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Ausgabe:

November/1997

Spalte:

1005–1007

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Nelson, Richard D.

Titel/Untertitel:

Raising Up a Faithful Priest. Community and Priesthood in Biblical Theology.

Verlag:

Louisville: Westminster/John Knox Press 1993. XIII, 192 S. 8°. Kart. $ 20.-. ISBN 0-664-25437-3.

Rezensent:

Henning Graf Reventlow

Arbeiten über das israelitische Priestertum im Alten Testament (der Vf. spricht entsprechend der US-Sprachregelung von der "Hebrew Bible") sind in den letzten Jahren häufiger geworden, seitdem eine lange herrschende protestantische Geringschätzung des kultischen Bereichs allmählich in den Hintergrund tritt und ein Nachholbedarf der Forschung auf diesem Gebiet sichtbar wird. Dieses Buch geht einen Schritt über die historische Erforschung des Priestertums hinaus, indem es bewußt eine "biblische Theologie des Priestertums" (X) sein will. Dies ist umfassend gemeint, indem in den beiden letzten Kapiteln (Kap. 7 und 8) auch das Neue Testament einbezogen wird. Außerdem: Priesterliches Amt und priesterliches Wirken werden als zentraler Aspekt in der Bibel gewertet, wobei die "culture map" Israels (Kap. 2; der Begriff kehrt später häufig wieder) einen entscheidenden Hintergrund bildet. Wichtige Einsichten werden durch das Einbeziehen anthropologischer und sozialgeschichtlicher Perspektiven gewonnen, die den Blick für die Bedeutung des kultischen Geschehens in der Gemeinschaft und für das Verhältnis zwischen Israel und seinem Gott in unerwarteter Weise öffnen. Für den neuzeitlichen Leser schwer zugängliche Partien des Alten Testaments (wie der Bereich Ex 25-Num) gewinnen so neues Licht.

Kap. 1 (1-15) bietet einen Überblick über die Geschichte des israelitischen Priestertums, wobei zugegeben wird, daß diese verwickelt, in den Quellen unklar und nicht mit letzter Sicherheit rekonstruierbar ist (14). Im ganzen wird der Vf. im Recht sein, daß das nachexilische System, wie es vor allem die Priesterschrift beschreibt, das Resultat von langandauernden Rangstreitigkeiten zwischen verschiedenen Priestergeschlechtern ist, deren Ergebnis in nachträglicher Genealogisierung (auch die Zadokiden werden zu Aaroniden) mit einem Kompromiß beendet wird. Der Überblick führt aber auch zu der Feststellung, daß eine genaue historische Rekonstruktion für die Theologie des Priestertums nicht notwendig ist (15). Und schon hier wird im Vorgriff dafür eine Voraussetzung formuliert: Die verschiedenen Funktionen des Priesteramts haben ein Ziel: "Priesthood established community, both between God and the people and within society itself" (ebd.).

Kap. 2 "Israel’s Culture Map" (17-38) behandelt wichtige Lebensstrukturen (der Begriff "Denkstrukturen" wäre zu theoretisch), die Grundvoraussetzungen für priesterliches Handeln darstellen. Es geht um die Gegensatzpaare Rein-Unrein und Heilig-Profan, die beide, wenn auch auf verschiedenen Ebenen, kultisch definierte Abgrenzungen bringen. Dabei ist die Verunreinigung (durch Kontakt des Reinen mit Unreinem) weniger schwerwiegend (da durch Reinigung in verschiedenen Graden behebbar) als die Reaktion zwischen Heiligem und Unreinem. Profanität ist der Normalzustand, die Berührung mit dem Heiligen kann gefährlich sein, während die Verunreinigung des Heiligen verhängnisträchtig ist. Die Aufgabe der Priester ist es, die Grenzen aufrechtzuerhalten: durch Tora und durch das tägliche Ritual. Sie haben aber auch Grenzen zu überschreiten: Zur Reinigung des Unreinen und ­ das im Laufe der Entwicklung immer exklusiver ­ zum Eintritt in das Heilige.

Kap. 3 (39-53) beschreibt die priesterlichen Funktionen: Orakel, Tora, Segen und Deklarierung, Verwaltung; außerdem Installation und Ornat, dazu das Amt des Hohenpriesters. Daß dieses eine rein nachexilische Einrichtung war, ist nicht ganz zutreffend. Der Titel wohl, aber es gab doch auch schon den "Hauptpriester" am Jerusalemer Heiligtum (Seraja, Großvater des "Hohepriesters" Josua, 2Kön 25,18; Jer 53,24; vgl. Amazja in Bethel Am 7,12 ff.). Wesentlich interessanter ist Kap. 4 (55-82) mit der Überschrift "Sacrifice". Wir lesen dann aber ­ und hier kommen wieder die strukturellen Gesichtspunkte zum Tragen ­ daß das Opfer keineswegs isoliert gesehen werden darf. Es ist eingebettet in eine "gestreckte Handlung" (um mit einem modernen Begriff aus der Liturgiewissenschaft zu sprechen), in der es keineswegs die Hauptsache ist. Für diese sieht der Vf. drei Kategorien: Statusbehauptung, Statusumkehr und Statuserhöhung (55). Das Schlachten ­ oft von Laien durchgeführt ­ ist dabei nur die Vorbereitung der eigentlichen Darbringung. Und diese, der "transfer from the human world to the arena of the divine, belonged exclusively to the priest" (60). Grenzüberschreitung von der weltlichen zur überweltlichen (oder der profanen zur heiligen) Sphäre, mit dem Altar als Kreuzungspunkt, bezeichnet einen Kern priesterlichen Auftrags. Dazu kommen dann noch weitere, z. T. bekanntere Aspekte: Der umgekehrte Übertritt des Sündenbocks in den chaotischen Bereich (Lev 16), dazu die Betrachtung des Opfers als Nahrung oder Gabe für Gott, aber auch ­ anthropologisch gesehen ­ als Herstellung sozialer Balance, wozu auch das Opfermahl dient, weiter die bekannteren Aspekte als Machtvermittlung und Drama (wobei der Vf. die Rolle der Zuschauer betont, 72 f.). Als uns fremdartig und schwer verständlich bezeichnet der Vf. die Logik des Opfers als Sühne (und Reinigung), wobei die Passage von einem Status zum anderen und die Beseitigung der Verunreinigung von Altar und Heiligtum zwei Aspekte darstellen (76). Im ganzen genügt kein Modell, um den Gesamtumfang der Bedeutung des Opfers zu umfassen. Die Beseitigung von Sünde ist nur ein Gesichtspunkt, der erst in nachexilischer Zeit (P) zum Hauptzweck erhoben wurde.

Bei der Frage, was das Besondere des israelitischen Opfers gegenüber der Umwelt ist ­ beim Ritus kann man allenfalls die besondere Wirkung des Blutes nennen ­ ergibt sich das Gegenüber zu einem personalen, gnädigen Gott, der das Opfer zum Gegenstand von Loyalität und Freude machte (vgl. auch 100).

Kap. 5: "Priesthood and Theology" (83-110) bezieht bewußt wieder die Sozialgeschichte ein als Möglichkeit, die Gesichtspunkte biblischer Theologie zu erweitern. Wieder geht es darum zu würdigen, "how priests functioned in the belief structure and religious life of historical Israel" (83). Zu diesen Funktionen gehören: Grenzüberschreitung (in den Bereich des Heiligen), Mittlerschaft (einschließlich Pädagogik: Tora), Wächter über Ritus und Tradition ­ wobei prophetische Kritik an konkretem Fehlverhalten von Priestern gleicher Intention entspricht. Auch der patriarchalische Hintergrund wird erwähnt. In den folgenden Abschnitten intensiviert der Vf. sein Anliegen: "To understand the Hebrew Bible, readers must be willing to sympathise with Israel’s culture map" (98).

Es sei ein Fehler, priesterliche Religion vom israelitischen Leben zu isolieren: "The Hebrew Bible insists that sacrifice and priesthood were instituted by Yahweh ..." (99). Frühere Kritik am Priestertums (Vf. zitiert Wellhausen und Eichrodt), obwohl in Grenzen berechtigt, übersieht, daß auch Stellen wie Lev 19,18 aus Priestermund stammen. Priesterliche Theologie (P) nimmt Themen des NT und sogar von heute voraus: Sünde als ungewollte Verhaftung, Mittlerschaft zwischen Gottheit und Menschheit, Wertung heiligen Raumes, Beziehung zwischen Schöpfung und Erlösung, zwischen Erwählung und Ethik.

Kap. 6 (111-140) beschreibt die Entwicklung nach der Rückkehr aus dem Exil. Ez 40-48; Sach 1-8; Priesterschrift und Chronik sind die einschlägigen Quellen. Während für Ez 40-48 die Wiedereinschärfung der Grenzen zwischen Heiligem und Profanen (mit der restriktiven Abgrenzung des Tempelgebiets und der Beschränkung des Priestertums auf die Zadokiden) charakteristisch ist, sind bei Sacharja die Reinigung des Hohepriesters (Sach 3) und die Zuordnung von Josua und Zerubbabel (der übrigens wahrscheinlich nicht so schnell von der Bühne verschwand, wie der Vf. mit der älteren Forschung vermutet) die Hauptthemen. Die Rückversetzung des Heiligtums in die Wüstenzeit will der neuen Situation begegnen, in der Sündopfer und Versöhnungstag eine besondere Bedeutung gewinnen. Die Chronik hat kein zentrales Interesse an den Priestern (stärker an den Leviten), beläßt ihnen aber ihre traditionelle Vorrangstellung. Achtung vor dem mosaischen Gesetz und der räumlichen Heiligkeit des Tempels sind ihre Motive.

Im Neuen Testament ist bekanntlich der Hebräerbrief die Schrift, die an zentralen Stellen auf den Vergleich mit dem alttestamentlichen Priestertum zurückgreift, um die Position Jesu als des endzeitlichen Hohenpriesters herauszuarbeiten. Wichtig ist hier die Erkenntnis: "Hebrews does not really vilify or demean the Jewish priesthood ... It would be more accurate to say that Pentateuchal law provides an axiomatic pattern that the Jewish priesthood follows correctly, but with necessarily inadequate results" (144). Der neue Bund hat den alten abgelöst. Insbesondere ist die alte Form des Hohepriestertums außer Kraft gesetzt, weil Jesus den kosmischen Versöhnungstag durch den Übertritt in das himmlische Heiligtum vollzogen hat (Hebr 9). Danach haben auch die Christen Zugang zu diesem. Der Vf. weist mit Recht darauf hin, daß für moderne Leser das Verständnis von Hebr so schwierig ist, weil seine Theologie auf einer "culture map" beruht, die wir nicht teilen.

1Petr 2,5 und 2,9 (mit Bezug auf Ex 19,5), mit dem (hellenistisch geprägten) Bild vom "geistigen Tempel" und als Belegstelle für das "Priestertum aller Gläubigen" stellen einen weiteren bekannten Rückgriff auf alttestamentliche Muster priesterlicher Theologie dar. ­ Die Rolle Jesu im Neuen Testament als Grenzauflöser stellt die größte Diskontinuität zur priesterlichen Theologie des Alten Testaments dar (Kap. 8, 169-174). Das bewirkt auch einen Wandel zwischen alttestamentlichem Priestertum und christlicher Geistlichkeit (ministry).

Methodische Weite, vorurteilsfreie Offenheit und wohlgeordneter Aufbau machen dieses Buch, das auf Anmerkungen verzichtet, aber am Schluß ein paar weiterführende Lesehinweise (leider nur für englischsprachige oder übersetzte Titel) gibt (175-179; es folgt noch ein Bibelstellenregister) zu einem wichtigen Handbuch für eine Grundorientierung in dem dargestellten Bereich. Man liest es mit großem Gewinn.