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Ausgabe:

Januar/2008

Spalte:

31–32

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Lanfranchi, Pierluigi

Titel/Untertitel:

L’Exagoge d’Ezéchiel le Tragique.

Verlag:

Leiden-Boston: Brill 2006. IX, 390 S. gr.8° = Studia in Veteris Testamenti Pseudepigrapha, 21. Geb. EUR 145,00. ISBN 978-90-04-15063-8.

Rezensent:

Beate Ego

Die Exagoge des Tragikers Ezechiel, die in jambischen Trimetern geschrieben wurde und deutliche Anklänge an die Dichtungen des Euripides zeigt, entstammt der Zeit zwischen der Mitte des 3. und der Mitte des 1. Jh.s v. Chr. Damit stellt dieses Werk die bislang äl­tes­te uns bekannte Dramatisierung eines biblischen Stoffes dar. In mehreren Fragmenten, die uns in Eusebs »Praeparatio Evangelica« überliefert sind, berichtet Mose hier als Ich-Erzähler von der An­kunft Jakobs in Ägypten, von der Fronarbeit seiner Landsleute, seiner eigenen Errettung aus dem Nil, seiner Erziehung am Hofe des Pharao, vom Erschlagen des Ägypters, seiner Verfolgung und Flucht nach Ägypten, seinem Aufenthalt in Midian, der Heirat mit Zippora sowie von einem Traum, wonach ihm Zeichen der Königswürde und Wissen um die Zukunft verliehen wurden. In weiteren Fragmenten wird von Moses Gottesbegegnung am brennenden Busch und von den ägyptischen Plagen erzählt. Die letzten Fragmente schließlich enthalten den Bericht eines entronnenen Ägypters über die Vernichtung seiner Landsleute am Meer, eine Erzählung der Episode von Elim und den zwölf Quellen (vgl. Ex 15,27) sowie die Geschichte von der Erscheinung eines wunderhaften Vogels, der in der Regel mit dem Phönix identifiziert wird.
Im Zentrum dieser Dissertation, die an der Universität Leiden bei Henk Jan de Jonge und Johannes Tromp entstanden ist, steht ein ausführlicher Kommentar, der sowohl auf philologische Be­sonderheiten und auf Parallelen in der antik-jüdischen sowie paganen Literatur als auch auf die traditionskritischen Implikationen der Überlieferung aufmerksam macht (101–298). Der solide Kommentar, der auch ausführlich auf bisherige Forschungsbeiträge verweist, wird von verschiedenen Kapiteln gerahmt, die sich u. a. den üblichen Einleitungsfragen (1–14), gattungskritischen Überlegungen einschließlich der Frage nach dem »Sitz im Leben« (»Questions littéraires« [14–38], »Attitudes du judaisme hellénistique et romain à l’égard du théatre« [39–56] und »Le contexte de la représentation de l’Exagoge« [57–72]), der Textgeschichte (»La transmission du texte« [73–100]) und – im Anschluss an den Kommentar – der Forschungsgeschichte dieses Werkes (299–338) widmen. Das Werk schließt mit einer ausführlichen Bibliographie und einem Quellen- und Autorenregister. L. referiert ausführlich die verschiedenen Versuche, die Herkunft dieses Werks zu bestimmen. Eine exakte chronologische Einordnung kann jedoch nicht durchgeführt werden, auf Grund der zahlreichen Beziehungen zu Philo kommt wohl aber – wie auch sonst häufig in der Literatur angenommen – Alexandrien als Entstehungsort eine gewisse Plausibilität zu.
Abgesehen von den zahlreichen interessanten Einzelbeobachtungen, die hier nicht referiert werden können, haben die Ausführungen L.s zu philologischen und zu gattungskritischen Fragestellungen besondere Bedeutung. Ausführlich reflektiert L. die bei Euseb überlieferte Gattungsbestimmung des Werkes als »Tragödie« sowie die Bezeichnung des Autors als »Tragiker«. Diese Gattungsbestimmung hat dann ihre Berechtigung, wenn man die Ent­wicklung der Gattung »Tragödie« in der hellenistischen Zeit in die Betrachtung mit einbezieht; konstitutiv in diesem Zusammenhang sind die szenische Gestaltung des Stoffes und seine dialogische Struktur. Eine wichtige Frage in der bisherigen Forschung zur Exagoge Ezechiels war die nach dem »Sitz im Leben« dieses Stückes. Vor dem Hintergrund der Haltung des antiken Judentums zum griechischen Theater und zum Charakter des griechischen Theaters im Allgemeinen macht L. plausibel, dass es sich bei der Exagoge des Tragikers Ezechiel um ein Werk handelt, das tatsächlich als Theaterstück aufgeführt und nicht nur – so zum Teil die ältere Forschung – als eine Art »Lesedrama« lediglich für die private Lektüre bestimmt war. Da das griechische Theater als solches grundsätzlich religiös konnotiert war, ist eine Rezitation dieses Stückes in einem öffentlichen Theater nicht anzunehmen; vielmehr scheint der Feier des Passah und der institutionalisierten Erinnerung an den Exodus besondere Bedeutung zuzukommen. Sehr erhellend sind auch L.s Ausführungen zur Textgeschichte, die ja durch eine doppelte Auswahl gekennzeichnet ist. Im 1. Jh. v. Chr. war es zu­nächst der griechische Gelehrte Alexander Polyhistor, der ihm vorliegende Materialien über das Judentum zusammenstellte. Diese Ausführungen bildeten dann die Basis für die Rezeption des Stoffes bei Euseb, dessen Interesse vor dem Hintergrund der Christenverfolgungen apologetisch motiviert war (76).
Da die Exagoge des Tragikers Ezechiel auf Grund ihrer Verbindung von biblisch-jüdischen mit griechischen Traditionselementen für die Erforschung des hellenistischen Judentums von geradezu paradigmatischer Bedeutung ist, ist das Erscheinen dieses Werks des klassischen Philologen und Religionsgeschichtlers L. grundsätzlich zu begrüßen. L.s Werk wird auf Grund seiner gründlichen Re­cherchen, seiner umsichtigen Argumentationsgänge, seines brei­ten Rückgriffs auf die pagane und antik-jüdische Literatur künftig ein Standardwerk zur Exagoge des Tragikers Ezechiel darstellen. Durch seine Ausführungen zur jüdischen Haltung zur Institution des Theaters, zur Textgeschichte und zur Überlieferung des Stoffes leistet er einen wichtigen Beitrag nicht nur zur Erforschung des hellenistischen Judentums, sondern auch zur Er­forschung des frühen Christentums. Verglichen mit dem 1983 er­schienenen Kommentar von H. Jacobson zeichnet sich L.s Werk durch die stärkere Einbeziehung philologischer sowie textge­schicht­licher Aspekte aus. Man wäre L. freilich dankbar gewesen, wenn er die forschungsgeschichtliche Situierung seines Werkes selbst deutlicher expliziert hätte. Die Exagoge des Tragikers Ezechiel, die ja vor dem Hintergrund der paganen Moseüberlieferungen mit ihrem zum Teil stark antijüdischen polemischen Charakter zu lesen ist, hat auf jeden Fall einen bedeutenden Beitrag zur Identitätssicherung des Diasporajudentums in hellenistischer Zeit geleistet.