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Ausgabe:

Januar/2008

Spalte:

51–53

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Horbury, William

Titel/Untertitel:

Herodian Judaism and New Testament Study.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2006. XII, 268 S. gr.8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 193. Lw. EUR 89,00. ISBN 978-3-16-148877-1.

Rezensent:

Michael Tilly

In diesem Band sind acht jüngere Beiträge H.s versammelt, der als Professor of Jewish and Early Christian Studies in Cambridge forscht und lehrt. Der erste Teil dieser Arbeiten befasst sich mit Aspekten jüdischer Frömmigkeit während der Herodianischen Epoche (von H. definiert als die Zeit zwischen der Erhebung Herodes d. Gr. zum römischen Klientelfürsten im Jahre 40 v. Chr. und dem Ende des Bar-Kochba-Aufstands im Jahre 135 n. Chr.; vgl. 81) und ihrer Übernahme, Interpretation und Umgestaltung im frühen Christentum. Im zweiten Teil geht es um Positionen und Entwicklungen in der neueren und aktuellen neutestamentlichen Wissenschaft, wobei insbesondere nach den Möglichkeiten und Grenzen der Bezugnahme auf jüdische literarische Quellen gefragt wird.
Der ausführliche erste Beitrag (Jewish and Christian Monotheism in the Herodian Age; 2–33) untersucht Merkmale der Monotheismusvorstellung als Gegenstand der antiken Schriftauslegung und im Kontext griechischer jüdischer und christlicher apolo­getischer Texte. H. gelangt zu dem Ergebnis, dass die jüdischen Quellen aus der untersuchten Epoche ebenso einen »exclusive monotheism« (kategorische Ablehnung der Existenz fremder Gott­hei­ten) wie einen »inclusive monotheism« (Unterordnung aller paganen Gottheiten unter den Gott Israels) bezeugten. Letztere Vorstellung wurde zum Ansatzpunkt der antijüdischen Kritik christlicher Apologeten, bot ihnen jedoch auch einen Ansatz zur For­mulierung (präexistenz-)christologischer Aussagen (32).
Thema des zweiten Beitrags (Moses and the Covenant in the Assumption of Moses and the Pentateuch; 34–46) ist die Frage nach dem traditionsgeschichtlichen Ort der Bezeichnung Moses als »Mittler des Bundes« in der Himmelfahrt Moses in ihrem Verhältnis sowohl zu den Bundestraditionen des Pentateuchs als auch zu den paulinischen Briefen und dem Hebräerbrief. Der Gebrauch des Titels im Neuen Testament zeige eine deutliche Kontinuität zur (älteren) jüdischen Schriftauslegung. Ebenso lasse sich erkennen, dass die jüdische Auslegung und Fortschreibung der narrativen Traditionen im Pentateuch nicht nur am Bund selbst, sondern auch an der Person und am Werk Moses interessiert waren.
Nach den Gründen der erst in der Spätzeit des Zweiten Tempels aufkommenden und zunächst sehr spärlichen mystischen Interpretation des Hohenlieds Salomos fragt der dritte Beitrag (The Book of Solomon in Ancient Mysticism; 47–58). H. weist auf den engen Zusammenhang zwischen der Stellung und Bedeutung des Hohenlieds als Bestandteil verbindlicher Sammlungen von jüdischen Heiligen Schriften und der Eintragung mystischer Vorstellungen und Deutungen in seine Verständnistradition hin.
Der vierte Beitrag (Der Tempel bei Vergil und im herodianischen Judentum; 59–79) befasst sich mit der Möglichkeit von Bezügen zwischen dem literarischen Werk Vergils und der Religion und Literatur des zeitgenössischen Judentums, insbesondere dem 4. Buch der Sibyllinen, dessen verbreitete Bestimmung als durchgehend »tempelkritisches« Werk H. bestreitet. In der tempelorientierten Frömmigkeit des herodianischen Judentums erkennt er eine Parallelerscheinung zur vergilianischen Tempeldarstellung. Meines Erachtens lässt sich mittels solcher religionsgeschichtlicher »Universalien« allein jedoch keine direkte geistesgeschichtliche Beziehung belegen.
Im fünften Beitrag (»Gospel« in Herodian Judaea; 80–103) geht es um die Ursprünge der Deutung und Verwendung des Begriffs εὐαγγέλιον, der über das palästinische Judenchristentum in den christlichen Traditionsbereich gelangt sei. Vor allem der Gebrauch des Wortes im Kontext kultischer Vorgänge und Verrichtungen innerhalb des antiken Judentums und im Rahmen des hellenis­tisch-römischen Herrscherkultes hätten den Boden bereitet für seine determinierte Verwendung als griechisches Äquivalent der hebräischen bzw. aramäischen Bezeichnung der Verkündigung eines göttlich beauftragten bzw. legitimierten Boten in den prophetischen Schriften.
Den Abschluss des ersten Teils bildet der sechste Beitrag (Cena Pura and Lord’s Supper; 104–140). Unter der Voraussetzung, dass der in altkirchlichen Texten als Benennung des sechsten Tages der Woche begegnende Begriff cena pura bereits im westlichen Diasporajudentum den Sabbatvorabend bezeichnete, fragt H. nach seiner Bedeutung für die Erhellung der Ursprünge der frühchristlichen Herrenmahlsfeier. Die als cena pura charakterisierte wöchentliche gemeinsame Mahlfeier als Bestandteil der traditionellen Sabbatobservanz habe entscheidend zur Entwicklung der regelmäßigen christlichen Herrenmahlspraxis beigetragen.
Ein detaillierter forschungsgeschichtlicher Beitrag (British New Testament Study in its International Setting 1902–2002; 142–220) ermöglicht einen instruktiven Überblick über die britische neutes­tamentliche Wissenschaft des 20. Jh.s vor dem Hintergrund exegetischer und theologischer Strömungen und Entwicklungen in Eu­ropa und Nordamerika. H. unterscheidet drei Perioden, von denen die erste (1902–32) durch die philologisch und religionsgeschichtlich orientierte Beschäftigung mit Textzeugen, alten Übersetzungen und Apokryphen, jüdischen Quellen und insbesondere den Bezügen zur hellenistisch-römischen Religion und Kultur geprägt war. In der zweite Periode (1932–77) seien formgeschichtliche und bibeltheologische Fragen in den Mittelpunkt des exegetischen In­teresses gerückt. Die Verlagerung vom hellenistisch-römischen hin zum jüdischen Hintergrund des Neuen Testaments sei durch die Textfunde vom Toten Meer entscheidend befördert worden. Die dritte Periode (1977–2002) sei geprägt durch die anhaltende Diskussion um das Verhältnis der paulinischen Schriften zum antiken Judentum, die Suche nach einem sachgemäßen Zugang zur Jesus überlieferung (»Third Quest«) sowie eine Beschäftigung mit grundlegenden Fragen der Erweiterung der hermeneutischen und methodischen Voraussetzungen der neutestamentlichen Exegese.
Der abschließende achte Beitrag (Rabbinic Literature in New Testament Interpretation; 221–235) fragt nach den Möglichkeiten und Grenzen des Gebrauchs der rabbinischen Traditionsliteratur für die Auslegung des Neuen Testaments. H. weist darauf hin, dass die rabbinischen Texte die Fortführung eines Segments der religiösen Tradition des herodianischen Judentums darstellten. Beide Corpora teilten Methoden und Fragestellungen der Auslegung der jüdischen normativen Schriften; beide seien Zeugen einer fortgesetzten Tradition der Textauslegung. Die Rabbinen und die neutes­tamentlichen Autoren begründeten beide keine grundsätzlich neue Tradition, sondern nahmen einen Strang der älteren Tradition auf und führten ihn – in je und je spezifischer Weise kreativ deutend und erweiternd – fort. Dieses umfassende Traditionskontinuum begründe die Möglichkeit eines Vergleichs von Formen, Strukturen und Inhalten der antiken jüdischen und christlichen Schriftauslegung. Den Aufsätzen beigegeben sind ein Verzeichnis der Orte ihrer Erstveröffentlichung (237) sowie Register der biblischen und außerbiblischen Quellen (239–255), Autoren (256–264) und Sachen (265–268).
Vor allem auf Grund der zahlreichen genauen Textbeobachtungen und Analysen in den materialreichen Aufsätzen, in denen H. seine außergewöhnlich breite und gründliche Kenntnis der antiken Quellen und der aktuellen Fachdiskussion sowie seine kreative Gedankenführung unter Beweis stellt, verdient der wichtige Sammelband ein aufmerksames Interesse und zahlreiche Leser.