Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

November/2007

Spalte:

1261–1263

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Schuller, Florian, Veltri, Guiseppe, u. Hubert Wolf [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Katholizismus und Judentum. Gemeinsamkeiten und Verwerfungen vom 16. bis zum 20. Jahrhundert.

Verlag:

Regensburg: Pustet 2005. 310 S. gr.8° = Themen der Katholischen Akademie in Bayern. Geb. EUR 26,90. ISBN 3-7917-1955-6.

Rezensent:

Antonia Leugers

Der Sammelband vereint 17 Beiträge einer Tagung, die im Frühjahr 2004 Gelehrte der jüdischen Geschichte und Judaistik sowie Philosophen, Theologen, Kirchenhistoriker und Historiker in der Münchener Katholischen Akademie zusammenführte, die unter dem Titel »Katholizismus und Judentum. Gemeinsamkeiten und Verwerfungen« den Zeitraum zwischen dem 16. und dem 20. Jh. be­handelten. Das geschah sehr ungleichgewichtig. Machen die ersten sechs Beiträge vom 16.–18. Jh. (15–139) und weitere sieben Aufsätze zum 19. Jh. (140–252) das Hauptgewicht des Bandes aus, so wird das 20. Jh. mit lediglich drei Beiträgen abgetan, die zeitlich nur bis 1939 reichen (253–296). Danach klafft eine Lücke bis in die 1960er Jahre. Den Abschluss bietet Reinhold Bohlen in seinem äußerst knappen und schlichten Beitrag zu Entstehung und Inhalt der Erklärung des II. Vatikanischen Konzils »Nostra aetate« Nr. 4 (297–308). Bei den Veranstaltern scheint die Tatsache einer interdisziplinären, interreligiösen Tagung als solche schon zufriedenstellend gewirkt zu haben, so dass kaum Wert auf eine konsequente inhaltliche Konzeption gelegt wurde, wie schon der wenig reflektierte Titel »Gemeinsamkeiten und Verwerfungen« signalisiert. Um den Blick »auch auf das Gemeinsame in der Geschichte von Katholiken und Juden, auf gegenseitige Befruchtung und Anregung« richten zu können (Vorwort, 12), hätten die Herausgeber ihr fraglos berechtigtes Anliegen nicht ausgerechnet mit der Lücke zwischen 1939 und 1945 konterkarieren sollen. Wenig geglückt ist die Wortwahl Hubert Wolfs zur Änderung des Verhältnisses der katholischen Kirche zum Judentum: »Der Holocaust dürfte hier der entscheidende Katalysator gewesen sein« (268). Im Übrigen hätte dem Tagungsband der Abdruck von Diskussionsbeiträgen gut getan, so Moshe Zimmermanns kritische Bemerkungen zur Gesamtanlage der Tagung: dem Fehlen sozial- und mentalitätsgeschichtlicher Beiträge für das 20. Jh. und weiterer Experten, die die Debatte hätten befruchten können.
Die meisten Beiträge, beginnend mit Giuseppe Veltris Darlegungen zur jüdischen Wahrnehmung der Reformation im 16. Jh., stehen letztlich unvermittelt nebeneinander: so die Abhandlung von Michael Graetz über Bischof Bossuets Schrift in der Bedeutung für das Judentum oder Stephan Wendehorsts Beitrag über Harold Laski, bei dem entgegen der erklärten Absicht Wendehorsts statt der me­thodischen Anstöße zur Erforschung der Geschichte der Juden und des Katholizismus nur Fragen aufgeworfen werden. Einige Bei­träge bieten zumindest gegenseitige thematische An­knü­pfungs­punkte: Johann Maier und Wilhelm Schmidt-Biggemann gehen einem möglichen christlichen Einfluss auf die Kabbala nach; Gianfranco Miletto und Gerold Necker erörtern christliche Einflüsse auf das jüdische Erziehungswesen; Stefan Schreiner und Viktoria Pollmann betrachten das Verhältnis von Juden und Polen. Sind die Belege von Klaus Herrmann für die Rezeption katholischer Liturgieelemente im Synagogengottesdienst jüdischer Reformbewegungen und jene von Tobias Lagatz über die Indizierung der Erzählung »Juif Errant« – gerade nicht wegen deren antisemitischer, sondern wegen antijesuitischer und sozialistischer Positionen – in sich stimmig, so genügt es inzwischen kaum mehr, wenn Thomas Brechenmacher seine bekannte These von der »doppelten Schutzherrschaft« nur wiederholt und selbstgefällig auf einen Anmerkungsapparat verzichtet, ohne sich mit der scharfen Kritik (so von Ni­cole Priesching) auseinanderzusetzen.
Claus Arnold untersucht liberale Katholiken und Reformkatholiken und hat keine Mühen, deren Anfälligkeit für antisemitische Positionen zu benennen. Freilich ließen diese ideologiekritischen Begriffe keine Ableitung auf sozialhistorische Kategorien wie das »katholische Milieu« zu. Auch müsse beim liberalkatholischen Antijudaismus die Instrumentalisierung für innerkirchliche Kritik beachtet werden bei gleichzeitigem Desinteresse am zeitgenössischen Judentum. Till van Rahden liefert eine interessante Auseinandersetzung um die konfessionelle Prägung eines Gymnasiums. Nach der Eröffnung des Breslauer Johanneums (1872) mit einer re­ligiös und konfessionell gemischten Schüler- und Lehrerschaft erhielt der obligatorische Religionsunterricht, sei er jüdisch, ka­tholisch oder protestantisch, gleichen Rang als Abiturfach. Der preußische Staat jedoch degradierte den jüdischen Religionsunterricht zu einem tolerierten fakultativen Fach und hielt damit am Charakter einer »christlichen Schule« fest. Viktoria Pollmann schält im polnischen, religiös überhöhten Nationsbildungsprozess des 19. Jh.s die Funktion der Negativfolie »des« Juden für den idealisierten katholischen Polen heraus. Die katholische Publizistik, insbesondere die allen Gläubigen zugängliche Bistumspresse, agitierte mit antisemitischem Vokabular. Hubert Wolf behandelt den Re­formversuch der Priestervereinigung »Amici Israel«, die 1928 die Karfreitagsfürbitte für die Juden vom »pro perfidis Judaeis« be­freien wollte. Obgleich die Liturgische Kommission der Ritenkon­gregation den Reformvorschlag begrüßte, lehnte das Hl. Offizium dies ab, und das mit unüberhörbaren Anklängen »an eine rassis­tisch motivierte Interpretation« (260). Die »Amici Israel« wurden verboten. Kardinal Merry del Vals Formulierungen trügen »deutlich antisemitische Züge« (261). Papst Pius XI. wollte diesen Eindruck in der Öffentlichkeit vermeiden, so dass im Aufhebungsdekret ausdrücklich der moderne Antisemitismus verworfen wurde. Dennoch blieb das »Fanal gegen den Antisemitismus« (267) in der katholischen Liturgie aus. Michael Brenner befasst sich mit dem Verhältnis von Juden und Katholiken in Bayern 1918 bis 1933. Sein Beitrag fällt insofern aus dem Rahmen, als er lediglich wenige gedruckte Dokumente aus den Jahren 1919, 1923 und 1933 auswertet und zu Kardinal Faulhaber die bekannten Positionen aufführt, wobei er sich zu Recht gegen die neuerlich apologetischen Tendenzen (Walter Ziegler) wendet und sich den kritischen Forschern anschließt (Thomas Breuer, Olaf Blaschke). Relevante Archivbestände, Primär- und Sekundärliteratur lässt er allerdings unbeachtet, wodurch das Ergebnis notgedrungen bruchstückhaft ausfällt. Dabei sind seine Hinweise durchaus interessant: die Distanzierung der jüdischen Gemeinde 1918/19 von Novemberrevolution und Rä­terepublik und deren Protagonisten, die Werbung für die Konfessionsschule und die Wahl der katholischen Bayerischen Volkspartei trotz antisemitischer Äußerungen in deren Presse und bei deren Rednern. Katholischerseits bildeten Revolution und Räterepublik »ein zentrales Element im katholischen Antisemitismus« (272) in Bayern. Gerade hier könnte ein vertiefteres und über die Person Faulhabers hinausgehendes Studium wertvoll sein. So ist das 1931 erschienene Buch des Regensburger Bischofs Michael Buchberger »Gibt es noch eine Rettung?« in seinen antisemitischen Positionen und in deren Wirkungsgeschichte weitgehend unbekannt.
Dominik Burkard geht auf die Debatte um Pius XII. ein und plädiert dafür, nicht nur die politischen Reaktionen auf den Nationalsozialismus, sondern auch die theologische Ebene der Reaktionen zu betrachten, zumal von der vatikanischen Archivpolitik her gesehen nach wie vor wesentliche Quellenbestände, nicht nur jene nach 1939, verschlossen bleiben. Bis 1938 könne man durch Untersuchung der Akten des Hl. Offizium belegen, dass die weltanschauliche Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus klar ge­wesen sei, ohne dass deren Ergebnis aber publiziert wurde. In Noten und Depeschen gegenüber der Reichsregierung habe Pacelli nicht an Kritik gespart. Nach der Indizierung von Rosenbergs »Mythus« und dessen verstärktem Druck auf die Kirche habe er öffentlich geschwiegen, um seine Ziele diplomatisch zu erreichen. Zu ergänzen bleibt, dass Pacelli als Kardinalstaatssekretär und später im Papstamt sogar Diplomatie übte gegenüber der in sich we­gen des kirchenpolitischen Kurses zerstrittenen Fuldaer Bi­schofs­konferenz unter Vorsitz Kardinal Bertrams. Pacelli stützte dabei seinen Freund aus Münchener Zeiten, den Berliner Bischof Graf Preysing, der einen Konfrontationskurs in Absetzung von Bertrams Harmoniemodell verfolgte. Nicht von Rom aus sollte die Öffent lichkeit informiert werden, sondern die katholische Kirche in Deutschland selbst sollte gegen Ideologie und Politik des Regimes Position beziehen.