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Ausgabe:

Januar/2008

Spalte:

39–41

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Rohde, Michael

Titel/Untertitel:

Der Knecht Hiob im Gespräch mit Mose. Eine traditions- und redaktionsgeschichtliche Studie zum Hiobbuch.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2007. 255 S. gr.8° = Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte, 26. Geb. EUR 38,00. ISBN 978-3-374-02475-9.

Rezensent:

Markus Witte

Versuche, »Hiob« und »Mose« in ein Verhältnis zu setzen, sind nicht neu. Sie spiegeln sich beispielsweise schon in den Diskussionen über die mosaische Verfasserschaft des Buches Hiob im Traktat Baba Bathra 14b/15a im babylonischen Talmud, in der Bücherfolge des Kanons der Syrischen Bibel, die das Buch Hiob im Anschluss an den Pentateuch bietet, in der Hiobauslegung des Leontius von Byzanz (ca. 490–542) oder auch noch in der historisch-kritischen Bibelwissenschaft des 18. Jh.s bei Johann David Michaelis. Gleichwohl fehlt es – im Gegensatz zur Bestimmung des Verhältnisses zwischen »Abraham und Hiob« – bisher an einer methodisch ge­steuerten Untersuchung der literar-, traditions- und rezeptionsgeschichtlichen Bezüge zwischen »Hiob und Mose«. Die hier anzuzeigende Studie, die auf eine von Jürgen van Oorschot (damals Jena) betreute und für den Druck durchgesehene Marburger Dissertation aus dem Jahr 2004 zurückgeht, möchte genau diese Lücke in der Forschung schließen.
Dabei entfaltet R. die These, dass sich auf einer späten Redaktionsstufe des Hiobbuches eine bewusste Aufnahme von zentralen Motiven der Moseüberlieferung zeige und so die Figuren Hiob und Mose in einen spannungsreichen Dialog gebracht würden. In Modifikation der redaktionsgeschichtlichen Modelle, die Jürgen van Oorschot (1987), Markus Witte (1994) und Wolf-Dieter Syring (2004) zur Entstehung des Hiobbuches entwickelt haben, führt R. die Stücke Hi 1,6–12; 1,22; 2,1–10 und 42,7–10 auf einen Redaktor zurück, der die Rolle Hiobs im Rahmen des Opferns, der Fürbitte und der Gottesschau herausstelle und damit aus der Perspektive des Kultes die in früheren Stufen des Hiobbuches dominierende weisheitliche Weltsicht kritisiere. Diese Redaktionsschicht, deren hervorstechendste Merkmale die Kennzeichnung Hiobs als »mein Knecht« (vgl. Hi 1,8; 2,3; 42,7–9) und die Rede vom »Angesicht Gottes« seien, basiere traditionsgeschichtlich auf königlichen Au­dienzvorstellungen. Der Titel »mein Knecht« (‘abdî), den die He­bräische Bibel für namentlich genannte »individuelle Personen« (23) nur für Abraham (1x), David (18x), Hiob (6x), Jesaja (1x), Mose (5x), Nebukadnezar (3x), Serubbabel (1x), den Gottesknecht Deuterojesajas (5x) sowie für das Kollektivum Jakob/Israel (9x) verwende, wird für R. zum hermeneutischen Schlüssel des Hiobbuches.
Literargeschichtlich setze die von R. »rollenbezogene Redaktion« genannte Schicht eine aus ursprünglicher Hiobnovelle (Hi 1,1–5.13–21; 42,11–17) und ursprünglicher Dichtung (Hi 3–39*) zu­sammengefügte Buchform voraus. Folgte nach dieser Verhältnisbestimmung Hi 42,7–9 auf die ursprünglich eine Gottesrede in Hi 38–39* (vgl. 101), so verortet R. in der Zusammenfassung seiner re­daktionsgeschichtlichen Analyse diese Redaktionsschicht erst nach der redaktionellen Einfügung von Hi 4,12–21; 15,4–6; 25,4–6 und vor allem erst nach dem Einbau von 40,3–5 und 40,6–41,26 (vgl. 142. 175 f.).
Als jüngsten Zusatz im Hiobbuch bestimmt R. Hiobs Schluss­antwort in Hi 42,1–6. Diese setze 1. redaktionsgeschichtlich nun auch noch den Einschub der Elihureden (Kapitel 32–37) voraus, führe 2. inhaltlich die kultische Ausgestaltung der Hiobfigur auf der Linie von Hi 42,7–10 fort, schreibe 3. mit der von ihr betonten Priorität des gottesdienstlich zu verstehenden Sehens Gottes ge­genüber dem Hören (Hi 42,5) die »Weisheit an ihr Ende« (214) und positioniere 4. Hiob als den größten Gottesknecht vor Mose als den größten Propheten, der zwar die »Gestalt« ( temûnah) Gottes, aber nicht Gott selbst gesehen habe (Num 12,8).
Als zentrale Vergleichstexte aus der Moseüberlieferung zieht R. die durchweg späten Texte Lev 8, Num 11,24–29, Num 12,6–8, Dtn 18,15–18, Dtn 34,10–12 und Hos 12,14, am Rande auch die wichtige Passage Ex 33,11 ff. heran, die er weitgehend im Anschluss an neuere Sekundärliteratur paraphrasierend auslegt. Wesentliche Vergleichsmomente sind für R. die Motive »Opfer«, »Fürbitte« und »Sünde«. Als gemeinsames Merkmal der genannten Mosetexte erkennnt R. die Bestimmung des Verhältnisses zwischen Tora und Prophetie. Das Inventar dieser (späten) Moseüberlieferung werde, ohne dass eine literarische Abhängigkeit nachgewiesen werden könne, durch die »rollenbezogene Redaktion« (Hi 1,6–12; 1,22; 2,1–10; 42,7–10) und durch die »weisheits- und mosekritische Redaktion« (Hi 42,1–6) zur Profilierung der Hiobfigur gebraucht. Am Ende erscheine der mittels Mosemotivik überhöhte Hiob als Kommentar zu Mose und zur Tora. Hier hätte es sich freilich angeboten, einzelnen Toraanspielungen im Buch Hiob, die sich nicht nur in Hi 31 finden, weiter nachzugehen.
Die von R. vorgetragene These der »Mosaisierung Hiobs« und die Verknüpfung der Hiob- mit der Mosefigur stellen den begrüßenswerten Versuch dar, auf synchroner Ebene Parallelen zum Vorschein zu bringen und diachron einen Beitrag zur literatur- und theologiegeschichtlichen Bestimmung des Verhältnisses von Tora, Weisheit, Kult und Prophetie zu liefern. Allerdings bietet R. weder eine genauere Verortung der »rollenbezogenen Redaktion« und der »weisheits- und mosekritischen Redaktion« in der jüdischen Literatur- und Sozialgeschichte der persisch-hellenistischen Zeit noch überführt er die relative Chronologie in eine absolute, so dass die von ihm präsentierte Redaktions- und Traditionsgeschichte keine eigentliche historische Dimension besitzt. Der Vergleich von Hi 42,5–6 mit Parallelen aus den nichtkanonischen Schriften ist sehr selektiv und beschränkt sich auf ausgewählte Passagen aus dem äthiopischen Henochbuch, aus 4Esra 10*; 14 und aus dem syrischen Baruch 55,4 ff.: Im Gegensatz zum äthiopischen Hen 62,3; 71,5–11; 96,3 oder zu 4Esra 7,98, die mit einem Sehen Gottes erst im Eschaton rechnen, schaue Hiob bereits im Diesseits Gott. Entsprechende Texte aus Qumran (vgl. 1QS XI,6) finden leider keine Er­wähnung. Die Einschätzung der nachexilischen Theologie als grundsätzlich nachkultisch ist zu undifferenziert und berücksichtigt zu wenig die vielschichtigen Kultverständnisse der Priesterschrift, der Chronik, von Ez 40–48, der Sabbatopferlieder (4Q400–407) oder der Tempelrolle aus Qumran (11QT). Zumindest die Integration von kultischen, toratheologischen und prophetischen Vorstellungen in der späten Weisheit, wie dies z. B. Jesus Sirach oder Ps 73 zeigen, hätte R. im Kontext seiner theologiegeschichtlichen These, dass »Hiob das Ende der Weisheit und die Wiederbelebung des Kultes als Bewältigung der offenen Lebensfragen« verkörpere (227), genauer analysieren sollen.
Die Studie enthält neben den referierten literar- und traditionsgeschichtlichen Überlegungen interessante Beobachtungen zur Philologie einzelner Hiob-Stellen (so zur klassischen crux interpretum Hi 19,25–26, zu 42,5–6 und zu dem viel diskutierten nekônâ in 42,7, das R. als »richtig in Haltung und Inhalt in Bezug auf Gott« versteht), ist aber insgesamt in exegetischer Hinsicht und – was gerade bei einer Beschäftigung mit der Hiob-Thematik bedauerlich ist – in systematisch-theologischer Perspektive zu unpräzise.