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Ausgabe:

Januar/2008

Spalte:

35–37

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Grünwaldt, Klaus

Titel/Untertitel:

Gott und sein Volk. Die Theologie der Bibel.

Verlag:

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2006. 288 S. 8°. Geb. EUR 49,90. ISBN 978-3-534-13888-3.

Rezensent:

Johannes Thon

G. hat mit diesem Buch die Skizze einer Biblischen Theologie vorgelegt. Es ist allgemeinverständlich angelegt, bleibt jedoch nicht oberflächlich, sondern ordnet die zum Teil widersprüchliche Vielstimmigkeit biblischer Texte in einen christlichen Verstehenshorizont ein.
Die Stärke des Bandes besteht vor allem darin, dass zu den verschiedenen systematischen Fragen an erster Stelle ausgewählte Bi­belstellen zu Wort kommen und auf ihre Aussageintention hin befragt werden. Dabei stellen die Besprechungen der Einzeltexte ein Plädoyer für die historisch-kritische Arbeit an biblischen Texten dar. Durch sie könnten die antiken Texte auch heutigen Lesern erschlossen und für ihren Glauben und ihr Leben relevant werden. So kann zum Beispiel die historisch wahrscheinliche Herkunft des Gottes JHWH einen Aspekt des Wesens Gottes bestätigen, der sich aus der Deutung des Gottesnamens in Ex 3,14 ergibt. Denn dieser Gott, so die an Martin Buber angelehnte Deutung, ist kein unerreichbarer Gott. Er gibt sich seinem Volk als ein personales Gegenüber zu erkennen. Er wirkt und geschieht in der Geschichte – so, wie er eben Israel in Midian begegnete und damit aus dem Gott Midians zu dem weltweit angebeteten Gott geworden ist (28).
Relativ kurze, zusammenfassende Abschnitte begleiten die exegetischen Erwägungen und führen zu einem lutherisch geprägten Gesamtkonzept. G. legt Wert darauf, die verschiedenen Stimmen jeweils für sich zu Wort kommen zu lassen, und hat dennoch ein starkes Interesse daran, die den Texten gemeinsamen Grundaussagen zu erfassen. Gelegentlich kann das allerdings den Eindruck einer Harmonisierung erwecken. In anderen Fällen sind widersprüchliche Formulierungen zu finden. Die Paradoxien, die dem biblischen Kanon inhärent sind, zeigen sich dem aufmerksamen Leser auch in diesem Buch. So werden zum Beispiel sehr deutlich Aussagen über Gott vorgeführt, in denen er in uns unverständlicher, verborgener Weise beschrieben wird. Gott kann der Feind des Menschen sein. Dennoch kann abschließend formuliert werden: »In allen unseren Erfahrungen, auch in allen Erfahrungen von Leid dürfen wir Gott, den Schöpfer, an unserer Seite wissen« (106). Diese Gewissheit ist im Gesamtentwurf von der christlichen Perspektive her begründet. Ebenso wie G. die Einzeltexte zu ihrem Recht kommen lässt, so stehen in den gemeinsamen Fragestellungen Altes und Neues Testament sachgemäß erst einmal getrennt nebeneinander. In der Einleitung wird jedoch deutlich gemacht, dass die Juden und Christen gemeinsame Bibel von Christen nur mit Christus als dem Schlüssel verstanden werden kann (17). Was an dieser Stelle noch recht formelhaft bleibt, wird auf die Gänze des Buches hin durchgeführt. Die alttestamentlichen Texte werden in ihrer Eigenständigkeit wahrgenommen, aber sie laufen (unter Be­zugnahme auf Gerhard von Rad, 257) auf eine immer größer werdende Erwartung hinaus, die im Neuen Testament aufgenommen werde. Der Mensch ist auf Vergebung der Sünden durch Gott angewiesen.
Sehr deutlich wird dieser christliche Deutehorizont bei der Be­urteilung des Gesetzes. Eine wirklich positive Rolle kann ihm G. im Alten Testament nicht abgewinnen. Dass Gebote grundsätzlich lebensförderlich gedacht sind, das stellt erst Christus in den Antithesen heraus, indem er vom Wortlaut absieht und nach ihrer In­tention fragt. Erst in der gelungenen, narrativ gestalteten Predigt am Ende des Buches vergleicht Mose sie mit einem Geländer für den Lebensweg – jedoch vor allem für die Zeit der Unmündigkeit (also mit Bezug auf Gal 3,24 f.). – Dem Judentum wird die Legitimität einer eigenen Deutung der Bibel nicht abgesprochen. Be­deutung wird immer erst vom Leser gesetzt. »Vergleichbar dem Befund im Alten Testament ist die Offenbarung Gottes auch im Neuen Testament nicht eindeutig, sondern durch Jesu unmessianisches Erdenwirken und besonders seinen unwürdigen Tod in hohem Grade verdunkelt. Dass Jesus der Christus war, erschließt sich allein dem durch den Heiligen Geist geschenkten Glauben« (60).
Die grobe systematische Gliederung (Anrede Gottes [sein Ja und sein Nein zum Menschen] – Antwort des Menschen – Zukunft Gottes und Hoffnung der Menschen) lässt Raum, um wichtige bib­lische Themen zu behandeln: Erwählung, Bund, Gesetz, Freiheit, Unfähigkeit und Sünde des Menschen, Gericht, Verborgenheit Got­tes, Gottesvolk und Kirche, Glaube, Ethik, Gottesdienst, Zu­kunftshoffnung und Auferstehung. Freilich kann ein Leser in diesem gerafften Aufriss manche wichtige Frage vermissen. Die Leistung des Buches liegt darin, zentrale Glaubensaussagen mit Hilfe von Bibeltexten zu thematisieren, ohne diese Texte von vornherein in ein allzu festes Schema zu zwängen, aber zugleich nicht, ohne eine klare Gesamtperspektive zu bieten.
Der allgemeinverständliche Anspruch des Buches hätte sich noch stärker in einem leserfreundlichen Layout zeigen können. Ein Stellenregister beschließt den Band und macht es so auch dem zu­gänglich, der nach einer systematischen Einordnung eines be­stimmten Textes fragt.