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Ausgabe:

November/1997

Spalte:

996 f

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Wagner, Siegfried

Titel/Untertitel:

Ausgewählte Aufsätze zum Alten Testament. Hrsg. von D. Mathias.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 1996. VIII, 294 S. gr. 8° = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 240. Lw. DM 174,­. ISBN 3-11-014833-1.

Rezensent:

Henning Graf Reventlow

Zum 65. Geburtstag des Leipziger Alttestamentlers Siegfried Wagner am 5. September 1995 und seiner Emeritierung mit dem Ende des Wintersemesters 1995/96 gab sein Schüler Dietmar Mathias diese Sammlung ausgewählter Aufsätze heraus. Die Auswahl hat jedoch der Vf. selbst vorgenommen. So kann man voraussetzen, daß er sie als repräsentativ ansieht. Wir finden hier Beiträge aus den Jahren 1968 bis 1994, den ältesten aus der Festschrift für seinen Lehrer Hans Bardtke, den neuesten für den Kollegen der letzten Jahre Hans Seidel. Damit sind zweieinhalb Jahrzehnte eines ertragreichen exegetisch-theologischen Wirkens umgrenzt, von denen der Vf. die längste Zeit unter den schwierigen Umständen der damaligen DDR (auch ihren Publikationserschwernissen) verbracht hat.

Schon ein erster Überblick über die Themen dieser Aufsätze zeigt, daß Siegfried Wagner seine Arbeit vor allem als die eines Theologen versteht. Bereits der erste Essay über "YT" in den Lobliedern von Qumran" (1-24 = Bardtke-Festschrift) wählt sich für eine Wortstudie aus dem Arbeitsbereich des Lehrers einen Begriff aus, der in seinen vielfältigen Facetten grundlegende Aussagen über das Verhältnis des in den Hodayyot sprechenden "Ich" zu seinem Gott und umgekehrt zur Sprache bringt. Das Problem der Offenbarung im Alten Testament wird an zwei konkreten Texten abgehandelt: a) An 1Sam 9,15 (47-56 = Festschrift A. Jepsen, 1971), b) An den Bileam-Geschichten von Num 22-24 (83-108 = Theologische Versuche V, 1975). Dann gibt es aber auch die Überlegungen, die sich direkt mit dem Problem einer Theologie des Alten Testaments und, darüber hinausgehend, einer Biblischen Theologie beschäftigen. Wieder einer Festschrift (für Martin Doerne, 1970) entstammt die Besinnung "Zur Frage nach dem Gegenstand einer Theologie des Alten Testaments" (25-46). Der Beitrag Wagners zur damaligen Diskussion ­ wenn W. feststellte, "daß es offenbar noch zu früh ist, etwas Endgültiges und allgemein Einleuchtendes über den Gegenstand der Theologie des Alten Testaments auszusagen" (33), wird man allerdings bekennen müssen, daß wir heutzutage darüber kaum hinausgekommen sind! ­ wird von ihm nach der Darstellung verschiedener Ansätze am Schluß (46) etwa so zusammengefaßt, daß Theologie des Alten Testaments in der Wiedergabe der "Rede Gottes und Rede von Gott" im Hinblick auf "mögliche homologische und kerygmatische Funktionen" die "Mitte des Alten Testaments" im Auge haben müsse. Das ist ein häufiger formuliertes, wenn auch nicht unbestrittenes Ziel.

Das hier schon anklingende Problem der Vielfalt "Biblischer Theologien" im Gegenüber zu der einen "Biblischen Theologie" thematisierte W. in dem bekannten Aufsatz in der ThLZ 103 (1978) (= 109-130). In der Formulierung des Ziels einer (Gesamt-)Biblischen Theologie war er damals noch einer der wenigen Pioniere. Wichtig war, daß er gegenüber aller eingestandenen "überlieferungs- und redaktionsgeschichtlichen Uneinheitlichkeit der Bibel" die "strukturelle Einheitlichkeit im Funktionalen" hervorhob (123), "Funktionsidentitäten" oder "Funktionsgleichheiten" aufsuchte (124) und damit einen eigenen Beitrag zu dem unaufgebbaren Ziel einer die Testamente umfassenden Biblischen Theologie lieferte. Nicht singulär, gleichwohl bedenkenswert ist der abschließende Hinweis auf die sogenannte "Bundesformel" als eine mögliche inhaltliche Mitte einer solchen Biblischen Theologie (130).

Auffällig ist außerdem die Rolle, die das Hiobproblem in W.s Aufsätzen spielt. Dreimal wird es thematisiert (zum Schöpfungsthema bei Hiob, 183-189; zu Hi 42,7-9 [10a], 227-238; zu "Leiderfahrung und Leidbewältigung", 247-277). Besonders der letzte Beitrag (von 1994) bietet einen Überblick über sämtliche theologischen Probleme des Buches, wobei W. mit einem Endverfasser rechnet, der widerspruchsvolle Traditionen verarbeitet hat.

Erwähnt sei noch, daß W. auch das Vorwort zu dem von ihm herausgebrachten Neudruck zu Ludwig Diestels "Geschichte des Alten Testaments in der christlichen Kirche" (1869; Reprint Leipzig 1981) mit aufgenommen hat. Für sein forschungsgeschichtliches Interesse steht ja sein Hauptwerk: "Franz Delitzsch. Leben und Werk" (München 1978). Es konnte im Westen herauskommen. An eine Neubearbeitung des Diestel hat sich noch niemand herangewagt; es wäre ein kaum lösbares Unternehmen.

Alles in allem ­ nicht jeden Einzelbeitrag konnten wir nennen ­ bietet der Band einen guten Überblick über das Lebenswerk eines unter mancherlei, auch gesundheitlichen, Problemen stets engagierten Kollegen und theologischen Lehrers.