußt auf Sota 9,11-15, dem Schlußteil dieses Traktates, der das Aufhören mancher Gebräuche, Tätigkeiten und Tugenden aufzählt, wobei die Tempelzerstörung mit ihren Auswirkungen im Mittelpunkt steht, und der ganz am Ende zur Hoffnung auf die messianische Zeit und die Auferstehung der Toten hinlenkt.

Der Band bringt ­ was in seinem Titel ja auch nicht behauptet wird ­ keine "Theologie des Talmuds", sondern lediglich Einblicke in theologische Gedankengänge und Reflexionen des Talmuds an ausgewählten Beispielen. Er leistet damit ein Stück Einleitungsarbeit in den Talmud.