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Ausgabe:

Januar/2008

Spalte:

68–70

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Schuster, Susanne

Titel/Untertitel:

Aemilie Juliane von Schwarzburg-Rudolstadt und Ahasver Fritsch. Eine Untersuchung zur Jesusfrömmigkeit im späten 17. Jahrhundert.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2006. 240 S. m. Abb. gr.8° = Arbeiten zur Kirchen- und Theologiegeschichte, 18. Geb. EUR 38,00. ISBN 978-3-374-02394-3.

Rezensent:

Andres Straßberger

Mit dieser Jenenser kirchengeschichtlichen Dissertation liegt erstmals eine Doppeluntersuchung zur Gräfin und Liederdichterin Aemilie Juliane von Schwarzburg-Rudolstadt (1637–1706) und zu ihrem Kanzler, dem Juristen, Erbauungsschriftsteller und Spener-Korrespondenten Ahasver Fritsch (1629–1701), vor. Der Fragehorizont der Studie ist dabei primär frömmigkeitsgeschichtlich, d. h. auf die Quellen und Charakteristika der Frömmigkeit der beiden Protagonisten ausgerichtet. Indem Sch. ihre Arbeit auf die Frage zuspitzt, inwieweit diese als pietistisch bzw. Rudolstadt als Zentrum eines (frühen) Pietismus zu interpretieren sind, möchte sie nicht nur einen Beitrag zur thüringischen Kirchengeschichte, sondern auch zur Pietismus- und Orthodoxieforschung leisten (Einleitung, 11–17).
Das erste Kapitel (19–78) gilt dem Erbauungsschriftsteller Fritsch. Der Schwerpunkt liegt auf dem Nachweis der literarischen Rezeption von insgesamt neun verschiedenen theologischen und frömmigkeitsgeschichtlichen Traditionslinien (42–63); außerdem wird seine Frömmigkeit systematisch nach inhaltlichen Schwerpunkten untersucht (65–77). Eine Erkenntnis dieses Abschnitts, für den von den rund 200, aber nicht mehr alle nachweisbaren geistlichen Traktaten Fritschs rund 50 ausgewertet wurden, ist, dass seine Frömmigkeit stark auf Christologie und Ethik fokussiert, denen sich die anderen theologischen Themen zu- bzw. unterordnen. Es folgt ein im Vergleich dazu kürzeres zweites Kapitel (78–109) zur Liederdichterin Aemilie Juliane. Für die Frage nach ihrer Frömmigkeit werden u. a. ein Gemälde, ein selbstverfertigtes Glaubensbekenntnis und eine Auswahl ihrer Lieddichtungen ausgewertet. Die stark von mittelalterlicher Brautmystik geprägte Blut- und Wundenfrömmigkeit der Gräfin erinnert – so ein Ergebnis – zwar in vielem an die Frömmigkeit Zinzendorfs; ob dabei jedoch direkte Einwirkungen auf Letzteren bestehen, ist »nicht eindeutig beantwortbar« (103). Das dritte Kapitel (110–164) thematisiert unter der verbindenden Überschrift »Wie kommt der Glaube in Herz und Tat?« vier separate Problemkomplexe: 1. die pädagogischen Re­formbemühungen in Schwarzburg-Rudolstadt, 2. ein besonders für Schwangere und Gebärende bestimmtes Andachtsbuch der Gräfin unter dem Gesichtspunkt seines inhärenten Bildungsas­pektes, 3. eine frühe Schrift Fritschs zur Kirchenreform (1664) im Vergleich mit Speners »Pia desideria« sowie 4. die vom Rudolstädter Kanzler initiierte »Neue geistlich=fruchtbringende Jesusgesellschaft« (1672), die in Vergleich mit der Konzeption der Spenerschen collegia pietatis gestellt wird. Etwas überraschend für den Rezensenten kommt Sch. dabei zu dem Schluss, dass diese strukturell an barocken Sozietäten orientierte Gesellschaftsgründung – trotz aller von Sch. benannter Differenzen – dennoch »dem Pietismus [im engeren Sinn] zugerechnet werden [kann]« (164). In der Zusam­menfassung (165–180) interpretiert Sch. schließlich Aemilie Juliane und Fritsch als Vertreter des Pietismus im weiteren Sinn, wofür sie sich auf die von J. Wallmann vorgeschlagene Pietismusdefinition bezieht (166–170; vgl. bereits zuvor 53.164). Angesichts der Spezifika der Frömmigkeit ihrer beiden Protagonisten kommt Sch. im Vergleich mit der pietistischen Frömmigkeit, die mit dem »arndtschen Frömmigkeitstypus« (169) identifiziert wird, zu der bereits von Thomas Kaufmann erhobenen Forderung, »die Begriffe ›Orthodoxie‹ und ›Pietismus‹ nicht mehr alternativ, sondern komplementär, aspektiv zu gebrauchen« (176), was bedeutet, deren epochenbezeichnenden Charakter zu Gunsten eines richtungsbezeichnenden aufzugeben.
Mit ihrer Untersuchung zur Jesusfrömmigkeit im späten 17. Jh. hat Sch. eine informative Studie vorgelegt, die das mittlerweile zwar schon differenzierte, aber noch längst nicht klare Bild des Verhältnisses von Orthodoxie und Pietismus um eine weitere Facette bereichert. Deshalb sollte die Arbeit von der einschlägigen Forschung zur Kenntnis genommen werden. Aus der Sicht des Rezensenten hätte es jedoch das Anliegen der manchmal etwas knappen, die Fülle der Sekundärliteratur nicht immer ausschöpfenden Ausführungen unterstützt, wenn sich Sch. auf nur einen ihrer Protagonisten konzentriert hätte, um auf diese Weise die intendierte Kontextualisierung und Interpretation der untersuchten Frömmigkeit mit größerer Tiefenschärfe vorzunehmen. So aber wird die allein einem weiten Pietismusbegriff verpflichtete Messlatte »pietistischer Frömmigkeit« m. E. zu schematisch an das Untersuchungsmaterial angelegt, weswegen auch die Gemeinsamkeiten mit orthodoxer Frömmigkeit bzw. die Unterschiede zum »arndt­schen Frömmigkeitstypus« letzten Endes etwas blass bleiben. Vielleicht hätten in diesem Fall vor allem das Gespräch mit U. Sträters »Meditation und Kirchenreform in der luth. Kirche des 17. Jh.« (1995), E. Axmachers Monographie zu Theologie und Frömmigkeit bei Martin Moller (1989), E. Kochs Beitrag zur Sensibilisierung des Individuums in der lutherischen Erbauungsliteratur nach 1660 (2004) oder J. Wallmanns weniger beachtete »Reflexionen und Bemerkungen zur Frömmigkeitskrise des 17. Jh.« (1999) den Blick vertiefen können. Ein wenig bedauerlich aus der Sicht des Rezensenten ist auch, dass der für Fritsch so offenkundig zentrale Erbauungsbegriff nicht eigens für das Thema fruchtbar gemacht wurde, z. B. im Vergleich mit Spener (vgl. A. Haizmann: Erbauung als Aufgabe der Seelsorge bei Ph. J. Spener, 1996).