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Ausgabe:

Januar/2008

Spalte:

24–25

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Weninger, Michael H.

Titel/Untertitel:

Europa ohne Gott? Die Europäische Union und der Dialog mit den Religionen, Kirchen und Weltanschauungsgemeinschaften.

Verlag:

Baden-Baden: Nomos 2007. 395 S. 8°. Kart. EUR 69,00. ISBN 978-3-8329-2421-8.

Rezensent:

Mariano Barbato

Die provokante Frage des Titels »Europa ohne Gott?« beantwortet Michael H. Weninger mit einem dezidierten Plädoyer für den im Untertitel aufgewiesenen Dialog zwischen der Europäischen Union und den Glaubensgemeinschaften. Die EU, so die grundlegende These, kann nur dann die so oft geforderte Bürgernähe erreichen, wenn sie die Artikulation der religiösen Grundüberzeugungen einer satten Zweitdrittelmehrheit ihrer Bürger im Integrationsprozess zulässt und aktiv fördert.
Die im Sinne eines fundierten und weltoffenen Christentums wertorientierte Studie ragt aus dem inzwischen angewachsenen Markt solcher Publikationen durch zwei Besonderheiten heraus: die Person des Autors und den Anspruch der Arbeit. W. ist kein Geringerer als der »religionspolitische Hauptfunktionär« (120) der Europäischen Kommission. Er leitet seit 2001 die religionspolitische Denkfabrik im Beraterstab des Präsidenten der Europäischen Kommission und ist zuständig für den thematisierten Dialog mit den Glaubensgemeinschaften. Sein Kenntnisstand ist dementsprechend intim und seine Einschätzung relevant. Wer das aussagekräftige Buch gelesen hat, weiß, wie der Vordenker in Sachen Religionspolitik der EU dieses Themenfeld strukturiert wissen möchte. Denn W. spricht nicht nur eine offene Sprache und bezieht klar Position, der Anspruch der Arbeit ist auch ein umfassender. Die Studie ist derzeit die einzige Gesamtdarstellung, die einen Bogen spannt von einem am Faktor Religion orientierten Überblick zur Integrationsgeschichte über einen Abriss der religiösen und weltanschaulichen Akteure, die sich in Brüssel engagieren, bis zu einer Bestandsaufnahme von Ansätzen einer europäischen theologischen Gesellschaftslehre.
Im Einzelnen schließt sich an den ersten Abschnitt zur Integrationsgeschichte ein Abschnitt zum Staatskirchenrecht in der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten an. Neben den historischen Analysen und den Beispielen Großbritannien, Frankreich und Österreich ist die Grundintention W.s interessant. Denn er möchte den Terminus Staatskirchenrecht durch den Begriff des Religionsrechts abgelöst sehen, um klarzustellen, dass sich Kirche und Staat nicht mehr in klassischer Weise gegenüberstehen, sondern Religion ein »umfassendes gesellschaftliches Phänomen« mit grundlegender »Relevanz für Mensch und Welt« (64) ist. Der dritte Abschnitt behandelt die rechtlichen Grundlagen der Religions- und Kirchenpolitik in der EU. Genese und Stand der Rechtslage werden hier dargestellt. Im vierten, vielleicht zentralen Abschnitt wird die Geschichte der von Jacques Delors angestoßenen Initia­tive »Eine Seele für Europa« erzählt, eine religionspolitisch orientierte Einführung zu den EU-Institutionen angeboten und vor allem ein Überblick zu den europapolitisch engagierten religiösen und weltanschaulichen Akteuren gegeben. Der fünfte Abschnitt widmet sich der Europäischen Verfassung und beleuchtet detailliert den Streit um den Gottesbezug und den Kirchenartikel, wobei der Schwerpunkt auf der Arbeit des Konvents liegt. Der sechste Ab­schnitt thematisiert den Islam als europäische Herausforderung. Mit Bezug zu den etablierten islamischen Gemeinschaften auf europäischem Boden plädiert W. für eine offene und kritische Auseinandersetzung mit dem Ziel einer Europäisierung der Muslime. Im aus theologischer Sicht herausragenden siebten Abschnitt geht W. auf verschiedene theologische Ansätze zu Europa ein, wobei trotz ökumenischer Breite der detailliert vorliegenden vatikanischen Position auch dementsprechend viel Platz eingeräumt wird. Ein informativer Anhang rundet das Werk ab. Hier findet man u. a. Auszüge aus den europäischen Vertragswerken zu den religions- und kirchenpolitischen Rechtsquellen, den Wortlaut der Charta Oecumenica von 2001 sowie ein Verzeichnis von Internetadressen religiöser und weltanschaulicher Akteure und Institutionen mit europapolitischem Bezug.
Bei dem umfassenden Ansatz des Werks musste W. eine Auswahl hinsichtlich seiner Beispiele und Schwerpunkte treffen. Auch wenn der Leser je nach seinem Wissenstand und Informationsbedürfnis mal etwas vermisst, mal ein paar Seiten überblättert, kann man doch ohne Einschränkung sagen, dass W. das erste Standardwerk zur Religionspolitik in der EU vorgelegt hat.